Leben mit SMA: „Ich kann das und ich darf das!“
Haben Sie schon einmal von spinaler Muskelatrophie gehört? Nein? Dann geht es Ihnen wahrscheinlich wie den meisten Menschen. Spinale Muskelatrophie, kurz SMA, ist eine seltene neuromuskuläre Erkrankung bei der sich Nervenzellen im Rückenmark und Hirnstamm zurückbilden, wodurch eine fortschreitende Muskelschwäche und ein Muskelschwund ausgelöst werden.
Auch Martina Rötzer hatte zuvor keine Ahnung von SMA, bis Sohn Raffael, kurz vor seinem ersten Geburtstag damit diagnostiziert wurde. Die Warnsignale, die es gegeben hätte, wurden durch einen Umstand jedoch übersehen. „Raffael ist als Frühchen auf die Welt gekommen. Das erschwerte leider auch die Diagnose, da die wenigen Anzeichen, die wir gehabt hätten, zum Beispiel, dass er den Kopf nicht heben konnte oder sich kaum gedreht hat, nicht als SMA-Symptome erkannt, sondern als simple Frühchen-Probleme abgetan wurden“, erklärt Rötzer. Erst knapp ein Jahr später wurde man auf die Neuropädiatrie in Graz verwiesen und es konnte eine Diagnose gestellt werden. Rötzer war damals gerade mit ihrem zweiten Kind, Tochter Mirabell schwanger. „Es ging uns in diesem Moment wirklich furchtbar. Es kamen sofort tausend Fragen auf. Was passiert mit Raffael? Wie wird er leben? Wie sehen Therapien aus?“
Es gibt verschiedene Ausprägungen von SMA. „Neben der adulten Form, bei der Symptome erst im Erwachsenenalter auftreten und sie leichte Einschränkungen im Alltag nach sich zieht, ist die häufigste und gleichzeitig schwerste Form SMA Typ1. Davon sind vor allem Säuglinge betroffen und sie schreitet sehr schnell voran. Diese Kinder versterben unbehandelt meistens innerhalb der ersten zwei Lebensjahre“, erklärt Astrid Eisenkölbl, Fachärztin der Neuropädiatrie am Linzer Kepler Universitätsklinikum.
Doch auch wenn Raffaels Erkrankung schon Spuren hinterlassen hatte, und es bedeutete, dass er auf einen Rollstuhl angewiesen sein wird, hatten sie Glück im Unglück. Kurz vor der Diagnose wurde nämlich eine der Therapien für SMA-Betroffene in Österreich zugelassen.
Erste Erfolge
Kurz nach Therapiebeginn konnte Rötzer bei ihrem Sohn kleine Veränderungen feststellen. „Schon nach der ersten Gabe konnte er den Fuß länger heben, etc. Man bekam sofort das Gefühl, dass die Therapie funktioniert“, so die Mutter.
Raffael arbeitet auch weiterhin an kleinen Fortschritten, wie seine Mama stolz erzählt: „Die Therapie steigert grundsätzlich sein Wohlbefinden und es gibt immer wieder etwas, was er dann besser kann. Allein die Tatsache, dass er wächst, ist ein gutes Zeichen. In der Reha setzen wir uns aber immer wieder neue Ziele. Zuletzt war es selbstständig Türen zu öffnen, da ihm in der Vergangenheit die Kraft in den Händen gefehlt hat. Das Ziel hat er mittlerweile erreicht und man freut sich irrsinnig, dass solche Sachen passieren und er Stück für Stück mehr Selbstständigkeit gewinnt.“
Auch wenn Raffaels Muskeln schwächeln, zeigt der Bub enorme Stärke. Er weiß genau, was er will und scheut sich auch nicht dies zu kommunizieren – weder in der Schule noch zu Hause. „Raffael hat das Glück, dass er ein sehr offenes Kind ist. Seine Art zu kommunizieren, ist ein Geschenk für ihn. Er sagt sich immer: Ich kann das und ich darf das! Das ist mein Körper und ich kann entscheiden, wo ich damit hingehe!“
Zeitfrage
Raffael kann zwar alle Körperteile bewegen, nur fehlt ihm eben für gewisse Alltäglichkeiten die Muskelkraft. Ein Umstand, der mit der verstrichenen Zeit bis zur Therapie zusammenhängt.
Bei seiner Schwester Mirabell wurde ebenfalls spinale Muskelatrophie diagnostiziert, jedoch gleich nach der Geburt. „Mirabell kam auf die Welt und bekam vier Wochen später bereits eine Therapie. Sie hat sich als gesundes Kind entwickelt und das ist wunderschön zu beobachten“, erzählt Martina Rötzer. Den Faktor Zeit betont auch Medizinerin Eisenkölbl: „Durch die Studien weiß man, dass der frühe Therapiebeginn essenziell ist. Je früher man behandelt, desto besser das Ergebnis“, so die Expertin.
Derzeit sind drei Therapien zur Behandlung von SMA zugelassen. Welche Behandlung für einen selbst infrage kommt, gilt es mit dem behandelnden Ärzteteam zu besprechen. Zusätzlich zu den Therapien wurde eine langjährige Forderung von Betroffenen umgesetzt. Die SMA-Untersuchung wurde im Neugeborenenscreening integriert.
Ein Gamechanger, wie Eisenkölbl es nennt: „Viele der betroffenen Kinder entdeckt man präsymptomatisch, also vor Beginn der Symptome. Diese Kinder haben durch die Therapien eine hohe Chance auf eine normale Entwicklung. Das ist wirklich beeindruckend“, so die Ärztin.
Meilenstein
Dass man inzwischen mehrere Therapien zur Auswahl hat, ist medizinisch ein großer Fortschritt. Immerhin hat sich die Lebenserwartung und -qualität der SMA-Patientinnen und Patienten dadurch deutlich verbessert. Eine Diagnose, die vor wenigen Jahren noch für viele den Tod bedeutet hätte, erlaubt Betroffenen jetzt nicht nur stetig kleinere Fortschritte zu machen, sondern bestenfalls ein normales, eigenständiges Leben zu führen und sogar Familie zu gründen. „Schwangerschaften sind mittlerweile möglich, allerdings kann es sein, dass die Therapie angepasst werden muss. Das muss dann eben früh genug mit der Ärztin oder dem Arzt abgesprochen werden“, so die Expertin.
Ein Thema, das auch bei Familie Rötzer diskutiert wird. Sowohl Raffael als auch Mirabell haben trotz ihres jungen Alters schon Großes vor. „Raffael möchte Naturforscher oder Radiomoderator werden und hätte am liebsten zehn Kinder. (lacht) Und Mirabell möchte Ärztin und Mama werden“, erklärt Martina Rötzer stolz. Eine Zukunftsvision, die sie nur zu gerne unterstützt. Gleichzeitig fordert sie auch mehr Unterstützung für Betroffene: „Es wäre wünschenswert, dass das System Rücksicht auf diesen Teil der Bevölkerung nimmt. Sie sind Teil der Gesellschaft und sollten daher auch dieselben Möglichkeiten haben, ein normales Leben zu führen.“
Biogen-243912, Stand der Information: Juni 2024.
Mehr Infos zur Betreuung und Behandlung von Spinaler Muskelathrophie, sowie das Leben mit SMA erfahren Sie online unter www.togetherinsma.at oder beim Verein SMA Österreich unter www.smaoesterreich.at.