Wirtschaft: Wir müssen die Fließgeschwindigkeit erhöhen

Wirtschaft: Wir müssen die Fließgeschwindigkeit erhöhen
Was den Standort entlasten könnte, worauf es 2025 ankommt und warum der Pessimismus das Land fest im Griff hat, erklärt der KSV1870 CEO Ricardo-José Vybiral im Neujahrsinterview.

Auch 100 Tage nach der Nationalratswahl gibt es keine neue Regierung in Österreich. Wer auch immer zukünftig regieren wird, welche Aufgabe wird am wichtigsten sein? 

Wesentlich wird sein, die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Österreich zu bewahren, ohne gleichzeitig zu viel Geld auszugeben. Der aktuell hohe Kostendruck in den Betrieben nährt Abwanderungsüberlegungen. Vor diesem Hintergrund über neue Steuern zu diskutieren, muss illusorisch bleiben, denn das würde jeglichen Aufschwung abwürgen. Abseits davon, dass einige Probleme nicht nationalstaatlich zu lösen sind, braucht es nationale Leuchtturmprojekte. Diese sollten auf einer „fast lane“ durch die Administration gebracht werden. Das bedarf einer engen Abstimmung zwischen Bund und Ländern. Ich denke hier etwa an Transformationsprojekte, die der Gemeinschaft zugutekommen, oder an einen konsequenten Bürokratieabbau. 

Der Bürokratieabbau ist ein gutes Stichwort. Hier scheint es zu einem echten Overload gekommen zu sein. Ihre Meinung dazu? 

Die Vorschriften und Auflagen, die unmittelbar die Unternehmen betreffen, müssen weniger werden, um die Fließgeschwindigkeit zu erhöhen. Auch schleppende Baugenehmigungen sind Gift für die gebeutelte Bauwirtschaft und Umweltverträglichkeitsprüfungen zu langsam. Die KIM-Verordnung war überhaupt ein österreichisches Unikum. Wirtschaftsexperten wie Branchenvertreter in den Wirtschaftskammern wissen Bescheid, welche Erleichterungen in ihren Bereichen am dringlichsten sind. Natürlich ist ein Bürokratierückbau eine Sisyphos-Arbeit und kein Breitenthema, mit dem man die Massen begeistert. Aber er ist mehr denn je notwendig. 

Wirtschaft: Wir müssen die Fließgeschwindigkeit erhöhen

Blicken wir auf das vergangene Insolvenzjahr. Die Zahlen befinden sich historisch betrachtet im obersten Regal. Welche Entwicklungen sieht der KSV1870? 

Mit rund 6.600 Unternehmensinsolvenzen befinden sich diese auch historisch betrachtet auf sehr hohem Niveau, daran gibt es nichts zu rütteln. Wir sehen wieder viele Insolvenzen mit hohen Schulden und vielen Gläubigern. Aktuell sind die Insolvenzursachen der hohe Kostendruck, die hohen Finanzierungskosten, die geringere Nachfrage und Managementfehler. Zudem verzeichnen wir sehr große Insolvenzen mit vielen betroffenen Mitarbeitern. Aber auch die mittelständischen Unternehmen mit ihrem regionalen Fokus sind wieder vermehrt betroffen. Zumindest weisen die aktuellen Insolvenzen wieder ein gewisses Aktivvermögen auf, das war zuletzt häufig nicht der Fall. 

Was kommt 2025 auf die Unternehmen zu? 

Wer die Kosten nicht im Griff hat, für den wird es sehr schwer. Ich empfehle jedem Unternehmen ein laufendes Monitoring und Anpassungen, wenn es die Finanzzahlen zulassen. Wir leben in Zeiten, in denen die Finanzchefs den Ton angeben. Dennoch dürfen nicht alle Investments kategorisch dem Rotstift zum Opfer fallen. Was die Kosten betrifft, so haben große Konzerne kaum Probleme sie weiterzugeben. Bei kleineren Unternehmen ist das oft nicht der Fall - aus Angst Kunden zu verlieren. In der aktuellen Situation geht es aber nicht anders. Wenn ein Schnitzel in der eigenen Kalkulation 28 Euro kostet, dann ist das eben so. 

Hinzu kommt die internationale Konkurrenz, die es den heimischen Betrieben nicht einfacher macht. 

Der Preiskampf mit China und ungezügelte Importe sind Themen für die Unternehmen, die aus meiner Sicht auf die politische Agenda gehören. Positive Vorzeichen sehe ich im Kreditmarkt. Die Abschaffung der KIM-Verordnung kann für positive Impulse in der Bauwirtschaft sorgen und den Kreditmarkt entlasten. Vor allem im Hypothekarbereich haben wir in den vergangenen Jahren Rückgänge von bis zu 50 Prozent gesehen. Einem Markt, der als sehr ausfallsicher gilt, wohlgemerkt. Und zu guter Letzt: Jegliche Zinssenkungen können sich bei den Unternehmen nur positiv auswirken. 

Damit ein Unternehmen funktioniert, braucht es gute Mitarbeiter. Kann puncto Fachkräftemangel von einer Entspannung gesprochen werden? 

Aus meiner Sicht nein. Auch wir beim KSV1870 sehen, dass es zum Teil sehr schwierig ist, neue Mitarbeiter zu finden. Darüber hinaus sind wir nicht selten mit gehobenen Ansprüchen konfrontiert, beispielsweise Fünf-Tage-Homeoffice, die Hälfte des Jahres aus dem Ausland arbeiten und eine 30-Stunden-Woche. Ich will das nicht per se verdammen, aber zu viele Individuallösungen werfen die Frage nach der Gerechtigkeit innerhalb der Teams auf. Wir haben viele Mitarbeiter, die einen Top-Job machen, die 40 Stunden pro Woche im Einsatz sind, die Überstunden machen, wenn es einmal notwendig ist - kurzum Menschen, auf die wir uns verlassen können. Wenn sich das interne Gefüge für sie nicht mehr fair anfühlt, dann habe ich ein echtes Problem. 

Sie haben das Thema Homeoffice angesprochen? Ist das gekommen, um zu bleiben?

Es wird von Mitarbeitern wie Jobsuchenden mittlerweile als Voraussetzung angesehen. Doch es braucht einen ausgewogenen Zugang. Ohne direkten Kontakt gibt es bedeutend weniger Austausch und man bleibt dem Unternehmen weniger verbunden. Wenn meine Teams fünf Tage im Homeoffice sind, was habe ich dann für eine Unternehmenskultur? Hinzu kommt, dass Mitarbeiter heute schneller als früher den Job wechseln. Eine gewisse Bindung ans Unternehmen ist notwendig, um die Fluktuation auf einem gesunden Niveau zu halten. Darüber hinaus erfordern aus meiner Sicht kreative Tätigkeiten mehr Office-Präsenz. Es ist ja nicht so, dass Innovation nur in Workshops entsteht. Viel Kreatives entwickelt sich auch im normalen Austausch oder zwischendurch. 

Abschließend der Blick in die Zukunft. Was braucht Österreich jetzt? 

Ich denke, dass unsere Zeit stark von Zukunftspessimismus geprägt ist. Die Angst davor, den eigenen Wohlstand zu verlieren. Die Angst davor noch länger arbeiten zu müssen und es nicht zu können. Die Angst aus gesundheitlichen Gründen auszufallen. Die Angst vor ungeregeltem Zuzug und vor urbanen Zuständen, in denen die Mehrzahl der Kinder in den Klassen nicht Deutsch können. Die Angst davor, wie unsere Kinder leben werden, wenn der Klimawandel und die Wetterextreme weiter zunehmen. Bis hin zur Angst, dass Europa gegenüber den anderen Wirtschaftsräumen bedeutungslos wird. Viele Menschen blicken pessimistisch in die Zukunft, auch wenn manche Zustände vielleicht in der eigenen Lebensrealität noch nicht eingetroffen sind - es sind eben Ängste. Und auf die wird nicht eingegangen. Auch, weil kaum jemand eine Vorstellung hat, wo wir als Land, als Gesellschaft eigentlich hinwollen. Und leider muss ich sagen, dass es an den dafür notwendigen Führungspersönlichkeiten mangelt. Aus meiner Sicht ist die zukünftige Regierung dringend aufgerufen, sich neben dem Budget auch mit dem Entwurf eines positiven Zukunftsbildes zu beschäftigen.