Die Gründung des KSV1870 aus dem Gedanken der Solidarität
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Im Jänner 1870 eröffnete eine Institution, die Wien eine Reputation als Weltmetropole sichern würde und bis heute eines der Aushängeschilder der Kulturnation Österreich ist: das Musikvereinsgebäude. Geplant vom damaligen Stararchitekten Wiens Theophil Hansen, ging sein Trägerverein auf eine Gesellschaft adeliger Frauen zurück, die 1812 ein Wohltätigkeitskonzert veranstaltet hatten, dessen enormer Erfolg zur Gründung des Musikvereins führen sollte. Am Beginn des Musikvereins stand also eine Aktion zur „Beförderung des Guten und Nützlichen“, wie es damals hieß.
Wien wird Weltmetropole
Wien hatte um 1870 bereits 900.000 Einwohner. Siebzig Jahre zuvor waren es noch 270.000 gewesen – die Stadt entwickelte sich im Eilschritt zur Millionenmetropole. Einer der Gründe dafür war die Landreform von 1848, die eine sogenannte „Grundentlastung“ und damit einen Kapitalschub für die Wirtschaftsentwicklung brachte. Es begann ein durch Kredite und Beteiligungen angetriebener Boom, der u. a. auch zur „Concursordnung“ von 1868 (bis 1914 gültig) führte.
Politisch etablierte sich die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn mit eigenen Parlamenten in Wien und Budapest. Nun war es nicht mehr die Epoche wohltätiger Adeliger, sondern eines immer selbstbewusster auftretenden Bürgertums, das sich in allen Belangen des Staates, besonders aber des Wirtschaftslebens als führend empfand. Zum Ausdruck war das bereits in der Mode des Biedermeier gekommen, als sich selbst der Kaiser und sein Hofstaat in bürgerlicher Kleidung sehen ließen. Nach der Revolution von 1848 sollte der Hochadel dann allerdings vor allem in Uniform auftreten.
Der Beginn des Gläubigerschutzes
Das Bewusstsein von einer berechtigten Partizipation des Bürgertums konnte sich auch im wirtschaftlichen Bereich durchsetzen. Man begann sich „solidarisch“ zu fühlen – gerade auch bei einer Situation, die jeder Wirtschaftstreibende zu vermeiden trachtet: der Insolvenz. Die trifft Gläubiger hart, besonders dann, wenn sie selbst in einem gerichtsdominierten Insolvenzverfahren keine Mitsprache haben.
Die Idee der Solidarität unter Gläubigern sollte dazu führen, ihnen im Verfahren, der „Tagfahrt“, demokratische Mitwirkungsrechte zuzugestehen. Tatsächlich gelang es ihnen, sich bei Gericht mehr Mitsprache zu verschaffen. Wenn etwa der vom Gericht eingesetzte Masseverwalter nach der ersten Tagfahrt den Gläubigern nicht passte, konnten sie ihn abwählen und durch einen eigenen ersetzen. Außerdem wurde bei der ersten Tagfahrt ein Gläubigerausschuss gewählt, der das Verfahren begleitete. Die Solidaritätsidee unter Wirtschaftstreibenden, die eben auch hin und wieder Gläubiger wurden, hatte eine erste Form der Partizipation ermöglicht. Nun konnte ein wesentlicher weiterer Schritt erfolgen.
Der KSV1870 ist über die Jahrzehnte zu einer der bedeutendsten Wirtschaftsplattformen Österreichs geworden.
Der Geburtstag des KSV1870
Der Wiener Rechtsanwalt Johann Exle kannte als Insolvenzverwalter die Problematik der Verfahren ganz unmittelbar. Daher schlug er die Gründung eines „Creditorenvereins zum Schutze der Forderungen bei Insolvenzen“, also zur Wahrung der Interessen der Lieferanten, mit Sitz in Wien vor. Drei Monate, nachdem Johann Strauß bei seinem ersten Ball im Musikverein den Walzer „Freuet euch des Lebens“ dirigiert hatte, wurde am 10. April 1870 die konstituierende Sitzung des Creditorenvereins abgehalten. Zum Präsidenten wählten seine Mitglieder Heinrich Kloger, zu seinem Vize Carl Hoffmann.
Diesem ersten Verein seiner Art in Europa gehörten rund vierzig Gründungsmitglieder an, allesamt Textilfabrikanten oder -händler. Als Nächstes stießen metallverarbeitende Betriebe und Lebensmittelproduzenten dazu. Die Grundidee: Durch Solidarität das Los von Gläubigern zu verbessern und damit dem gesamten Wirtschaftsleben mehr Sicherheit und Berechenbarkeit zu verleihen. Das war im Boom der ersten Gründerzeit zwischen 1867 und 1873, als über tausend Aktiengesellschaften an die Börse kamen, von höchster Dringlichkeit. In solchen Zeiten „hat jeder Kredit“ – es wurde oft unkontrolliert Geld aufgenommen, das dann nicht mehr zurückgezahlt werden konnte, besonders nach dem Schwarzen Freitag am 9. Mai 1873, dem Börsensturz.
Die ersten Leistungen des KSV1870
Solidarität, wie sie der Creditorenverein zu Anfang verstand, hieß zunächst einmal, die Mitglieder möglichst gut zu informieren. Seine Tätigkeit konzentrierte sich auf Informationsbeschaffung und -verbreitung. Die Aufträge der Mitglieder wurden gebündelt und über Anwaltsbüros am Sitz des jeweiligen Konkursgerichtes angemeldet. An den Verhandlungen (Tagfahrten) selbst nahmen Anwälte mit einer Vollmacht der Mitglieder des Creditorenvereins teil, um Gläubigerrechte wahrzunehmen. Es sollte noch bis 1959 dauern, bis die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des KSV1870 diese Tätigkeit selbst für ihre Kunden und Mitglieder übernehmen durften.
Durch eine stetige Weiterentwicklung des Vereins und seinen Services ist der KSV1870 zu einer der bedeutendsten Wirtschaftsplattformen Österreichs geworden. 1870 war mit der Gründung des Creditorenvereins also das Fundament gelegt, auf dem in den nächsten 150 Jahren die Meilensteine des KSV1870 gesetzt werden konnten.
Der KSV1870 begeht 2020 seinen 150. Geburtstag.
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