Eigenverantwortung: Masken schützen nicht vor Krebs
Die Corona-Pandemie beherrscht seit über einem Jahr nicht nur die Schlagzeilen, sondern auch unser Leben. Gewohnheiten mussten überworfen werden, banale Tätigkeiten wurden komplett auf den Kopf gestellt und Masken und Abstand sind unsere ständigen Begleiter. Die „neue Normalität“, wie es die Bundesregierung betitelte, hielt Einzug in unseren Alltag und damit auch die Angst vor dem unbekannten und unsichtbaren Virus. Die Auswirkungen sind aber nicht nur im Beruflichen oder Zwischenmenschlichen zu sehen, sondern auch an unserer Gesundheit. Viele wichtige Gesundheitsthemen wurden durch Covid-19 in den Schatten gestellt, darunter auch Tumorerkrankungen. War ein Gang zum Arzt oder zu Vorsorgeuntersuchungen zu Prä-Covid-Zeiten normal, scheuen viele nun davor zurück. Die Sorge sich zu infizieren, ist zu groß. Bedenken, die im Ernstfall aber Zeit oder sogar Leben kosten können, wie viele Experten warnen.
Auf Einladung von schauTV in Kooperation mit MSD diskutierten unter dem Motto „Masken schützen nicht vor Krebs“ Onkologin Prim. Dr. Birgit Grünberger, Onkologe und Psychotherapeut Univ.-Prof. Dr. Alexander Gaiger und Patientenanwalt Dr. Gerald Bachinger über die Wichtigkeit von Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen in Zeiten von Corona. Denn vor dem Virus-Ausbruch begannen sich die Sterblichkeitsraten bei einigen Krebsarten zu stabilisieren oder sogar zu sinken. Die Gründe dafür sind vielseitig: Patienten eigneten sich einen gesünderen Lebensstil an und gingen zur Vorsorge. Zudem machte die Medizin enorme Fortschritte und weitere Therapiemöglichkeiten wurden entwickelt. Auch innerhalb der gesundheitspolitischen Systeme wuchs die Bereitschaft viel Geld in einen möglichst fairen und niederschwelligen Zugang zum Gesundheitssystem für alle zu investieren.
Wird Krebs frühzeitig erkannt, kann therapeutisch deutlich besser gegengesteuert werden.
Wenn Vorsorge nachlässt, wird es gefährlich
Ein Rückgang an Krebsdiagnosen konnte auch bis Herbst 2020 beobachtet werden. Allerdings ist dies eine eher bedenkliche Entwicklung. Denn dieser Rückgang war nicht etwa darauf zurückzuführen, dass weniger Menschen erkrankten, sondern dass viele Diagnosen schlicht und einfach unentdeckt blieben, da die Vorsorgetermine nicht wahrgenommen wurden.
„Hier kommen zwei Faktoren zusammen: Einerseits die Angst bei Vorsorgeuntersuchungen einen positiven Befund bekommen zu können. Andererseits die Angst, sich exponieren zu müssen und Covid ausgesetzt zu sein. Und das macht es schwerer“, analysiert Onkologin Grünberger im Talk. Ein Effekt, den auch Patientenanwalt Bachinger beobachtet hat. „Es gab eine Patientengruppe, die immer wieder gehört hat, dass die Intensivabteilungen überlastet sind, dass das Gesundheitswesen aus dem letzten Loch pfeift. Sie haben dann für sich entschieden, dass sie nicht noch zusätzlich - auch wenn es irgendwo wehtut, oder sticht - das Gesundheitswesen durch ihre Befindlichkeiten belasten wollen. Die andere Gruppe hat durch die mediale Berichterstattung - wir alle kennen die Bilder aus Italien und Frankreich - einfach Angst bekommen, dass sie durch den Kontakt mit den Gesundheitseinrichtungen mit Corona infiziert werden“, so Bachinger, der aber einen weiteren Grund für den Rückgang sieht. „Es gab auch noch einen dritten, einen systemischen Effekt. Direkt am Anfang wurde vonseiten der Gesundheitseinrichtungen und der Ärztekammer abgeraten Gesundheitseinrichtungen zu besuchen - und das sage ich ohne Kritik - weil alle vollkommen überfordert waren und nicht wussten, wie können sie diese neuen Herausforderungen managen.“
Das lag daran, dass in den am stärksten betroffenen Ländern, viele Infektionen im Spital übertragen wurden. Daher wurde der Zugang zu Beginn der Pandemie auch in Österreich eingeschränkt bis genauere Daten und effektive Maßnahmen zum Schutz vor Übertragungen in Spitälern und Co. umgesetzt werden konnten. Der Zugang für die Menschen, darunter auch Krebspatienten, wurde unterdessen so sicher als möglich gemacht. Eigene Eingänge wurden geschaffen, Zeitslots eingeführt und Teststrategien implementiert.
Um ihm zu helfen, muss der Patient zu uns kommen. Früherkennung und Vorsorge sind wichtig.
„Wir können euch unterstützen!“
Denn den Gesundheitseinrichtungen war klar, dass Diagnosen weiter gefunden, Krebstherapien fortgesetzt und Patienten weiterhin bestmöglich betreut werden müssen. „Ein onkologischer Patient gehört immer ganzheitlich betrachtet. Das ist nicht nur die medikamentöse Behandlung, sondern auch die psychologische Betreuung oder auch die Ernährungsberatung - die braucht man genau so. Und wenn die Patienten im Krankenhaus sind, dann bekommen sie das auch“, bekräftigt Grünberger. Daher wird dringend geraten die Therapien, aber auch Nachsorgeuntersuchungen termingerecht wahrzunehmen. Auch Onkologe und Psychotherapeut Gaiger betont, dass die Behandlungen auch weiterhin garantiert werden. „Wir können alle Therapien auch planmäßig durchführen. Und wir können alle ermuntern: Kommt’s, wir können euch unterstützen!“
Und die Bemühungen seitens des Gesundheitspersonals zeigen Wirkung. Die Unsicherheiten auf Patientenseite sind im Laufe des letzten Jahres stetig gesunken und langsam treten immer mehr wieder den Weg zu den Untersuchungen an. „Laut Rückmeldungen von Patienten gab es ein sehr starkes proaktives Zugehen auf sie. Die Einrichtungen meldeten sich von sich aus telefonisch bei den Krebspatienten und haben signalisiert, dass man sie nicht vergessen hat. Dieses Zeigen von Perspektiven war für die Patienten sehr gut“, bestätigt Bachinger.
Dieses Zeigen von Perspektiven war für die Patienten sehr gut.
Vorsorgeprogramme
Dennoch gilt es auch weiterhin Aufklärungsarbeit zu leisten und die Menschen dort abzuholen, wo sie sind. Es braucht Vorsorgeprogramme, die auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen abgestimmt sind. „Schon vor der Covid-Pandemie haben wir gesehen, dass Bildung und Einkommen ganz starke Einflussfaktoren für den Verlauf einer Tumorerkrankung sind. Auch in sozialen Wohlfahrtssystemen wie in Österreich, Dänemark oder Schweden hat Bildung und Einkommen einen hochsignifikanten Einfluss auf das Überleben.
Und dieser Einfluss wird durch die Covid-Pandemie noch einmal verstärkt. Es gibt so etwas, das ich ’das soziale Gewicht der Tumorerkrankung’ nenne. Das ist messbar“, erklärt Gaiger und nennt ein Beispiel eines Arbeiters: „Er hat eine Krebserkrankung, er hat einen Kredit für seine Wohnung laufen und er weiß nicht wie lange er lebt, aber muss seinen Kredit abzahlen. Und jetzt fährt er am Wochenende noch Extraschichten mit dem Lkw. Wenn man als Bundesbeamter zur Vorsorge geht, wird man unterstützt. Wenn man aber unter schwierigen Verhältnissen mit der Möglichkeit einer raschen Kündigung arbeitet, ist ein anderer Druck da.“ Dieser Effekt wird durch die Covid-Pandemie noch einmal verstärkt. „Da sind wir alle gefordert, dass wir jetzt für die nächsten Monate bessere Lösungen etablieren.“
Die Kampagne mit dem einprägsamen Slogan „Maske schützt nicht vor Krebs“ schafft Bewusstsein für die Wichtigkeit der Krebsvorsorge. Früherkennung erhöht im schlimmsten Fall nicht nur die Chancen auf Heilung, sondern auch Leben. Die wichtigste Kernbotschaft der Kampagne: „Warten Sie nicht, wenden Sie sich an Ihren Arzt und lassen Sie sich untersuchen. Damit ist sichergestellt, dass Sie auch in Zeiten der Pandemie die bestmögliche Krebsversorgung erhalten. Denn der Krebs kennt keinen Lockdown.“
Mehr Zeit für Patienten zur Verfügung haben
Um diese milieuspezifischen Unterschiede aus der Welt zu räumen, kann unter anderem die Telemedizin hilfreich sein. Teile davon wurden bereits zu Beginn des ersten Lockdowns etabliert. Medizinische Beratung über Telefon oder Videokonferenzen überwinden die, während der Pandemie notwendige, räumliche Distanz und ermöglichen Kontakt und Beziehung aufrecht zu halten. Wie man die technischen Möglichkeiten aber effizient nutzt, um das medizinische Personal zu entlasten und den Menschen beim Gang zum Arzt noch mehr ins Zentrum rückt, zeigen moderne Modelle der Telemedizin. Immerhin brauchen besonders Tumorerkrankte in dieser Zeit viel Nähe. Während der Pandemie wurde ihnen diese komplett genommen.
In der Telemedizin sollen daher künftig administrative Aufgaben Maschinen übernehmen. Onkologe und Psychotherapeut Gaiger erklärt das wie folgt: „Wenn ich in meiner Ambulanz sitze, brauche ich fast 90 Prozent meiner Zeit für die Erhebung von Beschwerden, Symptomen und Nebenwirkungen. Dann habe ich einige Minuten, um dem Menschen zu erklären, was nun passiert. Das ist eine verkehrte Welt.“ Der Patient wird unterstützt sein Wissen über seinen Körper, seine Beschwerden kompetent in den Diagnose und Behandlungsprozess einzubringen. Etwaige Beschwerden können Patienten zukünftig selbst mittels App in ein System eingeben, das diese Daten prompt in die Krankenakte einträgt.
Bei leichten Symptomen erhält der Patient umgehend Hilfestellungen was sie/er selbst für sich tun kann. Moderate und schwere Symptome lösen durch eine Teletriage sofort eine medizinische Kontaktaufnahme aus . Das soll heißen, dass sich jemand aus dem Pflege- und Ärzteteam beim Betroffenen meldet. „Das ist ähnlich einem Navigationssystem: Definierte Gesundheitsdaten (unsere gegenwärtige Position) werden erfasst, automatisch und datenschutzkonform in die Krankenakte integriert (unsere Gesundheitslandkarte) und schlagen den kürzesten Weg zum Ziel vor . Dadurch ersparen wir viel verlorene Zeit und ‚leere Kilometer’“, so Gaiger. Da man die Daten täglich eingeben muss, lassen sich auch schnell Muster erkennen und dadurch bessere Prognosen erstellen. Man bekommt ärztliche Beratung ohne stundenlang in ein Krankenhaus oder in eine Praxis fahren zu müssen.
Aber eine solche Digitalisierung des Gesundheitssystems stellt oft vor allem für ältere Menschen eine Herausforderung dar. Damit dies ein Erfolg wird, muss zielgruppenorientiert gearbeitet werden, wie Bachinger erklärt. „Diese Gefahren, dass wir da in eine digitale Zweiklassengesellschaft abrutschen, wird es geben. Aber aus Patientensicht ist nur eins wichtig: Es muss ein Nutzen erkennbar sein“, meint er. Es sei wichtig, die vorhandenen Möglichkeiten zu nutzen. Vor allem, wenn es darum geht die Gesundheitsdienstleistungen zum Patienten zu bringen und nicht umgekehrt.
„Da gibt es sehr viele Ressourcen und ich hoffe, dass die Gesundheitspolitik diese guten Initiativen - die auch schon bewiesen haben, dass sie einen positiven Effekt auf die Patienten, auf den Ausgang der Behandlung und auch einen ökonomischen Effekt haben - dass man die weiterträgt und vertieft“, so Bachinger. Onkologe und Psychotherapeut Gaiger sieht die Gefahr einer digitalen 2 Klassengesellschaft durch eine Hybridlösung reduziert: „Telemedizin wird in die bestehenden Strukturen eingebettet, Pflege und Ärzte bleiben die Ansprechpersonen. Sie werden unterstützt und entlastet, sodass mehr Zeit für das Begreifbarmachen der Behandlungspläne bleibt und Zeit für jene bleibt, die mit digitalen Lösungen wenig anfangen können: Und auch Onkologin Grünberger hält große Stücke auf die neuen Modelle. „Die Telemedizin ergänzt. Es ist eine Symbiose, die wir da eingehen“, erklärt die Primaria.
„Maske schützt nicht vor Krebs“ - Den ganzen Talk zum Thema Vorsorge und -Früherkennung sehen Sie ab 8.5. um 14 Uhr alle vier Stunden auf schauTV und im Livestream auf schautv.at
Zugang erleichtern, Regeln beachten
Solche und andere neuen Möglichkeiten sind es, die den Menschen den Zugang zu Diagnose und Behandlungen erleichtern sollen. Denn die Medizin hat sich besonders im Bereich der Onkologie enorm weiterentwickelt. Die letzten Jahre haben große Fortschritte in der Behandlung von Krebserkrankungen gebracht. Neue Therapieformen, wie die Immuntherapie oder die zielgerichtete Therapie konnten bei vielen Patienten das Gesamtüberleben, aber auch die Lebensqualität verbessern. Durch die Corona-Pandemie droht dieser Erfolg zunichtegemacht zu werden. Deshalb gilt es für alle, aber besonders für Krebspatienten zu den herkömmlichen Sicherheitsmaßnahmen, wie Maske und Abstand, noch zusätzliche Regeln zu beachten.
Wenn es Beschwerden gibt, dann muss man umgehend seinen Arzt oder seine Ärztin kontaktieren. Man muss immer offen seine Probleme kommunizieren können. Schwere Krankheitssymptome dürfen niemals ignoriert werden. Auch ein eigenständiges Umstellen von Therapien sollte keinesfalls stattfinden. Anpassungen müssen immer mit dem jeweiligen behandelnden Zentrum oder der Praxis abgesprochen sein. Und ganz wichtig: Kontrolltermine nicht aus Angst vor einer Covid-19-Ansteckung entfallen lassen. Es sind genügend Sicherheitsmaßnahmen in den Einrichtungen vorhanden. „Gesundheit geht uns alle an. Wir sind letztendlich alle dafür verantwortlich was passiert“, meint Patientenanwalt Bachinger und appelliert an die Eigenverantwortung.
Dabei muss die Angst vor einer Ansteckung oder einem positiven Tumorbefund nicht verschwinden, aber man sollte damit leben lernen, empfiehlt auch Psychotherapeut und Onkologe Gaiger: „Wir sollten die Angst auch nicht immer aus unserem Leben rausdrängen. Mit all den Fortschritten der modernen Wissenschaft sind wir dem Leben ausgeliefert. Guten Menschen können schlechte Dinge passieren. Die Angst, das was passieren kann, haben wir alle - wir unterscheiden uns darin nicht.“ Eine Angst, die also alle teilen und einige aber doch an einem wichtigen Gang zum Arzt hindert. Diesen Fehler muss man vermeiden. “Ich habe auch Angst, wenn ich eine Früherkennungsuntersuchung mache, aber der Nutzen ist ganz klar: Wenn man Krebs frühzeitig erkennt, kann therapeutisch wesentlich besser gegengesteuert werden. Es ist ein kleiner Schritt, aber für mich und mein Leben ist es ein großer“, appelliert Gaiger. Und auch Expertin Grünberger macht noch einmal den Ernst der Lage deutlich: „Der Patient muss zu uns kommen. Der Patient muss diese Vorsorge machen, damit wir ihm helfen können. Früherkennung, Vorsorge sind wichtig. Falls etwas gefunden wird, helfen wir genauso wie vor der Pandemie. Wir haben an der Verschreibung nichts geändert und nutzen die Maßnahmen, die uns zur Verfügung stehen“, betont sie.
(Überlebens-)Chancen nutzen
Vorsorge geht uns also alle etwas an. Und die Gesundheitseinrichtungen samt Pfleger und Pflegerinnen und Ärzten und Ärztinnen stehen parat. Sie sind bereit, uns zu unterstützen - sei es bei der Vorsorge, bei der Behandlung oder bei der Therapie. Sie können und wollen noch viele Leben retten, allerdings müssen wir ihnen früh genug die Chance dazu geben.
Die Diskussion fand in freundlicher Kooperation mit MSD Österreich statt.
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