"Zirkus des Horrors" in Wien: Sexismus ist (k)ein Witz
Im Zirkus des Horrors wird die Artistin ermordet, um dann als Untote zu performen.
Eine Artistin wird zu Boden geworfen und gewürgt, bis sie schließlich stirbt. Das findet ein Darsteller „echt krass“. Ein anderer hebt zweimal den Arm zum Hitlergruß und ruft dabei „Feuer“.
Es sind nur zwei der Szenen, die Zuschauer aktuell im „Zirkus des Horrors“ an der U2-Station Aspernstraße im 22. Bezirk zu sehen bekommen. Der Zirkus kommt ursprünglich aus Deutschland und gastiert von September bis 2. November erstmals in Wien.
Gezeigt wird die Show „Memento Mori – Deine letzte Stunde“, beworben wird das Programm mit „spektakulärer Artistik“, „irren Freaks“ und „schräger Comedy“ bzw. "schwarzem Humor".
Während die akrobatische Leistung der Artisten außer Frage steht, gibt es online für die „derben“ und „geschmacklosen“ Witze Kritik, für die man kein Geld zahlen, sondern nur nachts U-Bahn fahren müsse.
Besucher verlassen Show vorzeitig
Besucherinnen und Besucher berichten in einem Forum, die Show vorzeitig verlassen zu haben. So wie auch Saskia S., die den Zirkus auf Einladung einer Freundin besuchte, wie sie dem KURIER berichtet.
Sie versuchte, bei einer Internetrecherche vorab mehr über die Show herauszufinden – erfolglos. Die Homepage verrät zu diesem Zeitpunkt nichts. Was sie vor Ort dann geboten bekommen habe: Völlig deplatzierte Gewaltszenen, statt der passend zu Halloween erwarteten Zombies, Hexen und Geister.
Und den Hitlergruß: „Mir ist schlecht geworden. Darüber kann und möchte ich nicht hinwegsehen, das ist und war auch nie lustig. Also bin ich demonstrativ gegangen.“
Männer töten und schlagen Frauen
Der KURIER hat die Zirkusshow am Mittwoch selbst besucht: Erzählt werden soll die Geschichte von „Max“, der vom Sensenmann abgeholt wird und über sein Leben und seine Fehler reflektiert.
Am Beginn steht ein gespielter Femizid: Eine Frau wird von einem Fremden von der Seite angemacht, sie weist ihn jedoch mehrmals ab – was der Mann aber nicht akzeptieren will, sie zu Boden wirft und würgt. Sie wehrt sich, tritt und schreit – markerschütternd laut, bis sie stirbt.
Ihr Todeskampf lässt das Publikum spürbar geschockt zurück und verursacht Gänsehaut. Dann betritt „Max“ die Bühne, doch von ihm kommen weder kritische Worte noch – nun ja, ein Hilferuf wäre angebracht. Doch alles, was er zu sagen hat, ist: „Boa, das war jetzt echt krass.“
Daraufhin schleppt sich die Akrobatin als Untote auf eine Plattform, tanzt und geht ins Jenseits. Die Bedeutung ihres Todes für die Geschichte? Der Kontext zum real existierenden Problem von Gewalt gegen Frauen? Nicht erkennbar.
Bei einem Blick in Max' Vergangenheit kümmert sich seine Mutter um ihn als weinendes Kleinkind, während der Vater schläft. Sie weckt den Mann, es wird gestritten - und gewalttätig. Zwischen den einzelnen Stunts schlägt und schubst er sie. Am Ende erhängt sich die Mutter, der Vater erschießt sich.
Ein Pausenclown mit erhobenem Arm
Kurz vor Ende der ersten Hälfte hat der Pausenclown „Master of Hellfire“ mit seinem Flammenwerfer einen Auftritt. Das Publikum fordert er auf, auf sein Kommando laut „Feuer“ zu schreien – und hebt die rechte Hand.
Das Publikum solle die Geste natürlich nicht machen, das ginge ihm selbst als Thüringer zu weit (wo es bei der letzten Wahl einen Rechtsruck gab, Anm.). Ein paar Minuten später wiederholt er die Geste, eingeflochten in einen Witz über den „schwulen Ehemann“ einer Besucherin.
Für Kinder geeignet?
Eine weitere Zuschauerin wird eingebunden und gefragt: „Das wird jetzt diskriminierend – bist du dabei?“ Sie schüttelt den Kopf, doch die Show muss weitergehen, also versucht „Hellfire“ sie zu hypnotisieren und ruft: „Zeig uns deine Titten!“ Während andere Witze durchaus Gelächter und Applaus ernten, ist die Reaktion hier betreten.
Horror ist die Darstellung für manche auch aufgrund der Altersempfehlung ab 14 Jahren. Tatsächlich entdeckt man vor Ort sieben bis elfjährige Kinder. Ob den Eltern bewusst war, was sie zu sehen bekommen? Ein Warnhinweis zu den Inhalten (u. a. Mord, Selbstmord, häusliche Gewalt) wurde Anfang dieser Woche ergänzt.
Es wird nichts verharmlost. Die Show soll auch zum Nachdenken anregen.
Zirkus des Horrors
Bei vorherigen Shows, die oft auf Fantasy-Horror basierten, seien diese nie nötig gewesen, wie der Zirkus auf Anfrage erklärt. In der Show werde auch nichts verharmlost: „Inhalt ist der Horror der realen Welt, um zum Nachdenken anzuregen.“ Einen Fokus auf Gewalt an Frauen weist man zurück.
Was ist die Moral von der Geschichte?
Die Figur „Hellfire“ stelle eine „tiefgründige Gesellschaftskritik“ dar. Der Hitlergruß werde relativiert und die als sexistisch kritisierten Kommentare fallen „genauso auch, wenn Männer aus dem Publikum mit einbezogen werden.“ Was die Botschaft oder Moral der Geschichte sein soll? „Zu erkennen, dass man nur ein Leben hat und es gut nutzen sollte.“
Leider wirkt es, als habe sich der Zirkus nicht ausreichend mit dem „Horror der realen Welt“, und wie man ihn künstlerisch aufarbeitet, auseinandergesetzt. Niemand muss Frauen an den alltäglichen Sexismus, häusliche Gewalt und Femizide erinnern.
Und: Männer machen nicht dieselben Erfahrungen wie Frauen, die erleben Sexismus viel häufiger. Auch Männer zu sexualisieren macht es nicht besser – oder witziger.
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