Schwere Last
Am Donnerstag nach Ostern scheint die Sonne auf den frühlingshaften Zentralfriedhof. In Gruppe 29 hat eine fünfköpfige Truppe aber keine Zeit für Vogelgezwitscher und frisches Grün. Ihr Metier ist altes Grau: Sie sind hier, um ein Grab abzutragen. Und das ist harte Arbeit. Teamwork ist gefragt, „man muss sich auf die Kollegen verlassen können“, sagt Teamleiter Unger.
Immerhin können die Grabplatten mehr als eine Tonne wiegen, entsprechend hoch ist die Verletzungsgefahr. „So schnell kann man gar nicht schauen, sind die Finger drin“, sagt auch Helmut Mitterer. Der gelernte Steinmetz weiß, wovon er spricht, er ist mit 25 Jahren Erfahrung der Dienstälteste in der Abtragungspartie.
Wenn die Truppe eingespielt ist, geht es auch schnell. Das erste Grab an diesem Vormittag ist nach 20 Minuten Geschichte. Grabsteine, Umrandungen und – wenn vorhanden – Grabplatten werden abtransportiert und zur Wiederverwertung gebracht. So mancher Grabstein findet sich dann geschreddert als Unterlage im Straßenbau wieder.
Besonders gut erhaltenes Grabinventar kann auch zur Wiederverwendung erworben werden – im Sinne der Nachhaltigkeit. Außerdem kann ein komplettes Natursteininventar auch ordentlich ins Geld gehen.
Nur die Grabsteine kann man nicht wiederverwenden. Sie wären zu schmal und hätten darum nicht mehr genügend Standfestigkeit, nachdem man die Inschriften weggeschliffen hätte. Und die Sicherheit geht immer vor.
Die sterblichen Überreste bleiben hingegen an Ort und Stelle. Erst, wenn das Grab neu vergeben wird, werden sie sozusagen tiefergelegt, die Nachmieter ziehen dann einen Stock darüber ein. „Wenn da einer drin ist, bleibt er auf immer und ewig“, sagt Unger. Die Neuvergabe kann aber Jahre dauern.
Auch, weil der Trend bei Bestattungen in eine andere Richtung geht: Urnen-Naturgräber, etwa unter Bäumen, werden immer beliebter. Das ist auch im Sinne der Friedhöfe: Je mehr Grün, desto besser für das Stadtklima. Immerhin sind die 46 städtischen Friedhöfe gemeinsam mit mehr als 5 km2 so groß wie die Brigittenau.
Kreisky und Falco
Zwar sind erst 30 Prozent der Bestattungen in Wien Einäscherungen – im Westen sind es 70 Prozent –, doch der Trend ist klar: „Früher musste ein Grab groß und mächtig sein, dann ist es immer kleiner geworden“, sagt Unger.
Seit 42 Jahren ist der 62-Jährige im Friedhofsdienst, in sechs Wochen geht er in Pension. Erlebt hat er in der Zeit viel, und vielleicht ist sie für ihn gerade deshalb „wie im Flug“ vergangen. Sein erstes, großes Begräbnis war das von Bruno Kreisky, „aber das schönste war der Falco“. Wegen der Rocker und der Musik: „Das war einfach etwas ganz anderes.“
Nach einem ganzen Berufsleben am Friedhof entwickelt man auch ein entspannteres Verhältnis zum Tod. Selbst Trauerfälle im persönlichen Umfeld sieht man irgendwann anders, „weil man weiß, dass überall täglich Menschen sterben“.
Er selbst will verbrannt werden, wenn seine Zeit gekommen ist. Auf den Zentralfriedhof wird Hermann Unger dann nicht zurückkehren. Er will daheim in Neusiedl begraben werden, wo die Kinder sind. Oder, und man sieht, der Gedanke gefällt ihm: „Vielleicht lasse ich mich im Meer verstreuen.“
In dem Fall muss sich auch niemand um das Benützungsrecht kümmern.
Fakten
Abtragungen 20 bis 25 der insgesamt 550.000 Gräber am Zentralfriedhof werden pro Tag abgetragen
Angestellte Insgesamt arbeiten 380 Menschen für die Friedhöfe Wien, 200 davon am Zentralfriedhof – dem mit 2,5 Quadratkilometern zweitgrößten Friedhof Europas
18 Grabarten stehen auf den Friedhöfen Wien zur Auswahl. Die Bandbreite reicht vom klassischen Sarggrab über Waldgräber bis hin zu Regenwasserurnen, aus denen die Asche langsam in den Boden sickert
Kommentare