"Die Leute zieht es heute eher ins Bad als auf unseren Platz", vermutet Gabriel Zirm, Geschäftsführer des Lokals "speisen ohne grenzen". Selbst am Sonntagabend, nur wenige Stunden nach der Schießerei, wären alle Lokale bummvoll gewesen. "Aber da wollten auch viele das Finale der Fußball-Europameisterschaft sehen."
Der Gastronom macht auf ein interessantes Detail aufmerksam, das man nicht kennen muss, wenn man auf dem belebten und beliebten Platz nicht regelmäßig zu tun hat: Der Yppenplatz besteht im Grunde genommen aus zwei gleich großen Teilen. Vorne zum Gürtel hin befindet sich die illustre und gut frequentierte Multikulti-Gastronomie, im hinteren stadtauswärtigen Teil spielen tagsüber viele Kinder und Jugendliche, die ebenso wie der köstliche Khakshirsamen Migrationshintergrund haben.
Abends mutiert das Terrain hinter der öffentlichen Bedürfnisanstalt und der Mauer des Spielplatzes zu einer Form des Marktes, den es in jeder Großstadt gibt und der auch hier immer wieder die öffentliche Sicherheit bedroht.
Erste Reihe fußfrei
Die Dienst habende Klofrau sitzt erste Reihe fußfrei. Sie sagt nur: "Habe ich am Sonntag nichts gesehen. Habe ich immer Türe zu." Aus den Augen, aus dem Sinn. Ihre Kollegin, Albena Ndjalka, hat deutlich mehr gesehen: "Ist kein Geheimnis, dass hier auch Drogen verkauft werden."
Ndjalka arbeitet auch auf den öffentlichen WCs am Margaretengürtel und auf dem Reumannplatz. Unfreiwillig wird sie öfters Augenzeugin von Dingen, die sie eigentlich gar nicht sehen möchte: "Wenn sich Leute 45 Minuten auf Toilette einsperren, kann ich mir schon denken, dass sie sich gerade einen Schuss setzen."
Einmal hat sie am Gürtel das Klo geputzt, als sie einen harten Schlag auf ihrem Hinterkopf spürte. Der Arbeitsplatz auf dem Yppenplatz sei diesbezüglich "fast noch der sicherste".
Vor und hinter der Mauer
Bitte keine Fotos! Auf einer schattigen Bank vor der Mauer zum Spielplatz sitzen Hans und Rudolf. Den "Prosecco vom Fass" können sie sich nicht leisten. Beide schlafen in einer nahegelegenen Männer-Unterkunft.
Persönlich bedroht fühlen sie sich auf dem Yppenplatz nicht. "Ich glaube nach wie vor, dass auf einem Zeltfest am Land mehr passiert als bei uns", denkt Rudolf laut. "Auch am Reumannplatz wird wahrscheinlich mehr los sein", fügt Hans hinzu.
Von der Stadt würden sich beide mehr niederschwellige Sozialarbeit zur Unterstützung der Polizei wünschen. Damit man die Kriminalität "hinter der Mauer" besser eindämmen kann.
Was die beiden älteren Männer mehr beschäftigt, ist die Veränderung ihres Platzes, die man in der Soziologie Gentrifizierung nennt: "Früher war es hier viel bunter. Heute lassen es uns manche Gäste in den schönen Lokalen, die sich ja an sich sehr liberal geben, öfters spüren, dass wir nicht dazugehören."
"Dann frage ich mich schon"
Im Lokal "speisen ohne grenzen" arbeiten Menschen aus Afghanistan, Syrien, Äthiopien, Uganda und Somalia. "Friedlich miteinander", wie Gabriel Zirm betont. Als Geschäftsführer eines privaten Vereins, der auch auf dem Badeschiff auf dem Donaukanal für die Gastronomie verantwortlich ist, arbeitet er täglich daran, dass die Integration in Wien gefördert wird.
Nachdenklich sagt Zirm dann: "Wenn man Menschen einsperrt, weil man sie nicht arbeiten lässt und der Handel mit Marihuana für sie oft die einzige Einnahmequelle ist, dann löst man das Problem nicht. Wenn aber jemand sagt, dass er vor der Gewalt in seiner Heimat geflüchtet ist, und dann hier mit einer Waffe durch die Stadt fährt, um damit auf andere loszugehen, dann frage ich mich schon."
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