Wohnstraßen: Ein Wohnraum am Asphalt

Brigitte Vettori schmökert im „Badezimmer“ in der Pelzgasse in einem Kinderbuch, hinter ihr haben sich junge Erwachsene ein „Wohnzimmer“ eingerichtet
Eine Initiative will Anrainer dazu motivieren, Wohnstraßen als solche auch zu nutzen.

Eine weiße Toilette samt Spülkasten, kuschelige Teppiche und gemütliche Lehnsessel gehören nicht zur üblichen Ausstattung einer Straße. In der Pelzgasse in Rudolfsheim-Fünfhaus waren diese Gegenstände am Freitag trotzdem aufgestellt. Grund dafür war aber keine Sperrmüll-Sammelaktion, sondern der erste „Tag der Wohnstraße“ – den die Kultur-Initiative Space & Place zum Anlass nahm, um den Begriff Wohnstraße wörtlich zu verstehen.

Während sich Kinder im mitten auf der Fahrbahn gelegenen „Spielzimmer“ um ein Schwungtuch scharrten, tratschten junge Erwachsene im „Wohnzimmer“ bei Jazzklängen und Kaffee mit Kuchen. Im „Vorzimmer“ durchstöberten Besucher die Kleiderständer nach Pullovern, Jacken und Hosen, die dort zum Tausch standen.

„Wir haben internalisierte Muster, was man auf Straßen darf und was nicht“, erklärt Initiatorin Brigitte Vettori. „Zum Beispiel haben wir gelernt, nur am Gehsteig zu gehen.“ In Wohnstraßen sei das aber gar nicht notwendig. Laut Straßenverkehrsordnung (StVO) dürfen Autos nur zu- und abfahren, das Betreten der Fahrbahn und das Spielen ist ausdrücklich erlaubt (siehe Fakten-Box). Das beutet: Auch Schachspielen, Kaffeetrinken und Räder schlagen ist gestattet.

Jene eingelernten Verhaltensweisen, die einer solchen Nutzung im Wege stehen, wollen Vettori und ihre Mitstreiter bewusst machen. Sie selbst habe sich erst dazu überwinden müssen, mitten auf der Fahrbahn zu gehen, erzählt die Kultur- und Sozialanthropologin. „Wenn das mehrere machen, beginnt man, sich wohlzufühlen – und die Straße als öffentlichen Wohnraum zu genießen.“ Und das soll laut Vettori wiederum dazu beitragen, dass sich Menschen mit verschiedenen Lebensentwürfen kennenlernen.

Zum Aufenthalt auf der Wohnstraße anregen soll auch der anstehende Umbau der Pelzgasse. Fahrbahn und Gehsteige sollen künftig auf einem Niveau liegen, die Autospur soll verschmälert werden, zusätzliche Bäume sind vorgesehen. Die Baumaschinen sollen 2019 auffahren, bisher gibt es aber nur einen provisorischen Plan.

Illegale Durchfahrten

Die Neugestaltung soll Autolenker vertreiben, die derzeit verbotenerweise durch die Pelzgasse fahren. „Dabei wissen viele genau, dass sie das nicht dürfen“, sagt Bernhard Pavelka von der lokalen Anrainerinitiative. Eine Verkehrszählung aus dem Jahr 2016 habe eine Frequenz von 70 Autos pro Stunde ergeben, erzählt er. Bezirkschef Gerhard Zatlokal (SPÖ) versprach daraufhin, ein Pilotprojekt für eine „echte Wohnstraße“, die ihren Namen auch verdiene. Denn: „Es genügt nicht, am Anfang und am Ende zwei Wohnstraßen-Tafeln aufzuhängen. Wichtig ist, was dazwischen passiert“. Die angrenzenden Straßenzüge sollen schon heuer verkehrsberuhigt werden.

Vettori hofft, dass der Umbau so zeitig fertig sein wird, dass der zweite „Tag der Wohnstraße“ bereits in der neuen Pelzgasse stattfinden kann. „Aber eigentlich ist jeder Tag ein Tag der Wohnstraße“, sagt sie. Jeder kann Sessel hinaus stellen und das tun, was wir hier machen.“

 

Zahlen und Regeln: 35 Jahre alt ist die Wohnstraße mittlerweile. Sie wurde 1983 in der StVO verankert.  179 Wohnstraßen  gibt es in Wien. Das entspricht einer Länge von 33.000 Metern.

5km/h dürfen Autos in Wohnstraßen maximal am Tacho haben – sie dürfen allerdings nur zu- und abfahren. Die  Durchfahrt ist verboten. Radfahren ist erlaubt – auch gegen die Einbahn. 

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