„Voneinander lernen ist wichtig“

Isabella Jandl bei der Eröffnung des neuen Standorts der Mieterhilfe.
Isabella Jandl koordiniert internationale Delegationen zum Thema Wiener Wohnen.

WOHNKURIER: Was beeindruckt ausländische Delegationen an Wien, dass sie extra dafür anreisen?

Isabella Jandl: Die Delegationen, die wir unter anderem betreuen, interessieren sich für die Themen Wohnbaupolitik, sozial nachhaltige Architektur und den kommunalen Wiener Wohnbau. Dazu gehört das Wiener Modell. Ein Modell, das auf drei Säulen beruht: Geförderter Wohnbau, Gemeindebau und private Wohnungen. Besonders interessant finden sie dabei das Förderwesen. Immerhin hat der Wiener Wohnbau ja eine 100-jährige Tradition und das System funktioniert sehr gut. Was die Delegationen wahrscheinlich am meisten beeindruckt ist aber, dass man nicht anhand der Adresse erkennt, wie viel die Bewohner verdienen. Denn in Wien sind Gemeindebauten und von der Stadt Wien geförderte Wohnprojekte in allen Bezirken verteilt.

Welche Wohnbauprojekte zeigen Sie den Delegationen besonders gern?

Ich zeige gern das Projekt Biotope City am Wienerberg. An dem Beispiel sieht man, wie gut eine Metropole mit Klimawandel umgehen kann. Dann die Seestadt Aspern. An der Seestadt sieht man, wie vorbildlich Wien mit der Grundstücksvorsorge aus dem Wohnfond umgegangen ist und dass noch eine Stadtentwicklung möglich ist.Am Beispiel Seestadt Aspern sieht man, dass eine Grundstücksvorsorge durch den wohnfonds_wien, eine wichtige Maßnahme darstellt. Viele Städte haben aber nicht die Möglichkeit, in die Breite zu wachsen. Und wenn es um neuere Projekte geht, dann finde ich das neue Quartier Wolfganggasse interessant, denn dort liegt der Fokus auf Wohnformen für Alleinerziehende.

Gab es im Zuge der Delegationen auch einmal überraschende Momente, wo die Delegierten sagten: Das kennen wir noch gar nicht?

Natürlich. Und zwar bei der Vergabepolitik. Die meisten sind beeindruckt, wie transparent diese vonstattengeht. Auch über den Mieterschutz, den es in vielen Ländern in dieser Form nicht gibt, sind sie oft erstaunt. In Wien kümmert sich unsere kostenlose Servicestelle, die Mieterhilfe, um die Anliegen der Mieter. Das nachbarschaftliche Miteinander und wie bei uns Förderungen vergeben werden, überrascht auch oft. Und dann ist da noch der soziale Mix. Der ist aber der Historie geschuldet. Wien hat sich von Anfang an damit beschäftigt, nicht nur die unterste Einkommensschicht im sozialen Wohnbau unterzubringen. Immerhin wohnen 60 Prozent der Wiener in solchen Wohnungen. Viele andere Städte schaffen das nicht.

Waren Sie schon einmal überrascht von etwas, dass Ihnen Delegierte erzählt haben?

Ja. Ich war überrascht, dass sich vor allem in Deutschland, die Städte vom kommunalen Wohnbau abgewendet haben. Sie haben die Wohnungen vielfach verkauft. Und das bereuen sie jetzt. Der Verkauf städtischer Wohnungen hat schwerwiegende Konsequenzen für die ganze Wohnungspolitik und führt unter anderem zur Erhöhung der Mietpreise.

Wie gehen diese Städte nun vor?

Sie versuchen jetzt, bewährte Ideen aus Wien auf ihre Städte umzulegen. Weil Wien historisch und zukunftsbezogen ein Vorbild in Sachen Wachstum ist. Aber das ist nicht so einfach.

Aus welchen Arbeitsbereichen kommen die Teilnehmer der Delegationen?

Großteils aus der Politik, ob kommunal oder auf Bundesebene. Die sehen sich an, wie man das fair machen kann, damit die Wohnungen wirklich die Menschen bekommen, die sie benötigen. Aber auch von Mieterschutzorganisationen kommen Teilnehmer. Viele sind aus der Architekturbranche. Die sehen sich an, wie soziale Nachhaltigkeit im Wohnbau geschaffen werden kann.

Aus welchen Ländern kamen bereits Delegationen nach Wien, um sich den geförderten Wohnbau anzusehen?

Zirka 70 Prozent kommen aus Deutschland. Der Rest vor allem aus nordischen Ländern wie Schweden, Norwegen, Finnland. Wir hatten aber auch schon Delegationen aus der Schweiz, Südkorea, China und Hawaii hier.

Merken Sie dabei kulturelle Unterschiede?

Ja. Da gibt es schon Unterschiede. Jene aus Asien interessieren sich generell dafür, wie Städte ihren Bewohnern überhaupt Wohnungen zur Verfügung stellen können. Dort ist kommunaler Wohnbau ungewöhnlich und meist Privatsache. Delegationen aus Deutschland und den nordischen Ländern interessieren sich für spezifische Themen, wie für die Vergabe und das gute Miteinander, um Kriminalisierung zu vermeiden.

Wie überbrücken Sie sprachliche Barrieren?

Wenn Besuch aus Deutschland oder der Schweiz da ist, halten wir die Vorträge natürlich auf Deutsch. Ansonsten meist auf Englisch. Die Belegschaft von Wohnservice Wien spricht rund 35 Sprachen und so können wir schon die eine oder andere Delegation auch in deren Muttersprache bedienen.

In welchen ausländischen Städten herrschen ähnliche Wohnverhältnisse vor wie in Wien? Momentan ist da Wien wirklich Vorreiter. Ich wüsste keine Stadt, die ein ähnliches System hat. Man kann die 100 Jahre Tradition nicht so leicht aufholen. Das was das Rote Wien damals geschaffen hat, wird dieses Jahr auch gebührend bei 100 Jahre Gemeindebau gefeiert. . Man darf sich auf dem Erfolg aber nicht ausruhen und das tut man auch nicht. Das zeigt die neue Widmungskategorie, die eingeführt wurde (Geförderter Wohnbau; Anm.).

„Voneinander lernen ist wichtig“

Die Delegationen reisen aus Deutschland, dem Norden und Asien an.

Wie ist der Ablauf eines Delegationsaufenthaltes und wie unterstützen Sie diesen?

Grundsätzlich ist es eine Frage der Zielgruppe. Nicht jeden interessiert das Gleiche. Deshalb wird immer ein Hauptthema, wie zum Beispiel „Nachbarschaftskonflikt“, festgelegt. Dann gibt es einen theoretischen Teil und danach fährt man meist zu einem Projekt. Dort holen wir uns auch verschiedene Organisationen, wie die Gebietsbetreuung Stadterneuerung, mit ins Boot, um wirklich exakt zu informieren. Die Delegationen sind meistens begeistert, weil sie dadurch nicht nur oberflächliche Informationen bekommen, sondern wirklich konkrete Ansprechpartner haben.

Wie geht es nach dem Ende der Delegationsbesuche weiter, besteht weiterhin ein Austausch?

Ja, wir hatten zum Beispiel die Wirtschaftsministerin aus Baden-Württemberg hier, durch die ein weiterer Kontakt mit der dortigen Handwerkskammer entstanden ist, die dann ihrerseits eine Delegation nach Wien entsandte. Prinzipiell arbeitet man aber durch den Besuch besser zusammen und hält dadurch Partnerschaften mit anderen Städten am Leben.

Wissen Sie von Projekten in anderen Ländern, wo dieser Input aus Wien dann auch wirklich eingearbeitet wurde?

Ich war bei einem Vortrag in Berlin, wo es um faires Wohnen ging, und dort gab es Workshops, wo das Wiener Modell durchaus eingeflossen ist.

Was können wir von Delegationen lernen oder hat Wien schon etwas gelernt?

Man lernt nie aus, das einmal grundsätzlich. Wir können aber vor allem lernen, dass kommunaler Wohnbau keine Selbstverständlichkeit ist. Man weiß, dass erst zu schätzen, wenn man es von einer Person von außen hört. Ich weiß dadurch, dass es gut ist Energie dafür aufzuwenden und die Projekte bestmöglich weiterzuführen. Man kann die Zukunft zwar nicht vorhersagen, aber man kann sie planbarer machen. Und das ist nötig, um Wien weiterhin zur lebenswertesten Stadt zu machen, wie diverse Ehrungen beweisen.

Warum finden Sie es wichtig, dass Delegationen andere Länder besuchen?

Grundsätzlich ist das Austauschen von Erfahrungen sehr wichtig. Man sollte über den eigenen Tellerrand schauen , von den guten Beispielen das Beste herausholen und von den negativen lernen, um Fehler in der Zukunft zu vermeiden. Voneinander lernen ist einfach wichtig.

Zur Person

Isabella Jandl ist Prokuristin bei Wohnservice Wien. Ihr obliegen einige Abteilungen, die mit Beratung zu tun haben, sei es persönlich, telefonisch oder schriftlich. Zusätzlich koordiniert sie die Delegationen, die zum Thema Wohnen nach Wien einreisen. Jandl hält vor den Delegationen Einführungsvorträge über das geförderte Wohnen. Dabei informiert sie über Einwohnerzahlen, den aktuellen Zuwachs und wie das Wiener Modell aufgebaut ist. Auch über die historischen Hintergründe weiß sie Bescheid.

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