Stadtarchäologie: Luxus in Zeiten der Wirtschaftskrise
1922 war ein hartes Jahr. Die Arbeitslosigkeit war hoch, die Bevölkerung hatte sich kaum vom Ersten Weltkrieg erholt. Zudem herrschte Hyperinflation und obwohl die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs in Wien die Absolute erreicht hatte, waren viele Reformen kaum angelaufen. Dass just zu dieser Zeit im Schatten der Karlskirche ein Einkaufszentrum für Luxuswaren eröffnete, gefiel nicht allen Wienern.
Noch am 12. Dezember hielten Arbeitslose vor dem neu eröffneten Gebäude eine Kundgebung ab. Obwohl wenige Tage zuvor beieinem Wohltätigkeits-Weihnachtsmarkt Spenden gesammelt worden waren.
Es ist ein fast vergessenes Stück Stadtgeschichte, das Archäologen und Historiker kürzlich präsentierten: Im Zuge der Generalsanierung des Wien Museum wurden die Beton-Fundamente des historischen Shoppingcenters freigelegt.
Zwar war bekannt, dass sich an dieser Stelle Verkaufshallen befunden haben. Doch welche Rolle diese im „Roten Wien “ gespielt haben, musste Stadtarchäologin Heike Krause erst recherchieren. Sie entdeckte nicht nur den Bauakt. „Händler haben ihre Produkte auch in den Zeitungen aus der Zeit angepriesen“, berichtet sie. In den 3.000 Quadratmeter großen Verkaufshallen und 1.800 Quadratmeter Ausstellungsfläche wurden Pelze, Hüte, Schirme, Schuhe Automobile, Motorräder und „Phänomobile“ – Dreiräder – angeboten.
Selbst Museumsdirektor Matti Bunzl wusste nichts von der Existenz der Luxus-Mall – obwohl sich im Archiv mehrere Fotografien von damals befinden. „Die Stadt ist voller Geschichten, die zwar nicht unbedingt geheim sind, die aber niemand kennt“, freut er sich nun über den Fund.
Wirtschaft ankurbeln
Was Historiker und Archäologen über die Errichtung der Verkaufshallen recherchierten, erinnert frappant an Diskussionen, die sich noch heute ähnlich zutragen: Denn eigentlich sollte hier, neben der Karlskirche, zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein von Otto Wagner entworfenes Stadtmuseum entstehen.
Doch Kritiker fürchteten, dass der Bau der Wirkung der prunkvollen Karlskirche schaden könnte. Nach massivem Widerstand scheiterte das Projekt.
Stattdessen errichtete die Firma Barth und Co. mit Unterstützung der Stadt die Verkaufshallen, um Luxuswaren feilzubieten. Für die Stadt auch im „Roten Wien“ kein Widerspruch: „Damit sollte die Konjunktur angekurbelt werden“, erklärt Krause. Ein Plan, der kurze Zeit später jedoch schief gehen sollte.
Käufer blieben aus
Zunächst wurde am 16. August 1922 die Eröffnung gefeiert. Als die Käufer ausblieben, zogen immer mehr Werkstätten ein, ab 1925 wurden die Hallen zunehmend als Lager verwendet. Schließlich öffnete 1927 der laut Eigendefinition „Erste Wiener Stadtheurige“ mit Schrammelmusik und staubfreien Prachtgärten.
Mit der großen Depression wurde am 29. November 1933 der Abbruch eines Teils der Halle genehmigt. „Auf Dauer war der Absatz nicht befriedigend“, erklärt die Stadtarchäologin. 1936 wurden die Hallen dem Erdboden gleich gemacht und gerieten in Vergessenheit.
Auch jetzt sollen die Fundamente nicht erhalten bleiben, wie Grabungsleiter Martin Mosser erklärt. Die Fundamente würden nun dank der „wunderbaren Kartengrundlagen“ freigelegt und genau dokumentiert. Die Erkenntnisse sollen publiziert werden. Und: Es wird noch tiefer gegraben.
Denn neben dem Wien Museum floss einst in sieben Metern Tiefe der Wienfluss, ehe er verlegt wurde. Möglicherweise, meint Mosser, könnten Funde aus der Römerzeit zutage treten. Immerhin befinde man sich unmittelbar vor der ehemaligen Stadtgrenze. „Ich trau’ mich gar nicht auszusprechen, was da alles sein könnte“, sagt der Grabungsleiter und er klingt aufgeregt.
Auf Kopfsteinpflaster, das aus der Zeit vor dem Einkaufszentrum stammt, sind die Archäologen bei ihren Grabungsarbeiten bereits gestoßen.
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