Neue Wohnträume: So wollen wir jetzt leben

Balkone und Terrassen sind ein Erholungsort. Daher sind Gestaltung, Ausrichtung und Grünflächen im Blickfeld wichtig. 
Viele Wochen haben wir während der Corona-Beschränkung zu Hause verbracht – die Zeit wird die Wohntrends der nächsten fünf Jahre nachhaltig prägen.

„Die Wohnung war wie die vernachlässigte Tante. Jeder weiß, man muss endlich anrufen, aber man weiß auch, sie ist anspruchsvoll und man muss sich Mühe geben“, sagt Zukunftsforscherin Oona Horx Strathern. Doch das habe sich in den vergangenen Monaten grundlegend geändert. Denn während der Ausgangbeschränkungen im März und April hatten die Menschen Zeit, sich mit ihren Wohnbedürfnissen auseinanderzusetzen und ihre Ansprüche und Anforderungen an die eigenen vier Wände zu hinterfragen.

Der KURIER hat mit der Zukunftsforscherin, Wohnpsychologen, Architektin und Immobilienexperten gesprochen und herausgefunden, welche Wohntrends in den nächsten fünf Jahren aufkommen werden.

Neue Wohnträume:  So wollen wir jetzt leben

Trendforscherin Oona Horx Strathern

1. Flexible Grundrisse

Wenn die Wohnung nicht nur ein Ort der Entspannung ist, sondern auch Arbeit und Schule dort stattfinden, werden flexible und multifunktionale Grundrisse unerlässlich. Oona Horx Strathern: „Räume müssen wie eine Tafel Schokolade aufgeteilt werden können.“ Da Wohnungen in den vergangenen Jahren aus Kostengründen zudem immer kleiner geworden sind – und nun ihr maximales Minimum erreicht haben –, ist die multifunktionale Verwendung von Räumen entscheidend.

Denn, so Hannes Speiser vom Immobilienentwickler Winegg: „Die Ansprüche sind individueller geworden. Dafür müssen wir Möglichkeiten schaffen.“ Flexible Wandsysteme beispielsweise machen Grundrissänderungen auch nach vielen Jahren möglich. Speiser: „Damit kann ein Zimmer jederzeit abgetrennt oder aufgemacht werden, auch die Zusammenlegung von zwei Wohnungen ist dann kein Problem.“

2. Grüne Sehnsucht

„Balkone oder eine geteilte Terrasse sollten ein Grundrecht sein“, sagt Oona Horx. „Die Corona-Krise hat gezeigt, dass Freiflächen kein Ort für Gerümpel sind, sondern ein Platz zwischen persönlichem und öffentlichem Raum. Sie bieten frische Luft und Kontakt zu Nachbarn.“

Der Grazer Wohnpsychologe Harald Deinsberger-Deinsweger wirft an dieser Stelle ein, dass „der Balkon ein Erholungsort ist und keine Bühne.“ Wer sich exponiert fühlt, kann nicht entspannen. Für eine ordentliche und entspannungsbringende Umsetzung seien vor allem die Planer gefragt. Markus Pendlmayr von einszueins Architektur ist so ein Planer. Er weiß: „Das Angebot an Freiflächen steigt in Wien stetig, dabei ist die Qualität der Umsetzung sehr wichtig. Denn Balkone über stark befahrenen Straßen oder ohne Sonnenschutz an Südlagen werden nicht genutzt.“

Außerdem werden in Zukunft Grünflächen rund um das Haus für Wohnungssuchende wichtiger sein als etwa ein zweites Badezimmer. Immerhin bringt ein Baum bis zu sechs Grad Abkühlung. „Wer die Wahl hat, wohnt lieber in einer begrünten Wohnstraße, als dort, wo die Hitze dem Asphalt aufsitzt.“

3. Gemeinschaftsflächen

Im sozialen Wohnbau und im Luxussegment gehören Gemeinschaftsflächen außerhalb der Wohnung – wenn auch sehr unterschiedlich umgesetzt – schon lange zur Grundausstattung. „Dieser Trend kommt immer mehr auch im mittleren Preissegment an und wird weiter steigen“, sagt Martin Müller von JP Immobilien. Das habe auch Kostengründe: „Wer einen Gemeinschaftsraum nutzen kann, um Freunde zum Fußballschauen oder zum Spieleabend einzuladen, kann die Wohnung mit dem kleineren Wohnzimmer mieten oder kaufen.“

Gemeinschaftsräume sind aber auch ein wichtiger Aspekt für die „soziale Regulation“ geworden. Dazu Wohnpsychologe Harald Deinsberger-Deinsweger: „Rückzugsorte und Begegnungsorte außerhalb der Wohnung bringen Ruhe in das gemeinsame Zusammenleben.“ Darauf werde in Zukunft mehr Wert gelegt.

4. Öko-Bau

Berechnungen von proHolz Austria zeigen: Ein Holzbau verursacht im Vergleich zu einem herkömmlichen Bau um bis zu 93 Prozent weniger -Emissionen. Architekt Pendlmayr: „Wir werden in Zukunft auch in Wien viel mehr Holzbauten sehen. In Deutschland und Frankreichen setzt sich das bereits durch.“ Ökologische Baustoffe seien nicht zwingend teurer als Massivbau – und Beton werde es trotzdem geben, „jeder Baustoff wird seinen Platz finden“.

Auch in der Inneneinrichtung steht eine Kehrtwende bevor. Das habe der Sturm auf die Baumärkte nach dem Lockdown gezeigt. Horx Strathern: „Während wir jeden Tag auf dem Sofa gesessen sind, haben wir uns irgendwann gefragt, aus welchem Material der Bezug eigentlich ist.“ Teilweise sei die Luftqualität in der Wohnung schlechter als draußen, weil so viele Giftstoffe in den Produkten enthalten sind. Dessen werden sich die Menschen immer mehr bewusst und investieren in gesunde und nachhaltige Möbel. Das komme mittlerweile auch bei den großen Möbelketten an.

5. Es wird smart

Der Hype der herkömmlichen Smart Homes ist vorbei, davon ist Oona Horx Strathern überzeugt: „Wir wollen kein überdigitalisiertes Zuhause. Durch die Corona-Krise ist das Interesse am Smart Home zurückgefallen – und das wird nun auch eine Weile so bleiben.“

Allerdings werde smart im Sinne von besseren, nachhaltigen Energiesystemen immer wichtiger. Dem pflichtet auch Immobilienexperte Martin Müller zu: „Digitalisierung und Technik in Immobilien wird im Bereich des intelligenten Energiemanagements massiv steigen.“ Das betreffe das automatisierte Beschattungssystem genauso wie die Stromgewinnung aus Fotovoltaikanlagen und Fußbodenheizung mit Niedrigenergie. Somit wird die Technik im Wohnraum zwar nicht weniger, ihr Nutzen verschiebt sich aber in Richtung smarte Energiesysteme statt selbstbefüllender Kühlschränke.

Auch Organisationsstrukturen werden sich in den digitalen Bereich verlagern. Hannes Speiser: „Nicht nur der Haustürschlüssel, auch das Smartphone wird künftig ein Teil des Wohnens.“ Der Informationsaustausch mit der Hausverwaltung und diverse Serviceleistungen, wie etwa eine digitale Zutrittskontrolle oder Paketempfangsboxen, werden zukünftig über eine App am Handy stattfinden. Der Wohnkomfort wird sich somit in den kommenden Jahren auch digital manifestieren.

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Seebogen, BPL G5B. Grundriss-Beispiel: 3-Zi-SMART-Wohnung (75 ), Kosten/Monat: € 560 brutto (Eigenmittel € 40.500) 

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Grundriss-Beispiel für Alleinerziehende mit Kind: 46 plus Balkon – Plus-Raum als Arbeitsplatz,  Kinderzimmer

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BPL 7, Neubau der BWM Architekten und  Partner ZT GmbH

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Beispiel, BPL A:  Ein-Zimmer-SMART-Wohnung (ca. 37m2)  plus Balkon (5 m2) Kosten pro Monat: rund € 300 brutto, (Eigenmittel € 2.400)

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