„Nicht erschrecken bei der Zufahrt“, sagt Wolfgang Ablinger von der MA 28, als es holprig steil bergauf geht. Das Auto fährt eine schmale Straße entlang umgeben von Bäumen. Kaum vorstellbar, dass auf demselben Weg Transporter mit Tonnen an Pflastersteinen unterwegs sind.
Als sich die Dichte der Bäume lichtet, macht das Auto vor einem riesigen Steinhaufen halt. Er befindet sich inmitten des aufgelösten Sieveringer Steinbruchs - dem sogenannten Gspöttgraben.
Der Sieveringer Steinbruch liegt in Döbling – im Nordwesten Wiens. Schon zur Zeit des Römischen Reichs befand sich dort ein großer Steinbruch, dessen Steine für das Militärlager Vindobona verwendet wurden. Auch eine größere Arbeitersiedlung soll sich dort befunden haben. Das Römische Reich ist zwar schon lange Geschichte, der Steinlagerplatz aber nicht.
„Im Prinzip ist es nichts Neues, was wir hier machen – auch beim Straßenbau nicht“, erklärt Ablinger. „Zum Beispiel haben auch die Römer ihre Straßen schichtenweise aufgebaut.“
Abgesehen vom kontemporären Straßenbau haben die Römer auch im Nahbereich des Döblinger Steinbruchs ihre Spuren hinterlassen: Unweit vom Lagerplatz wurde ein römisches Mithräum, also ein Weihealtar für den Gott Mithras gefunden, das im Römermuseum am Hohen Markt zu besichtigen ist.
Aber nicht nur zu Römerzeiten wurde der Steinbruch genutzt. Bis 1921 war der einstige römische Steinbruch eine Materialgewinnungsstätte. Von hier wurden unter anderem Pflastersteine für die Straßenbefestigung gewonnen. Die Gewinnung des sogenannten Sieveringer Sandsteins verlief aber nicht unproblematisch: „Wenn ich mir eines aus meiner Geologievorlesung auf der Uni gemerkt habe, dann, dass in diesem Steinbruch einige Todesfälle gegeben hat“, sagt Wolfgang Ablinger.
Vorhang auf
Weitaus erfreulicher ist die Nutzung des Steinbruchs im 20. Jahrhundert verlaufen. Damals wurde der Gspöttgraben als Veranstaltungsstätte genutzt. „So ziemlich alle bekannten Kabarettisten sind hier aufgetreten“, erzählt Ablinger und deutet auf die hohen Felsen, „der Steinbruch ist auch in die Kulisse miteingeflossen.“ So sei etwa Roland Düringer auf der Bühne im Gspöttgraben gestanden, und bekannte Stücke wie „Die drei Musketiere“ wurden aufgeführt.
Das sogenannte „Sieveringer Sommertheater“ wurde 1984 von Schauspieler und Kabarettist Herwig Seeböck ins Leben gerufen.
Seit wann genau der Steinbruch als Lagerstätte genutzt wird, kann Ablinger nicht sagen. „Ich gehe davon aus, dass es seit der Gründung der MA 28 als Lagerplatz genutzt wird.“
Ordnung ist essenziell
Heute werden gebrauchte Materialien dort gelagert. Dazu zählen etwa Naturwerksteine aus Granit und Betonwerksteine. Während Ablinger durch die verschiedenen geschlichteten Steinpaletten führt, fallen immer wieder Schriftzüge ins Auge. So auch ein gelbes A mit dem Beisatz „Kärntner Str.“. Die Erklärung: Die gelagerten Steine sind beschriftet.
Dadurch können beispielsweise Pflastersteine, die aufgrund von Aufgrabungen oder Umbauarbeiten im Moment nicht gebraucht werden, später an ihren Herkunftsort zurückkehren. Auch ein Stück Stephansplatz findet im Gspöttgraben ein temporäres Zuhause: Rauchquarz, der die Virgilkapelle optisch akzentuiert, wird dort gelagert.
Ein großer Haufen in der Mitte des Lagerplatzes bildet die Ausnahme der akribischen Ordnung. Diese Steine werden nicht beschriftet, da sie universell einsetzbar sind.
Auf vielen Steinen sind Bearbeitungsspuren auch für Laien mit freiem Auge sichtbar. Randsteine werden am Gspöttgraben aufbereitet und finden später erneut Verwendung. Doch nicht nur „recycelte“ Steine, also Steine, die schon einmal eingesetzt und neu bearbeitet wurden, sind unter den Exemplaren am Gspöttgraben.
Renaissance der Steine
„Die Zeit für derartige Steine ist abgelaufen“, sagt Ablinger und deutet auf Pflastersteine mit einer Rille, die noch auf eine Zeit mit Pferden im Straßenverkehr verweisen. Heute werde barrierefrei gebaut, so sollen große öffentliche Plätze wie der Neue Markt, der Christian-Broda-Platz oder der Stephansplatz zugänglicher gemacht werden.
Man setze deshalb vermehrt auch auf helle Pflasterung. Diese sei zwar schmutzanfälliger, aber würde dafür an heißen Tagen weniger Wärme aufnehmen können. „Die Pflasterung in Wien erlebt definitiv eine Renaissance und leistet einen wertvollen Beitrag für die aktuell notwendigen Klimawandelanpassungsmaßnahmen“, so Ablinger weiter.
Vom Nockerl zum Splitt
Doch nicht jeder Pflasterstein findet eine neue Verwendung. „Nockerl“ nennt man im Gspöttgraben jene Steine, die endgültig aussortiert werden. Ausgeschiedenes Material wird im Anschluss verkauft und von Firmen weiter zu Splitt oder anderen Materialien verarbeitet. „Mein Herz blutet aber jedes Mal, wenn Steine nicht mehr einsetzbar sind“, sagt Wolfgang Ablinger.
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