Wilhelminenberg: Sämtliche Heimakten vernichtet

Schloss Wilheminenberg
Der Endbericht über die Geschehnisse im Kinderheim Wilhelminenberg liegt vor: Vergewaltigungen, äußerste Brutalität und sämtliche Unterlagen wurden vernichtet.

Es muss wie ein Rollkommando gekommen sein: Lastwagen fuhren im Jahr 1977 beim Schloss Wilhelminenberg vor. Sämtliche Heimakten wurden in die Lkw verladen. Der rasche Abtransport hat nur einem Ziel gegolten: Die Akten zu vernichten.

„Es gibt keine Heimakten, keine Kinder- und keine Heimlisten vom Wilhelminenberg“, sagte Barbara Helige gestern bei der Präsentation des Endberichtes der Kommission Wilhelminenberg. „Die Vernichtung der Aufzeichnungen mit der Schließung des Heimes ist ein äußerst unüblicher Vorgang“, erklärte auch Gabriele Wörgötter, Psychiaterin und Mitglied der Kommission.

Illegal

Für Helige, die die Wilhelminenberg-Kommission leitet, ist klar: „Die Vorschriften zur Aktenvernichtung aus dem Jahr 1977 wurden nicht eingehalten.“ Es war illegal, die Unterlagen zu vernichten. Die Spuren, die zu möglichen Tätern oder Hintergründen führen könnten, wurden mit dieser Aktion für alle Zeiten verwischt. Anders als in anderen ehemaligen Kinderheimen, wie Kommissionsmitglied Michael John sagte, sind sämtliche Dienstbücher oder Krankenakten verschwunden. Sofort, am Tag der Schließung des Heimes.

Die Mitglieder der von der Stadt Wien eingesetzten Kommission mussten sich daher vor allem auf Aussagen von Zeitzeugen stützen. Nach eineinhalb Jahren Arbeit wurde am Mittwoch der Endbericht vorgestellt.

Das ehemalige Kinderheim der Stadt Wien im Schloss Wilhelminenberg gilt seit knapp eineinhalb Jahren als Synonym für Gewalt – vor allem auch sexuelle – gegen Kinder.

Die Kommission berichtet im Endbericht (siehe auch Artikel unten) über „massiven sexuellen Missbrauch im Heim“. Mehrere Zeitzeuginnen bestätigen dies. Helige: „In erster Linie waren es Täter von außen, die mithilfe von Erzieherinnen Zugang zu Schlafsälen gefunden haben.“ Die Vergewaltigungen haben in anderen Räumen stattgefunden.

Überbordende Gewalt und die Erniedrigung der Kinder wurde ebenfalls bestätigt. Die Brutalität, mit der Kinder im Heim Wilhelminenberg körperlich misshandelt wurden, war, so Helige, auch durch das damals geltende Züchtigungsrecht nicht gedeckt. Die Heimverordnung aus dem Jahr 1956 verbot sogar ausdrücklich das Schlagen von Kindern.

Behörden und Politik müssen bereits seit den 1960er-Jahren von den schrecklichen Zuständen im Heim Bescheid gewusst haben. Geschehen ist nichts. Bis 1977. Das Großheim wurde als Erstes in Wien zugesperrt. Und sämtliche Hinweise auf Täter vernichtet.

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Mehr Infos unter www.kommission-wilhelminenberg.at

Hintergrund

Ins Leben gerufen wurde die Kommission Wilhelminenberg von Stadtrat Christian Oxonitsch (SPÖ). Den Vorsitz übernahm Barbara Helige. Die Leiterin des Bezirksgerichtes Wien-Döbling ist auch Präsidentin der österreichischen Liga für Menschenrechte. Dem Gremium gehört auch Helge Schmucker an. Die Juristin war unter anderem Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes. Die Psychiaterin und Gutachterin Gabriele Wörgötter und der Linzer Universitätsprofessor Michael John, der schon in Oberösterreich über die Erziehung in Heimen geforscht hat, komplettieren das Quartett. Neben den genannten Personen wurden von der Kommission zahlreiche Psychologen und Historiker beschäftigt.

Das 1977 geschlossene Kinderheim Wilhelminenberg ist die einzige derartige Institution in Wien, die eingehend durchleuchtet wurde. Heute ist in dem Gebäude ein Hotel untergebracht.

Zwei ehemalige Heimkinder von Wilhelminenberg begleiteten den KURIER zur Präsentation des Kommissionsberichtes. Helmut Oberhauser, 63, landete in den 1950er-Jahren zwei Mal im Kinderheim Schloss Wilhelminenberg. Die brutalen Erlebnisse hat er in seinem Buch „Die blaue Decke“ (Verlag „novumpro“) eindrucksvoll geschildert. Im KURIER-Interview berichtete er unter anderem von Mädchen, die in den Duschräumen des Heimes vergewaltigt wurden. Heute ist Oberhauser glücklich verheiratet und malt realistische Bilder. Er ist – wohl wegen seiner besonnenen Art – eines der wenigen ehemaligen Heimkinder die direkten Kontakt zur Stadt Wien haben.

Jutta H., 55, verbrachte Teile ihrer Jugend in den 1970er-Jahren im Kinderheim Wilhelminenberg. Sie berichtet dem KURIER, dass sie im Waschraum des Heimes „brutal mit der Faust“ geschlagen und „mit kaltem Wasser abgespritzt“ wurde. Sie erzählt auch von Vergewaltigungen im Heim. „Die Männer habe ich nicht gekannt.“ Seit 13 Jahren ist sie in Psychotherapie. „Der Wilhelminenberg hat mich aufgefressen.“ Erst vor kurzem hat sie ihre Söhne und ihren Mann von ihren Erinnerungen an das Heim erzählt.

KURIER: Sie beide haben sexuellen Missbrauch im Heim miterlebt – als Zeuge oder am eigenen Leib. Herr Oberhauser, was haben Sie erlebt?
Helmut Oberhauser: Ich habe ausufernde Gewalt erlebt und war Zeuge von sexuellem Missbrauch. Das hat mich wahnsinnig schockiert. Ich war damals acht bzw. elf Jahre alt. Zwei Erzieher haben in einer Dusche ein Mädchen vergewaltigt. Das habe ich gesehen. Für mich ist das unvergesslich. Ich habe das auch der Jugendfürsorge gemeldet. Mir wurde gesagt, ich solle so einen Blödsinn nicht erzählen, sonst lande ich in der Psychiatrie.

Was war Ihr erster Gedanke, als Sie ins Heim Wilhelminenberg gebracht wurden?
Frau H.: Das ist ein Riesen-Anwesen! Ich bin aus der Schule abgeholt worden und wusste nicht, wo ich hinkomme. Ich hatte Angst.

Sie haben Vergewaltigungen erlebt?
Frau H.: Eine Erzieherin ist in den Schlafraum gekommen. Sie hat mich aus dem Bett rausgezogen, die Stiegen rauf und mit einem Rempler in einen Raum gestoßen.

Dort waren Männer?
Frau H.: Manchmal waren es zwei, manchmal nur einer, ab und zu auch drei. Die haben zuerst gemeint, ich soll locker bleiben. Dann hat mich einer gepackt und aufs Bett geschmissen und ...

Geschah das häufig?
Frau H.: Das ist sehr oft vorgekommen. Und es waren andere Mädchen auch betroffen. Die Erzieherin hat immer eine von uns geholt. Oft ist man dann blutüberströmt zurückgekommen. Und die Erzieherin sagte: „Halt den Mund, sonst bist du wieder dran.“

War es immer die gleiche Erzieherin?
Frau H.: Es war immer die Schwester Linda, die hat mich immer geholt.
Wie interpretieren Sie den Bericht der Kommission?
Oberhauser: Ich vermisse eine Beweislage. Es wurde gesagt, dass sämtliche Akten vom Wilhelminenberg vernichtet wurden und man sich auf die Aussagen verlassen hat. Das ist für uns Betroffene nichts Neues. Der Bericht ist nur eine Bestätigung dessen, was die Leute in den zwei Jahren immer wieder in den Medien sagten. Was soll dieser Bericht? Ich kritisiere, dass die Betroffenen nicht am Podium gesessen sind und nur die Experten darüber berichteten, was sie von uns gehört haben. Ich nehme die Gemeinde Wien dezidiert aus, weil sie guten Willen gezeigt und diese Untersuchung in Auftrag gegeben hat.

Frau H.: Ich schließe mich ihm an. Wir Betroffene hätten dort auch am Podium sitzen sollen. Es stimmt, dass das alles niemand rückgängig machen kann. Aber den Schmerz haben wir erlitten.

Zumindest ist es seit heute quasi amtlich, dass die Aussagen der ehemaligen Heimkinder zum Großteil stimmen.
Oberhauser: Ja, diese Bestätigung hat der Bericht gebracht. Die Kommission hat sich der Berichterstattung der Betroffenen angeschlossen, sie gesammelt und gebündelt. Die Aussagen mit Akten und Dokumenten zu unterstreichen, war selbst dieser Kommission unmöglich. Und ob man die Täter noch zur Verantwortung zieht, ist gleich wieder weggewischt worden.

Sie wollen der Erzieherin Linda gegenübertreten?
Frau H.: Ja, wirklich. Ich würde sie etliches fragen. Was sie dabei empfunden hat, was sie sich dabei gedacht hat. Was man da einem Kind angetan hat, ob sie kein Herz im Leib gehabt hat? Jetzt heißt es nur immer, „es ist verjährt“. Nicht nur die Vergewaltigungen, auch die Brutalität: Wir wurden geschlagen, eingesperrt, ins Wasser eingetunkt. Die Verantwortlichen sollen uns sagen: Es ist passiert! Und uns dabei in die Augen schauen. Und sie sollen dafür sorgen, dass das nie wieder passiert.

Der 345 Seiten starke Bericht der Wilhelminenberg-Kommission spricht Bände: Die 140 Interviews mit den ehemaligen Heimkindern lassen darauf schließen, dass nicht nur Angestellte des Kinderheimes, sondern auch heimfremde Personen am sexuellen Missbrauch der Kinder und Jugendlichen beteiligt waren. So decken sich die Angaben vieler Zeuginnen, „dass Mädchen aus den Schlafsälen geholt und dem Missbrauch zugeführt wurden“. So berichtete eine Zeugin, dass sie drei bis vier Mal im Monat „unterschiedlichen Männern im Keller zugeführt worden sei“. Ein anderes Mädchen erinnerte sich daran, dass es insgesamt etwa zwölf Mal missbraucht worden sei. Die Aussagen von einigen Missbrauchsopfern belasten nicht nur Fremde, von denen es großteils nur vage Beschreibungen gibt, sondern Erzieher, Hausangestellte und Arbeiter.

Indes fand die Kommission keine Hinweise, dass es in den Schlafsälen Massenvergewaltigungen gegeben hätte oder Mädchen durch Zuhälter der Prostitution zugeführt worden wären. Aber der Großteil der befragten ehemaligen Heimkinder bestätigte, dass fremde Männer nächtens in das Haus eingestiegen seien.

Die Untersuchung konnte auch nicht den Verdacht erhärten, dass ein Heimkind gewaltsam zu Tode gekommen wäre. Da aber keine Namenslisten der untergebrachten Kinder vorliegen, kann ein gewaltsamer Todesfall nicht gänzlich ausgeschlossen werden.

Die Wiener Oppositionsparteien fühlen sich durch den Bericht der Wilhelminenberg-Kommission in ihren Vorwürfen bestätigt. „Wir konnten erst gar nicht glauben, dass diese schwersten Verbrechen der Nachkriegszeit von oben gedeckt wurden“, sagte FPÖ-Bundes- und Landesparteiobmann Heinz-Christian Strache. Er fordert nun eine gemeinderätliche Untersuchungskommission zur Klärung der politischen Verantwortung.

VP-Chef Manfred Juraczka sagte, er sei „erschüttert über Ausmaß der Vorfälle am Wilhelminenberg“. Er bemängelte, dass sich die SPÖ mit der Vergangenheitsbewältigung weiter schwer täte. „Es liegt nun an der SPÖ, wie sie mit der politischen Verantwortung umgeht.“

Der zuständige Stadtrat der SPÖ, Christian Oxonitsch, versprach einmal mehr eine lückenlose Aufklärung. Gleichzeitig werde man dafür sorgen, „das so etwas nie mehr passieren kann.“

Opferanwalt Johannes Öhlböck, der mehrere Heimkinder vertritt: „Die Aussagen meiner Mandanten wurden bestätigt und konnten nicht widerlegt werden. Ich freue mich, dass eine Dokumentationsstelle gegründet wird.“

Im folgenden Auszüge aus dem Endbericht der Wilhelminenberg-Kommission, der am Mittwoch präsentiert wurde. In der 344 Seiten umfassenden Expertise sind unter anderem zahlreiche Aussagen von Zeugen enthalten:

"Bin wie ein Koffer abgestellt worden"

Über die Ankunft der Kinder: "Die Fahrt auf den Wilhelminenberg erfolgte per öffentlichen Verkehrsmitteln, mitunter auch per Taxi; der Gebrauch von Privatautos war untersagt. Die anschließende Übergabe sowie die Ankunft im Kinderheim konzentrierten sich ausschließlich auf administrative Belange. Die persönliche Befindlichkeit der Kinder blieb unberücksichtigt."

Dazu ein Zitat einer betroffenen Person: "Ich bin hingekommen, bin wie ein Koffer abgestellt worden, hab mein Gewand gekriegt und Schnauze halten.“

"Vom ersten Tag an wurde darauf geachtet, dass die Kinder sich der Heimordnung fügten und somit widerstandslos in das Heimleben eingeordnet werden konnten. In der Gruppe, der sie zugeteilt wurden, kannten sie niemanden (...) Niemand teilte ihnen mit, wo ihre Angehörigen hingekommen waren oder ob ihre Familie überhaupt wusste, wo sie selbst waren. Die Kinder wurden nicht darüber informiert, wie lange sie hier bleiben sollten oder was weiter mit ihnen geschehen würde. Auch der Kontakt zu anderen Gruppen im Heim wurde untersagt. Diese völlige Isolation führte zu schweren Traumatisierungen und späteren Beziehungsstörungen."

"Auch das Essen in der Gruppe war durch verschiedenste Zwänge und gleichzeitige Willkür geprägt. Die Speisen wurden zumeist in den Tagräumen der Kinder eingenommen, somit waren sie der Bestrafung und Kontrolle ihrer jeweiligen Erzieher ausgesetzt. Die Schilderungen von Gewalttätigkeiten und Zwängen bei Tisch betreffen die gesamte Heimzeit bis 1977. Es kam vor, dass Kinder, die nicht aufessen wollten oder konnten – viele Zeugen berichten davon –, mit dem Gesicht in die Suppe gestoßen wurden oder sitzen bleiben mussten, bis sie aufgegessen hatten."

Der Bericht schildert weiters die dauernde Stigmatisierung mancher Betroffener: "So wie vom Jugendwohlfahrtsträger die Verwahrlosung des Herkunftsmilieus als Grund der Überstellung der Kinder in Heimerziehung festgestellt wurde, wurden die Heimkinder in den psychologischen Befunden mit dem diagnostischen Sammelbegriff 'Verwahrlosung' etikettiert und ihre Defizite ausführlich beschrieben, ohne dass Möglichkeiten einer Veränderung aufgezeigt wurden."

"Früher oder später hätte das eh einer gemacht"

Auch meint eine Zeugin, "dass sich der Heimarzt ('ein unmöglicher, alter, geiler Bock') bei einer Untersuchung halb auf die Mädchen legte, ihnen die Beine auseinanderriss. Sie empfand, dass er sich daran 'begeilte'".

Eine weitere Zeugin gab an, mit dem Finger "grob untersucht" worden zu sein: „Nachher war ich keine Jungfrau. Und der Arzt hat die Dreistigkeit gehabt und zu mir gesagt, früher oder später hätte das eh einer bei dir gemacht und ich soll mich nicht aufregen, weil die Kinder kommen auch von da.“ Eine von der Kommission dazu befragte ehemalige Krankenschwester hat dieser Darstellung allerdings widersprochen.

Geschildert wird auch die strenge Disziplin im Heim und die damit zusammenhängenden Strafen: "Die Kinder waren damit nicht nur gezwungen, die Strafen wehrlos über sich ergehen zu lassen ...werden die Kinder geschlagen, dürfen sie sich nicht wehren, es folgen sonst weitere Prügel."

Als eine Form des Ungehorsams galt etwa Masturbation. Ein Zeuge berichtete: „Und wir haben so lange Nachthemden angehabt, die haben wir müssen in die Höhe heben, die Vorhaut zurückziehen, weil sie hat gesagt, sie wird kontrollieren, ob wir in der Nacht onaniert hätten. Natürlich war das für uns in dem Alter deprimierend, in dem Alter war das ein Wahnsinn, wir sind dort versunken in der Erde.“

"Die damalige Kränkung der Kinder (Interview-Zitat: '...und wir sollten noch dankbar sein, dass wir zu essen bekommen und nicht vergast wurden wie die Juden, wir seien ja nichts wert, wir seien lauter kleine Huren und Kinder von Alkoholikern'), die auf ihre Herkunft und Familie abzielte, blieb vielen Zeugen unvergesslich. Davon betroffen waren auch Kinder mit Behinderungen, so wurde in den 1960er-Jahren ein epilepsiekrankes Mädchen etwa mit 'du blöde Sau, du Aff, du kranker Depp' beschimpft. An die Behandlung dieses Mädchens, das in der Familie missbraucht und schwer misshandelt worden war und an schweren epileptischen Anfällen litt, erinnern sich auch andere Kinder dieser Gruppe."

"Besonders kleine Buben wurden misshandelt"

"Manche Gewaltformen veränderten sich im Laufe der fast dreißig Jahre Kinderheim Wilhelminenberg, andere blieben gleich. Bis zur Schließung des Heims (1977, Anm.) wurden Kinder an den Haaren gerissen mit Gegenständen geschlagen, erhielten Ohrfeigen oder mussten lange knien."

"Die Folgen der verschiedenen Bestrafungen bestanden in Platzwunden, verrenkten Fingern, Hämatomen, Abschürfungen und Schnittwunden. Eine Zeugin erinnert sich daran, dass besonders kleine Buben misshandelt wurden." Ein dazu von der Kommission befragter, direkt beschuldigter ehemaliger Erzieher hat die Vorwürfe bestritten.

Fälle von Vergewaltigungen werden ebenfalls beschrieben: "Ich habe gesehen, wie sie ein Mädchen da auf die Bank gezerrt haben, der eine hat sie mit den Händen nach hinten gezerrt, hat sich dann auf sie drauf gesetzt, hat ihr die Füße zurückgerissen und der andere hat sie vergewaltigt. Die hat geschrien und getobt. (...) Die war in meinem Alter damals so um die 11, 12 Jahre. Und drei, vier Wochen (Anm.: später) habe ich dasselbe gesehen. Da haben sie sie abgewatscht und der andere hat sie gehalten, die hat sich müssen hinknien und der andere hat sie von hinten vergewaltigt.“ Berichtet wird von Vergewaltigungen im Keller, an denen pädophile Erzieher, aber möglicherweise auch andere Hausangestellte beteiligt gewesen sein sollen.

Eine Zeugin berichtet, dass die Überfälle direkt im Schlafsaal stattgefunden hätten. Dazu gibt es jedoch keine weiteren Aussagen. "Alle anderen – ähnliche Missbrauchsvorwürfe erhebenden – Zeugenaussagen decken sich in dieser Frage weitgehend. Immer ist davon die Rede, dass Mädchen aus Schlafsälen geholt worden seien", heißt es im Bericht.

Auch Buben waren betroffen. Ein damals 14-jähriger Zeuge erzählte von nächtlichen Übergriffen: „Ich wurde dort ein paar Mal betatscht von diesem Erzieher, der hat mich nicht in Ruhe gelassen. Der ist zu mir rein, hat sich aufs Bett gesetzt, schön gesprochen und dann hat er mich angegriffen. Eine Nacht ist er bei mir sehr zudringlich geworden, ich hab mich gewehrt. Da hat er mir zwei oder drei runtergehaut."

1962 wurde die Einrichtung zum reinen Mädchenheim, männliche Erzieher gab es ab diesem Zeitpunkt im Haus nicht mehr. Dafür kam die Gefahr offenbar von außen: "Für diesen Zeitraum gibt es eine verhältnismäßig große Anzahl von Berichten über Übergriffe durch unbekannte Personen. Hier ist bei den Zeugenaussagen zu unterscheiden: Einerseits wird von Männern berichtet, die offenbar in das Heim eingestiegen waren und Mädchen belästigten, auf der anderen Seite von Männern, die sich Zutritt verschafft hätten und denen Mädchen zugeführt worden seien oder die Mädchen aus den Schlafsälen geholt hätten."

"Die Mädchen der Gruppe begannen laut zu schreien"

"Eine Zeugin berichtet, dass ein großer Mann ins Zimmer gekommen sei und sie nach einem Mädchen gefragt habe. Schließlich wurde er von dem Mädchen in den Schlafsaal der Nachbargruppe geschickt. Nachdem er das gesuchte Mädchen auch dort nicht gefunden hatte, würgte er ein anderes Mädchen und floh anschließend. Die Mädchen der Gruppe begannen laut zu schreien. Auch eine ehemalige Erzieherin, damals alleine im Nachtdienst tätig, erinnert sich heute noch an den 'markerschütternden Schrei' der Gruppe. Nachdem sie sich den Arbeitsmantel angezogen und ihr Zimmer verlassen hatte, beobachtete sie noch den gerade fliehenden Mann, wie er beim Fenster hinaus- und den Blitzableiter hinunterstieg."

Laut der Darstellung von ehemaligen Heimbewohnerinnen waren auch Erzieherinnen an den Übergriffen beteiligt: "Die Zeugin berichtet, dass sie drei- bis viermal im Monat von einer Erzieherin H. aus dem Schlafsaal geholt und unterschiedlichen Männern im Keller zugeführt worden sei. Sie beschreibt noch eine weitere Erzieherin, eine große Dunkle mit einem Knoten, die der anderen Anweisungen gegeben hat. (Anm.: Person unbekannt.) Erst am nächsten Morgen sei sie wieder zurückgekehrt. Sie sieht auch einen Zusammenhang mit Tabletten, die bitter schmeckten und von denen sie schwindlig wurde."

"Eine weitere Zeugin berichtet, dass die Mädchen regelmäßig aus dem dunklen Schlafsaal geholt worden seien. Sie habe sich vor den Männern, die in das Heim gekommen seien und mit Taschenlampen geleuchtet hätten, gefürchtet. Im Unterschied zu ihr selbst – sie war klein und dünn, ohne Busen – seien die anderen Mädchen schon entwickelt gewesen. Doch die Erzieherin habe auch sie geholt und die Treppe hinuntergeführt. In einem nicht näher bezeichneten Raum sei Musik gespielt, geraucht und Whiskey getrunken worden. Auch sie hätte Whiskey zu trinken bekommen. Es seien Frauen und Männer im Raum gewesen. In diesem seien ein Schreibtisch, ein Kasten und ein Einzelbett gestanden. Was in dem Raum passiert sei, daran könne sie sich nicht erinnern. Sie vermutet, dass sie Sedativa bekommen habe, aber keine Schlaftabletten. Sie berichtet außerdem, dass es sich um keine jungen Männer gehandelt habe. Erst die Rückkehr in den Schlafsaal sei ihr im Gedächtnis geblieben. Am Morgen habe sie Abschürfungen und blaue Flecken auf der Innenseite der Oberschenkel gehabt und habe eine gelbe Salbe und eine Binde mit Netzhose bekommen."

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