Wien droht erneut Ärger mit der UNESCO

Die aktuell geplanten Bauhöhen am Heumarkt aus Sicht der Initiative Stadtbildschutz.
Im Sommer standen die Signale im seit Jahren schwelenden Heumarkt-Streit noch auf Einigung, doch nun scheint der Konflikt zwischen Stadt Wien und UNESCO auf einen neuen Höhepunkt zuzusteuern: Nachdem zuletzt schon Investor Michael Tojner der UN-Organisation unfreundliche Worte ausrichtete („Es ist absurd, wie diese Behörde agiert“), legt nun die Stadt Wien ein Gegengutachten vor, das die jüngsten UNESCO-Forderungen konterkariert.
Kernaussage: Werde das Bauvorhaben umgesetzt, seien die Beeinträchtigungen für das Weltkulturerbe als „geringfügig und daher als nicht wesentlich einzustufen“; eine weitere Höhenreduzierung sei „nicht zwingend notwendig“.
Dies ist bemerkenswert, wurde doch Wien erst im Juli bei der Sitzung des Welterbekomitees für die bisherigen Anstrengungen gelobt und erhielt die Perspektive, 2025 endlich von der „Roten Liste“ der gefährdeten Welterbestätten gestrichen zu werden. Aber nur, wenn die weiteren Forderungen erfüllt werden. Bürgermeister Michael Ludwig, der schon vor der Wien-Wahl 2020 eine „Nachdenkpause“ verkündet hatte, hätte dann die Causa vor dem Wahlkampf 2025 gelöst.
Problem gelöst?
Danach sieht es nun nicht mehr aus. Denn ein dem KURIER vorliegendes, 138 Seiten dickes Dokument der Wiener Landesregierung birgt gehörigen Zündstoff. Der Anlass: Investor Wertinvest hat eine neue Projektvariante eingereicht und um Befreiung von der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) angesucht. Die Landesregierung will diesem Feststellungsantrag – zumindest laut Entwurf – am Dienstag nachkommen.
Es ist dies heuer schon der zweite Antrag: Erst im August wurde für eine ältere Projektvariante die UVP-Befreiung beschlossen, nachdem die Neos ihren Widerstand aufgegeben hatten. Während dieses Verfahren nach einem Einspruch der Initiative „Alliance For Nature“ nunmehr beim Bundesverwaltungsericht anhängig ist, will Wien jetzt auch dem sogenannten Projekt „Heumarkt Neu 2023“ erstinstanzlich grünes Licht geben.
Durchgefallen
Pikant ist, dass es sich dabei um eine vermeintlich überholte Projektvariante aus dem Vorjahr handelt: Der Wohnturm würde exakt 49,95 Meter hoch ausfallen, der neue Hotelturm (anstelle des abzureißenden Intercontinental) 47,85 Meter. Darin besteht allerdings eine große Diskrepanz zu den jüngsten Forderungen der UNESCO und ihren Gutachtern: Welterbe-Experte Michael Kloos hat in seiner Kulturerbeverträglichkeitsprüfung diese Version abgelehnt und eine Reduktion um jeweils zwei Stockwerke auf 44 (Wohnturm) respektive 42 Meter (Hotelkomplex) eingefordert, weil insbesondere beim Canaletto-Blick vom Belvedere „große negative visuelle Auswirkungen“ auftreten würden.
Wie lautete die Reaktion des Investors respektive der Stadt Wien?
Kurz vor der Welterbe-Sitzung im Juli wurde eine neue Variante aus dem Hut gezaubert mit Höhen von 44 und 48 Metern. Doch die Welterbehüter winkten ab, selbst dieser „letzte Vorschlag“ erfülle „immer noch nicht die Anforderungen“.
Die geplante Umgestaltung des Wiener Heumarkt-Areals (mit Hotel Intercontinental und Eislaufverein) an der Grenze zwischen erstem und drittem Bezirk beschäftigt die Öffentlichkeit seit 2012: Ursprünglich sollte ein Luxus-Wohnturm aus der Feder des brasilianischen Architekten Isay Weinfeld 74 Meter hoch werden.
Nach Kritik wegen der Lage in der Welterbe-Kernzone wurden die Höhen sukzessive reduziert. Gemäß Flächenwidmung von 2017 dürfte der Turm 66 Meter hoch werden. 2023 wurde das Projekt Heumarkt Neu mit Bauhöhen von maximal 56,5 bzw. 47,85 Metern präsentiert.
Wenig später folgte die Zusage, beim Wohnturm zwei weitere Geschoße wegzunehmen (49,95 Meter/ Heumarkt Neu 2023). Doch UNESCO-Gutachter Michael Kloos empfahl: Der Wohnturm möge auf 44 Meter, der Hotelturm auf 42 Meter limitiert werden.
„Wiens historisches Zentrum“ bekam 2001 das Prädikat UNESCO-Weltkulturerbe verliehen. Danach gab es bei einigen Bauprojekten – Wien-Mitte und Hauptbahnhof – immer wieder Probleme mit den Welterbehütern.
Seit 2017 befindet sich Wien wegen des Heumarkt-Projekts auf der Liste der gefährdeten Welterbestätten. Auch beim Schloss Schönbrunn, seit 1996 Weltkulturerbe, kam es schon zu Interventionen aus Paris (Komet-Gründe, Fiat-Gründe).
Wird es wieder höher?
Ganz anders sieht die Sache die von der Stadt Wien bestellte Gutachterin Christa Reicher von der Universität Aachen: Sie ortet selbst bei der jetzt eingereichten 50-Meter-Variante lediglich „leichte“ Auswirkungen auf das Welterbe. Reicher wurde von der Umweltschutzabteilung MA 22 auch explizit gebeten, die jüngsten UNESCO-Beschlüsse zu analysieren – mit folgendem Ergebnis: Diese seien zwar „durchaus inhaltlich begründet und nachvollziehbar“, allerdings sei eine (bauliche) „Verminderung zum Erhalt des Schutzzwecks nicht erforderlich“, da eben „keine wesentlichen Beeinträchtigungen“ zu erwarten seien.
Das ist freilich „nur“ die Meinung einer Gutachterin, die offenbar die UNESCO-Regeln anders interpretiert als die Welterbevertreter selbst. Brisant wird es ein paar Seiten später, wo die Behörde ein Fazit für den Bescheid der Landesregierung zieht: „Im Ergebnis ist daher aus den Beschlüssen der UNESCO kein Änderungsbedarf hinsichtlich der im Gutachten vorgenommenen Beurteilung der Auswirkungen des gegenständlichen Vorhabens auf den Schutzzweck abzuleiten.“
Doch höher als vorgeschlagen
Heißt im Klartext, dass Wien nicht daran denkt, das Heumarkt-Projekt für das Weltkulturerbe weiter zu redimensionieren – beziehungsweise könnte es jetzt sogar wieder höher werden als noch im Sommer vorgeschlagen. Unterzeichnet ist dieses Schriftstück nicht von einem kleinen Beamten, sondern vom Vorsitzenden der Landesregierung – Bürgermeister Michael Ludwig.
"Fährt Weltkulturerbe gegen die Wand"
Von der Wiener ÖVP kommt ob dieser Taktik scharfe Kritik: „Die Stadt fährt das Weltkulturerbe gegen die Wand. Wir brauchen wirksame Lösungen, dieses Durcheinander ist absurd“, konstatiert Planungssprecherin Elisabeth Olischar. Niemand verstehe, warum die von der UNESCO stets kritisierte Variante plötzlich keine Beeinträchtigung für die Welterbestätte mehr darstellen soll. Olischar: „Diese Verwirrungstaktik muss endlich aufhören!“
Spannend wird sein, wie Wien diesen Widerspruch auflöst. Bis 1. Februar muss ein neuer Bericht ans Welterbezentrum nach Paris gesendet werden, gleichzeitig sind die zuletzt zugesagten Heumarkt-Pläne in einem eigenen Gutachten darzustellen. Die Entscheidung darüber fällt dann bei der nächsten Welterbe-Sitzung Anfang Juli in Sofia.
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