In Wien ist die Ausgangslage eine andere, denn dass die Bundeshauptstadt rot bleibt, scheint eine ausgemachte Sache. Dennoch hält Wahlforscherin Mirta Galesic, die am Wiener Forschungsinstitut "Complexity Science Hub" (CSH) forscht, es für möglich, dass auch hierzulande, die eine oder andere Fraktion stärker bzw. schwächer abschneiden könnte, als erwartet. Der Grund: Umfragemethoden, die trotz besserer Alternativen seit Jahren verwendet werden - und das obwohl Galesic und ihr Team seit 2016 zeigen, wie sich bessere Ergebnisse erzielen lassen.
Wie versteckte Trends aufgedeckt werden
Galesic argumentiert, dass traditionelle Wahlumfragen - wie auch die meisten zur anstehenden Wien-Wahl - nach der eigenen Wahlabsicht fragen. Diese Methode könne jedoch zu systematischen Fehlern führen, wie beispielsweise der Unterschätzung von Kandidaten wie Donald Trump oder Fraktionen wie der FPÖ.
"Umfragen sind genauer, wenn sie nicht nur nach der eigenen Wahlabsicht fragen, sondern auch danach, wie die Befragten glauben, dass andere wählen werden", so die kroatische Psychologin, die bereits an mehreren US-Spitzenuniversitäten gelehrt hat. Die sogenannte "Weisheit der Vielen" nutze kollektive Einschätzungen und könne versteckte Trends aufdecken.
"Soziale Erwünschtheit" als Fehlerquelle
In der Praxis sieht das so aus: Gefragt wird zum Beispiel, wie Menschen die Wahlabsicht ihrer Freunde einschätzen. Oder das Ergebnis in ihrem Bundesstaat. "In mehreren Studien, darunter auch in Österreich, zeigten sich durch diese Methode akkuratere Vorhersagen", hält Galesic fest. Man könne durch diese Umstellung der Fragen den Faktor "soziale Erwünschtheit" minimieren. "Personen wollen vielleicht nicht zugeben, dass sie Herbert Kickl oder Donald Trump wählen. Im Falle ihrer Freunde haben sie damit offenbar weniger Probleme."
Die "soziale Erwünschtheit" sei aber nicht der einzige Faktor, der bei traditionellen Befragungen immer wieder zu Verzerrungen führe. Vor allem da die Wissenschat in der jüngeren Vergangenheit zur Genüge beobachtet habe, dass selbst extreme Ideologien wieder salonfähig wurden. Aber: "Mit unserer Methode lassen sich auch andere Verzerrungen reduzieren. Menschen, die der Landessprache nicht mächtig sind oder jene, die extrem viel arbeiten und am Telefon nicht abheben, erreicht man bei herkömmlichen Umfragen nur schwer." Würde man aber deren Freunde fragen, könne man auch diese Gruppe zumindest teilweise abbilden.
Extreme Parteien bei Umfragen teils zu schwach bewertet
Die Funktion der Methode auch auf Lokalebene bestätigte sich 2024 in den USA, wo sechs von sieben "Swing-States" richtig vorhergesagt wurden, indem die "Weisheit der Vielen" genutzt wurde. Gefragt wurde: "Wer wird in Ihrem Bundesstaat die Wahl gewinnen?" Gut möglich also, dass Galesics Fragen für die Wien-Wahl ebenfalls genauere Ergebnisse gebracht hätten. Zwar stellt niemand die Vorherrschaft der SPÖ infrage, eine wenige Prozentpunkte - welche laut der Expertin als Abweichung durchaus im Rahmen des Möglichen liegen - könnten allerdings über den Koalitionspartner der Roten entscheiden.
Dass speziell eine polarisierende Partei wie die FPÖ, die "mit den Existenzängsten der Menschen und der Angst vor dem Fremden spielt", besser als in den Umfragen abschneidet, hält die Wissenschaftlerin für denkbar.
Bleibt die Frage, warum viele Umfrageinstitute, ihre Modelle nicht schon längst umgestellt haben. Die CSH-Forscherin fragt sich das selbst, gibt aber gleichzeitig zu bedenken, dass viele etablierte Institute seit Jahren mit derselben Methodik arbeiten. Das sorge für langfristige Vergleichbarkeit. Außerdem: "Sie verwenden alle ähnliche Fragen und kommen so auf ähnliche Methoden. Wenn sie falsch liegen, dann tanzt zumindest niemand aus der Reihe."
Ob genau deshalb vielleicht bei der Wien-Wahl die eine oder andere Partei "völlig überraschend" aus der Reihe tanzt, wird sich am Sonntag ab 17 Uhr zeigen. Wer dann jubelt und ob die Umfrageinstitute ebenfalls Grund zur Freude haben, werden dann die ersten Hochrechnungen zeigen.
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