Emmerling: "Wir haben bei der Mindestsicherung eine Schieflage"

Emmerling: "Wir haben bei der Mindestsicherung eine Schieflage"
Interview zur Wien-Wahl 2025: Bettina Emmerling. Die Neos-Vizebürgermeisterin, die seit vier Wochen im Amt ist, zu Bildung, Integration und der Zusammenarbeit mit der SPÖ.

Die Neos-Politikerin Bettina Emmerling hat vor rund vier Wochen das Vizebürgermeisteramt übernommen, weil ihr Vorgänger Christoph Wiederkehr als Bildungsminister in den Bund gewechselt ist. Der KURIER hat Emmerling, die auch Bildungsstadträtin ist, auf ein Eismarillenknödel im Eissalon Tichy getroffen – auch die Gespräche mit den anderen Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der derzeit im Gemeinderat vertretenen Parteien werden dort stattfinden.

Mit Emmerling drehte sich das Interview um das Neos-Kernthema Bildung, über die Zusammenarbeit mit dem derzeitigen Regierungspartner SPÖ und über ihre noch geringe Bekanntheit.

KURIER: Sie sind erst seit wenigen Wochen Vizebürgermeisterin. Haben Sie sich schon eingelebt?

Bettina Emmerling: Ja. Aber zuallererst bin ich sehr froh, dass wir so eine Bundesregierung haben und wir einen Kanzler Kickl verhindern konnten. Mit Christoph Wiederkehr haben wir jemanden als Bildungsminister, der die Herausforderungen in Wien im Blick hat.

Ihre Bekanntheit ist nicht besonders hoch. Laut OGM-Umfrage sagen 72 Prozent der Wählerinnen und Wähler, sie können gar nicht einschätzen, ob Sie gute oder schlechte Politik machen, weil sie Sie nicht kennen. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Nein, es ist so, wie es ist. Wir Neos werden auch für unsere Inhalte gewählt. Das steht bei uns im Vordergrund, das wissen wir. Und wir treten als Team an.

2020 sind die Neos damit angetreten, im Bildungsbereich aufräumen zu wollen. Jetzt steht Wien schlechter da als je zuvor. Haben Sie vor fünf Jahren zu viel versprochen?

Nein. Die Bevölkerung entwickelt sich drastisch in Wien und wir durften viele neue Kinder begrüßen, die weder Deutschkenntnisse haben noch eine schulische Vorerfahrung. Durch die Familienzusammenführung der letzten zwei Jahre kamen 400 Kinder im Monat, für die wir einen neuen Schulplatz schaffen mussten. Auch durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine mussten wir von einem auf den anderen Tag 4.000 Kinder in den Wiener Schulen unterbringen. Das ist eine Mammutaufgabe, die wir gut bewältigt haben.

Emmerling: "Wir haben bei der Mindestsicherung eine Schieflage"

Vizebürgermeisterin und Bildungsstadträtin Bettina Emmerling (Neos) im Gespräch mit Chronik-Ressortleiterin Agnes Preusser.

Inwiefern?

Durch mehr Unterstützungspersonal in den Schulen etwa oder ein gratis warmes Mittagessen für ganztägige Schulen. Aber der wichtige Punkt: Es geht nur gemeinsam. Wir haben immer gefordert, dass wir Deutschkurse im Sommer auch verpflichtend anbieten können. Da hat uns der damalige ÖVP-Bildungsminister Polaschek gesagt: Nein, das will er nicht. Mit Christoph Wiederkehr als Bildungsminister werden wir eine Verpflichtung bekommen, und das ist ein ganz ein wesentlicher Schritt.

Sie haben jetzt dieses Hickhack Bund gegen Wien selbst angesprochen. Verstehen Sie Wählerinnen und Wähler, die sagen, das interessiert uns eigentlich gar nicht, wir wollen einfach Lösungen?

Absolut. Und deswegen ist mir auch so wichtig zu sagen, dass wir in Wien gemeinsam mit der SPÖ einen neuen Stil der Politik geprägt haben. Wir haben zwar intern diskutiert, haben einiges ausverhandelt und Meinungsverschiedenheiten gehabt, aber wir haben nach außen immer konsequent und pragmatisch unser Regierungsprogramm abgearbeitet.

Intern diskutieren und nach außen gemeinsam auftreten, hat für den Juniorpartner den Nachteil, dass viele Leute sagen, die SPÖ fährt mit den Neos Schlitten.

Ich würde sagen, das muss man in Kauf nehmen, wenn man an Lösungen interessiert ist. Ich sage immer, wir sind nicht immer laut, aber wirksam.

Zum Thema Integration: Soll Wien Sozialleistungen kürzen?

Mir geht es in der Frage in erster Linie darum, dass Wien die Integrationslast Österreichs nicht allein tragen darf. Wir haben immer schon eine Residenzpflicht gefordert, das heißt, dass neu zu integrierende Personen auf die Bundesländer aufgeteilt werden. Ich sehe aber schon auch, dass wir hier eine Schieflage haben. Wenn man sich bei Mehrkindfamilien mit der Mindestsicherung mehr Geldleistungen erwarten kann, als man es mit einer durchschnittlichen Erwerbstätigkeit kann, dann muss man nachbessern.

Sie haben jetzt ganz aktuell gefordert, dass es Zwangsaufenthalte für kriminelle Minderjährige gibt. Ist das eine Forderung, die sich im Wahlkampf gut macht oder ist das mit Expertinnen und Experten besprochen?

Wir haben diese Problematik schon länger besprochen. Wir haben Jugendbanden in Wien, das sind nicht viele Personen, aber die haben es in sich. Wir wissen, dass unter 14-Jährige, die Straftaten begehen, sich ganz sicher sind, dass ihnen nichts passiert und das mit einem Selbstbewusstsein vor sich hertragen. Da muss man eingreifen. Die Strafmündigkeit soll unangetastet bleiben, wir möchten keinen Zwölfjährigen in Gefängnis sehen, aber wir müssen Möglichkeiten schaffen, wie wir mit den Zwölf- bis 14-Jährigen umgehen, wie wir sie pädagogisch so unterstützen, dass man sie wieder auf eine richtige Bahn bekommt. Das bedingt auch, dass es so etwas wie Time-out-Möglichkeiten mit einem Freiheitsentzug gibt.

Sie haben einen guten Draht in die Regierung. Wie wahrscheinlich ist es, dass so etwas umgesetzt wird?

Sehr, weil genau diese Möglichkeit auch bei den Regierungsverhandlungen besprochen wurde. Ich war selbst am Tisch, als wir das erste Regierungsprogramm verhandelt haben.

Es gibt in diesem Wahlkampf sehr viele Ähnlichkeiten unter den Parteien. Alle wollen mehr Polizisten und Lösungen für den Bildungs- und Gesundheitsbereich. Macht das alle x-beliebig?

Ich finde es gerade in Bezug auf Bildung lustig. Wir haben die Grünen zehn Jahre in der Stadtregierung gehabt, wir hatten jetzt die Grünen fünf Jahre im Bund – und man hat nichts von ihnen gehört und es wurde auch nichts umgesetzt. Alle reden über Bildung – was ich ja per se gut finde – aber wir sind diejenigen, die Lösungen umsetzen.

Apropos Ähnlichkeiten: Sie haben unabsichtlich den gleichen Wahlkampf-Spruch plakatiert wie die Grünen: „Du wählst nicht nur für dich“. Wie sehr ärgert man sich über so etwas?

Das kann passieren. Ich glaube, jeder weiß, dass Wahlplakate einen irrsinnigen Vorlauf haben, auch im Druck.

Die vorher schon angesprochene OGM-Umfrage besagt, dass 57 Prozent der Neos-Wählerinnen und Wähler den Lobautunnel befürworten. Sie sind dagegen. Warum?

Uns geht es immer darum, auch die richtige, wissenschaftlich fundierte, evidenzbasierte Position einzunehmen. Wir haben immer gesagt, wir halten den Lobautunnel für ökologisch und ökonomisch nicht sinnvoll und diese Entlastungswirkung der Tangente, die versprochen wird, die wird nicht eintreten.

Die Menschen in der Donaustadt warten seit zwei Jahrzehnten auf eine Entlastung.

Das ist genau das Thema. Wie lange sollen sie noch warten? Man setzt auf etwas, wo man eigentlich nicht sicher sein kann, ob es überhaupt noch irgendwann gebaut wird. Es ist bei Weitem nicht so, dass man in den nächsten Wochen mit dem Bau beginnen könnte, einige Verfahren sind anhängig. Man hat die letzten Jahrzehnte verschlafen, hier auf Alternativen zu setzen.

Viele Parteien haben die Wien-Liebe in den Vordergrund gestellt. Wofür lieben Sie Wien am meisten?

Für die kulturelle Vielfalt, für die vielen Freiräume und Grünräume, für seine Gewässer, für den guten öffentlichen Verkehr. Vor allem liebe ich Wien auch deswegen, weil wir uns verbindlich festgelegt haben, bis 2040 klimaneutral zu sein.

Klarheit: Die wichtigsten Begriffe

Die Partei NEOS steht für das Neue Österreich. Gegründet wurde sie 2012, die Parteifarbe ist Pink. NEOS gilt als eher (links-)liberale Partei der Mitte, sie vertritt hauptsächlich ein modernes, urbanes, unabhängiges Bürgertum. Wichtige Themen der NEOS sind Bildung und Transparenz. In Wien schaffte die Partei nach der Wahl 2020 den Sprung in die Stadtregierung, NEOS-Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr wechselte vor Kurzem allerdings als Bildungsminister in die Bundesregierung. Spitzenkandidatin am 27. April ist daher Selma Arapovic.

Bettina Emmerling (Jahrgang 1980) ist Neos-Politikerin. Seit dem Wechsel von Christoph Wiederkehr im Jahr 2025 in die Bundesregierung ist Emmerling Vizebürgermeisterin der Stadt Wien sowie Stadträtin für Bildung, Jugend, Integration und Transparenz. Davor war die bisherige Neos-Klubchefin zehn Jahre lang Abgeordnete zum Wiener Landtag und Mitglied des Wiener Gemeinderats.

Christoph Wiederkehr(Jahrgang 1990) ist seit 2025 Bildungsminister von Österreich. Zuvor war er Wiener Vizebürgermeister und Bildungsstadtrat - und auch Spitzenkandidat für die Neos bei der Wienwahl. Seine Agendenden übergab er nach dem Wechsel an Bettina Emmerling, ihr folgte als Klubchefin Selma Arapović nach. 2024 hat er ein Buch veröffentlicht, dass sich mit der Frage beschäftigt, wie es gelingen kann, dass Kinder wieder gerne zur Schule gehen.

Integration bedeutet Eingliederung und ist entscheidend für ein friedliches Zusammenleben. Der Staat hat die Aufgabe, allen eine gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Der Begriff wird vor allem in zwei Bereichen verwendet:
Integration von Migranten: Ziel ist die gleichberechtigte Teilhabe in Österreich. Dazu gehört das Erlernen der deutschen Sprache und die Beachtung der Gesetze, während Österreich seine Institutionen so gestaltet, dass alle integriert werden können. Gleichzeitig bleibt die kulturelle Identität erhalten.
Integration von Menschen mit Behinderung: Sie sollen vollwertige Mitglieder der Gesellschaft sein und nicht ausgegrenzt werden.

Kommentare