Wien und "seine" Alkoholkrankheit

Wien und "seine" Alkoholkrankheit
Die Stadt Wien will mehr niederschwellige Angebote für Alkoholkranke einrichten.

Während die Zahl der Opiatabhängigen in Wien mit 10.000 bis 13.000 seit Jahren stabil ist und die Zahl der in Substitutionstherapie und somit in medizinischer Behandlung stehenden Drogenkranken schon mehr als 7.000 erreicht hat, gilt es, ein bisher in der Öffentlichkeit eher ignoriertes Problem anzugehen: Eine immens hohe Zahl von Menschen würde - in Wien genauso wie in ganz Österreich - Hilfe wegen ihrer Alkoholprobleme benötigen.

350.000 Alkoholabhängige

Die neusten Daten dazu: Elf Prozent der über 15-jährigen Männer haben in Wien einen riskanten Alkoholkonsum, ebenso sechs Prozent der Frauen. Bereits 35 Prozent der Bevölkerung trinken zumindest zwei- bis dreimal pro Woche Alkohol (17 Prozent fast alle Tage, 18 Prozent zwei- bis dreimal/Woche). Man schätzt die Zahl der Alkoholabhängigen in Österreich auf rund 350.000.

Für den neuen Sucht- und Drogenbeauftragten Wiens, Hans Haltmayer (mehr zu seiner Person siehe unten), unterscheidet sich die Situation der Alkoholkranken in mancher Hinsicht gar nicht so sehr von jener der Konsumenten illegaler Drogen: "Alkohol ist auch ein Kulturgut. Auch das Trinken von viel Alkohol wird akzeptiert. Aber wenn ein Mensch dann ein echtes Alkoholproblem entwickelt, wird er stigmatisiert. Der Betroffene fällt aus dem beruflichen und sozialen Zusammenhalt."

Mehr niederschwellige Angebote

Der Arzt will gerade hier aktiv werden: "Wir brauchen mehr niederschwellige Angebote für Alkoholkranke und für Menschen mit einem problematischen Alkoholkonsum. Alkoholabhängigkeit entsteht viel langsamer als die Abhängigkeit von Opiaten. Das erfolgt nicht in drei Wochen, sondern in einem Prozess über Jahre hinweg. Da haben wir an sich viel Zeit, um die Menschen zu erreichen und in Behandlung zu bringen."

Die Stadt Wien mit ihrer neuen Sucht- und Drogenstrategie ist bereits mit der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) und der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) dabei, Konzepte zu entwickeln. Haltmayer: "Die sollen bis Mitte 2014 vorliegen und dann umgesetzt werden. Bei den stationären Hilfsangeboten haben wir bereits Kapazitäten. In der ambulanten Hilfe für Personen mit Alkoholproblemen fehlen noch Angebote."

In diesem Bereich soll es – niedergelassene Allgemeinmediziner bilden in Wien seit Jahren das Rückgrat in der medizinischen Versorgung der Drogenabhängigen und covern einen Großteil der Substitutionstherapie – auch zu einer vermehrten Kooperation mit den niedergelassenen Ärzten kommen.

"checkit!" als Vorbild

Gut unterwegs sieht Haltmayer Wien auch bei den Angeboten vor allem für Jugendliche und junge Erwachsene, die neue psychoaktive Substanzen konsumieren. Der Experte: "Es gibt ständig neue psychoaktive Substanzen. Auch die Vertriebswege haben sich verändert. Die meisten Konsumenten benutzen diese Stoffe nur ein, zwei oder drei Jahre lang. Da ist es wichtig, sie über die Risiken zu informieren und möglichst gesund über diese Zeit hinweg zu bringen." Das Projekt „“checkit!“ mit Beratung und Testung von Substanzen bei Events leiste hier international beachtete Arbeit.

Generationenwechsel in der Leitung der Versorgung von Suchtkranken in Wien: Mit 1. November ist der Arzt und Psychotherapeut Hans Haltmayer der neue "Beauftragte der Stadt Wien für Sucht- und Drogenfragen". "Ich wünsche mir, dass Suchtkranke im Arbeitsleben und in ihren sozialen Kontakten keine Nachteile mehr verspüren", erklärte er aus Anlass der Übernahme der neuen Funktion.

Zur Person

Hans Haltmayer hat schon bisher eine zentrale Rolle in der Betreuung von Substanzabhängigen in Wien gespielt. Vor Jahren baute er als ärztlicher Leiter das "Ambulatorium Ganslwirt" auf. Aktuell fungiert er als Ärztlicher Leiter des "Ambulatoriums Suchthilfe Wien" ("Jedmayer") am Gumpendorfer Gürtel. Die Funktion des Leiters des Referats für Substitution und Drogentherapie der Wiener Ärztekammer wird der 1958 in Linz geborene Arzt nun zurücklegen. Als Sucht- und Drogenbeauftragter Wiens folgt er dem Arzt Alexander David, der diese Funktion rund 20 Jahre lang bekleidet hat. Dieser geht in den Ruhestand.

Zusammenarbeit mit Michael Dressel

Haltmayer soll als "Beauftragter" mit dem "Koordinator der Stadt Wien für Sucht- und Drogenfragen", Michael Dressel, die Umsetzung der Sucht- und Drogenstrategie bestimmen. Der Arzt: "Es ist für mich eine große Ehre, dass ich jetzt diese Funktion bekleiden und die hervorragende Arbeit von Dr. David weiterführen darf." Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely würde diesem Bereich hohe Aufmerksamkeit widmen, die bestehenden Konzepte – von Dressel seit 2003 verantwortet – seien sehr gut.

Der Arzt weiter: "Aber sicher gibt es auch weitere Herausforderungen an das System, was die Hilfsangebote für jene Personen betrifft, die von illegalen Substanzen abhängig sind. Wir haben in der Substitutionstherapie (für Opiatabhängige; Anm.) bereits ein Deckungsquote von rund 75 Prozent. Das ist hoch. Wir wollen sie aber noch erhöhen. Es gibt noch immer Abhängige, die das Angebot der Substitutionstherapie nicht annehmen. Das sind zu einem Großteil sozial noch sehr gut integrierte Personen, die berufliche Nachteile fürchten." Benachteiligungen, der Schritt aus der Anonymität mit der Aufnahme der Diagnose in Datenbanken etc. würden sie abschrecken.

Problem Suchtgiftkriminalität

Das Problem liegt darin, dass diese Opiatabhängigen weiterhin am Schwarzmarkt aktiv sein müssen – mit allen Gesundheitsgefahren und dem Risiko der Suchtgiftkriminalität. Haltmayer: "Die Situation kann für diese Menschen sehr schnell kippen." In Wien beträgt der Anteil der HIV-Infizierten unter den Drogenpatienten durch die große Verbreitung von Spritzentausch und Substitutionstherapie nur noch fünf Prozent.

Intensiviert werden sollen die Bemühungen, intravenös Drogen Konsumierende, die chronisch Hepatitis C-infiziert sind, in Behandlung zu bekommen. Haltmayer: "Kann man diese Menschen heilen, stellt das auch eine Infektionsprophylaxe für die Zukunft dar."

Erst vor kurzem wurde von Wiens Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) eine neue Sucht- und Drogenstrategie (2013) vorgestellt. Gemeinsam mit der Wiener Gebietskrankenkasse und der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) soll es in Zukunft mehr Angebote für Alkoholkranke geben. Hier einige Daten:

Der Erweiterung der inhaltlichen Schwerpunkte um die Alkoholproblematik führt zu einer Umbenennung. So ändert sich die Position des "Wiener Drogenkoordinators" in eine des "Koordinators der Stadt Wien für Sucht- und Drogenfragen". Die Funktion bekleidet seit 2003 Michael Dressel. Der Arzt und Psychotherapeut Hans Haltmayer wird als Nachfolger von Alexander David nun "Beauftragter der Stadt Wien für Sucht- und Drogenfragen".

Zahl der Opiatabhängigen stabil

Die Zahl der Opiatabhängigen ist in Wien seit Jahren stabil. In den vergangenen Jahren wurde beim Probier- und Experimentierkonsum eine Verbreiterung des Substanzspektrums festgestellt. Man rechnet mit 10.000 bis 13.000 Opiatabhängigen. Mehr als 7.000 befinden sich in Substitutionsbehandlung.

Vor mehr als zehn Jahren (2002) betrug die Zahl der Jugendlichen unter 18 Jahren in Substitutionsbehandlung in Wien rund 190 Personen. 2012 waren es nur noch neun Jugendliche. Es wachsen damit offenbar weniger Jugendliche mit hochproblematischen Drogenkarrieren nach.

Demgegenüber werden die Drogenabhängigen immer älter. Im Jahr 2002 befanden sich in Wien 1.030 Personen in Substitutionsbehandlung, die älter als 40 Jahre waren (115 davon älter als 50 Jahre). 2012 waren 2.870 Personen in Substitutionsbehandlung im Alter über 40, 1.080 älter als 50 Jahre. Drogenkranken in Substitutionsbehandlung wird dadurch ein Erleben und Überleben ihrer oft schweren Erkrankung ermöglicht. In vielen Fällen führen sie ein sozial angepasstes Leben.

Betreuung im "Jedmayer"

Ein Kernpunkt in den Angeboten für Abhängige von illegalen Drogen bildet auch die Einrichtung der Sucht- und Drogenhilfe Wien ("Jedmayer") am Gumpendorfer Gürtel, wo im ersten Halbjahr 2013 bereits rund 2.500 Personen betreut wurden. Das geht vom Spritzentausch (600 Kontakte) über das Tageszentrum mit 350 bis 400 Betreuten bis hin zum eigentlichen Ambulatorium (bis zu 120 Patienten pro Tag), wo auch Therapien durchgeführt werden können. Es gibt damit ein breites Beratungs- und Betreuungsangebot in psychosozialer und medizinischer Hinsicht.

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