Wien am Ende oder: Simmeringer Randerscheinungen

Simmeringer Hauptstraße Nr. 340: Gleich dahinter ist Wien aus – am Ende. Geografisch betrachtet. Auf dem Grundstück stehen zahlreiche grüne Container, in denen man laut Werbetafel sein privates Hab und Gut einlagern kann.

Ausfahrt Simmeringer Hauptstraße: Auf 340 ist die Stadt zu Ende, jedenfalls geografisch.
Der Autobuslenker des 73B, der nur wenige Meter weiter seine Endstation hat, lacht herzhaft. Ja, er wendet jetzt hier und fährt „zurück ins Leben“. Zumindest in ein Leben, das in Wien ganz nahe am Tod dran ist: „Zum dritten Tor des Zentralfriedhofs.“

Zurück ins Leben
Die Mehrheit der Fahrgäste will dort aber nicht hin. Sie strebt weiter, etwa hundert, 150 Schritte stadtauswärts – zu der S-Bahn-Station Kaiserebersdorf. Die Flughafen-Schnellbahn (S7) überquert hier die Zonengrenze. Wer weiter ins benachbarte Schwechat, zum Airport oder gar nach Wolfsthal, zum östlichen Ende der Republik, möchte, muss ab hier für eine weitere Zone bezahlen.
Mit dem Auto oder mit dem Rad ist man in weniger als einer halben Minute in der nö. Bierstadt Schwechat: Nur dem Straßenverlauf folgen, unter der Bahn durch. Gleich dahinter beginnt das Stadtzentrum von Schwechat.

Wo Wien endet: Das Ende von Wien ist genau dort, wo ein Schild mit dem roten Schrägstrich nicht weit entfernt ist. Die Peripherie Wiens wird poetisch „Saum der Stadt“ genannt.
Die Sommer-Serie: Folgen Sie bitte auch weiterhin unseren „Saum“-Berichten in diesem Sommer. Heute Teil 5: Im Osten von Wien verläuft die Landesgrenze entlang der Bahnstrecke hinaus zum Flughafen, nur wenige Schritte von der nö. Bierstadt Schwechat entfernt. Kaiserebersdorf hat allerdings auch das eine oder andere Schmankerl zu bieten.
136,5 Kilometer lang ist die Grenzlinie zwischen Wien und Niederösterreich.

Unten durch: Hinter der Bahn-Unterführung beginnt bereits das Stadtzentrum von Schwechat.
Wir bleiben in Wien, in Simmering. Besser gesagt: in Kaiserebersdorf. Die über „KE“ absinkenden Flugzeuge machen hier bereits riesige Schatten. Und ihre Motoren lassen einen jungen Kaiserebersdorfer für alle hörbar in sein Mobiltelefon brüllen.
Wer in der neu gebauten Wohnhausanlage mit der Postanschrift Simmeringer Hauptstraße Nr. 503 wohnt, errichtet in den Jahren 2018 bis 2020, unter Verwendung von Fördermitteln des Landes Wien, hat offensichtlich mit dem Lärm leben gelernt.
Eine Mitarbeiterin des Kindergartens im Erdgeschoß erzählt: „Wir hören hier die vorbeifahrenden Züge fast mehr als die Flugzeuge.“

Postanschrift: Simmeringer Hauptstraße Nr. 503 - eine neu gebaute Wohnhausanlage.
Die Ratten von „KE“
Das Backstein-Portal mit dem schönen Art-déco-Eisentor vor der Wohnhausanlage ist ein Teil der Geschichte von Kaiserebersdorf. „Es steht unter Denkmalschutz“, weiß eine ältere Bewohnerin. „Hier war einmal das Draht- und Kabelwerk Ariadne.“
Die Zeitzeugin ist gut informiert. Das Portal soll an das Pförtnerhaus und damit an die Fabrik erinnern. Selbst hat sie an die Produktion hier keine Erinnerung mehr, nur diese: „Zum Schluss hatten wir alles Mögliche hier, auch Ratzen.“ Hochdeutsch: Ratten.

Denkmalgeschützt: Eine Erinnerung an das Pförtnerhaus des Draht- und Kabelwerks Ariadne.
Wenig bekannt ist, dass die Ebersdorfer, wie sie sich ursprünglich nannten, im 15. und im 16. Jahrhundert am Südost-Hang des Laaer Bergs Weinbau betrieben. Laaer Berg? Ja, ein kleiner Teil von Kaiserebersdorf wird heute dem zehnten Bezirk (vulgo Favoriten) zugerechnet.
In Wiens Geschichte-Wiki steht auch: „1529 wurde Kaiserebersdorf durch die Türken verwüstet.“
Die Osmanen schauten 1683 noch einmal vorbei – mit nachhaltigen Folgen für den lokalen Weinbau. Man versetzte ihm den Todesstoß.
Immerhin überlebte das Bier aus der nahen Brauerei (laut Firma seit 1632). Mit dem unvergesslichen Slogan: „Schwechater, recht hat er.“

Großes ganz klein: Das alte Bahnhofsgebäude steht heute noch Bahn-Mitarbeitern offen.
Die Katzen von „KE“
Rechts von der im Jahr 2002 eröffneten S-Bahn-Haltestelle befindet sich noch das alte Bahnhofshaus mit der Aufschrift „Klein-Schwechat“. Es erinnert an den alten Verlauf der S7. Und indirekt auch an die Preßburger Bahn, die schon in der Monarchie Wien mit Bratislava verbunden hat.
Hinter dem ehemaligen Bahnhof, aus dem Gebüsch, ist jetzt eine Frauenstimme zu hören: „Kinder, ich bin da!“ Es ist die Stimme der „Katzenmutter von Kaiserebersdorf“. Sie radelt mit ihrem Mann täglich kurz vor Mittag von Schwechat nach Wien, um in einem von Menschenhand eingerichteten Versteck 31 Streunerkatzen zu füttern.

Großzügig in "Klein Schwechat": Die „Katzenmutter von Kaiserebersdorf“ füttert 31 Streunerkatzen.
„Alle 31 sind kastriert“, betont die Frau, weil sie das Problem der sich in Wien stark vermehrenden Katzen kennt. Seit Ende 2017 füttert sie schon. Ein Hobby, das in der Zwischenzeit ordentlich ins Geld geht: „Katzenfutter wird leider immer teuer.“
Apropos teuer: „Selbst schrauben und Geld sparen.“ Steht auf einem Schild, das neben den inzwischen satten Katzen zur Werkstatt von „Kfz Selim“ führt. Der Mann der „Katzenmutter“ weiß: „Hier muss man sich rechtzeitig einen Termin ausmachen. Die Plätze in der Werkstatt sind nämlich sehr gut gebucht.“
Katzen und Kfz in absolut friedlicher Koexistenz, so wie Simmering und Schwechat – das Ende von Wien ist immer auch ein bisserl schön.
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