Das Ende von Wien verläuft durch seinen Garten

46-217508270
Ein Grundstück, zwei Bundesländer. Ein Leopoldsdorfer ist irgendwie auch in Wien zu Hause. Wie es ist, an der Grenze zu leben.

Von Maximilian Gruber

„Jetzt gerade stehen wir in Niederösterreich. Ein paar Schritte weiter sind wir in Wien, dort, wo der Baum steht“, sagt Johannes Barbor mit einem Lächeln. Die Landesgrenze zwischen Niederösterreich und Wien verläuft direkt durch den Garten des 68-Jährigen.

Sein Haus steht in Niederösterreich – dort ist er daher gemeldet. Der Pool und ein großer Baum gehören zu Wien. Ist der Garten dann sein Nebenwohnsitz? Er lacht ein zweites Mal, erzählt dann: „Ich zahle in beiden Bundesländern Grundsteuer.“

46-217526950

Das geteilte Dorf

Wer den Bus aus Oberlaa in Richtung Süden nimmt, fährt durch eine Landschaft an Feldern. Nach fünf Minuten tauchen Häuser am Horizont auf, Leopoldsdorf.

Doch kurz vor dem ersten Halt im Wohngebiet ist ein Ortsschild zu sehen – mit folgender Aufschrift: „Wien“, darunter kleiner „Stierofen“. Hat der Bus nicht gerade Wien hinter sich gelassen? Bereits 50 Meter nach der Wiener Ortstafel beginnt erneut das Ende von Wien. Nun sind wir in Leopoldsdorf.

Wer noch nicht verwirrt ist, ist es spätestens jetzt: Ein kleiner Teil des Dorfes gehört noch zu Wien.

Ein blauer Citroën biegt in die Rustenfeldgasse. Sie ist eine der Grenzgassen, die den Wiener Teil Stierofen von Leopoldsdorf trennen. Das Auto – auf der Heckscheibe klebt ein „I love NÖ“-Pickerl – hält an der Wiener Seite.

Es steigt aus der Leopoldsdorfer Bürgermeister, Fritz Blasnek (ÖVP). Er zeigt auf ein Verkehrsschild über seinem Kopf. Darauf steht: Kurzparkzone. „Da haben Sie den ersten Unterschied: Auf der anderen Straßenseite ist das Parken gratis.“ Ein weiterer Unterschied, das große Haus auf der Wiener Seite: „Das hat sechs Wohneinheiten, auf unserer Dorf-Seite sind nur zwei Einheiten pro Grundstück erlaubt.“

46-217508234

Der Ofen des Herrn Stier

Die kuriose Grenze gibt es seit dem Jahr 1954, als das 1938 von den Nazis künstlich vergrößerte Wien wieder verkleinert wurde. Damals hat man 80 Randgemeinden Niederösterreich zugeordnet. Ein kleiner Teil von Leopoldsdorf blieb bei Wien.

Der Name des kleinen Stadtteils geht auf den Besitzer eines Ziegelwerks – Herrn Stier – zurück. Hier draußen war nämlich ein Teil der Ziegelindustrie angesiedelt, erklärt Blasnek. Ein Ziegelofen also, der dem Herrn Stier gehörte – daher: Stierofen.

Ein paar Häuser neben dem geteilten Garten von Herrn Barbor wohnt der 67-jährige Rudolf Bauer – bereits auf Favoritner Terrain. Nur wenige Meter getrennt, leben die beiden in teils anderen Welten – zumindest was die Verwaltung anlangt.

„Mein Wasser, Internet und Strom kommen aus Wien, nur der Kanal ist an Leopoldsdorf angeschlossen“, erzählt Herr Bauer. Gerade fährt ein Müllwagen aus Wien vorbei und leert nur die Kübel auf seiner Straßenseite aus.

Auch bei Notfällen macht die Grenze einen Unterschied. Diese sollten wohlüberlegt sein, scherzt Barbor, der Besitzer des geteilten Gartens. Wenige Meter entscheiden, ob die Rettung ins niederösterreichische Baden oder nach Wien fährt. „Da muss ich mir schon überlegen, ob ich mich bei einer Verletzung in den Garten lege, damit die Wiener Rettung kommt“, lacht er. Doch bisher sei er ohnehin immer nach Wien gebracht worden.

46-217508271

Rudolf Bauer wohnt noch in Wien und fühlt sich als Favoritner. Zum Tierarzt geht er aber lieber in Leopoldsdorf.

Im Herzen ein Favoritner

Anekdoten gibt es auch über Taxis. „Manchmal wollen die Taxler extra ein paar Meter über die Grenze nach Niederösterreich fahren, damit sie einen Zuschlag verrechnen können“, erzählt der Favoritner Rudolf Bauer. Da habe er sich schon das eine oder andere Mal gestritten. „Man wollte mir statt 20 Euro das Doppelte verrechnen.“

Mit der Anschrift ist es auch so eine Sache, da sind sich alle Grenzsiedler einig. „Früher war immer die Frage, welche Postleitzahl verwende ich, oft sind Pakete nicht gekommen“, sagt Johannes Barbor. Doch das sei mittlerweile besser geworden.

Die Familien im Wiener Teil der Siedlung spüren die unsichtbare Grenze ebenso: Ihre Kinder müssen in Favoriten in Kindergarten und Schule gehen. „Außer es gibt eine schriftliche Begründung, dann zahlt man aber eine Entschädigung“, erklärt Bürgermeister Blasnek. Beim Ferienspiel im Ort dürfen aber alle Kinder mitmachen.

Auch Herr Bauer hat seinen Lebensmittelpunkt in Leopoldsdorf. Er geht hier einkaufen, zum Tierarzt und zu den jährlichen Dorffesten. „Hier grüßen die Leute, man fühlt sich wie am Land“, schwärmt er. Im Herzen sei er aber trotzdem Favoritner.

Kommentare