Erfahrungsbericht einer Direktorin: „Bildungsauftrag nicht schaffbar“

Rund die Hälfte der Wiener Erstklässlerinnen und Erstklässler konnte beim Schuleintritt im September nicht ausreichend Deutsch, um dem Unterricht folgen zu können. „Dramatisch“ nannte der damalige Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) die Situation im November 2024. Doch wie geht es im kommenden Schuljahr weiter?
„Im Februar war die Schuleinschreibung. Es war erschreckend zu sehen, dass viele Kinder, die zu uns kommen werden, mich nicht verstehen“, schildert die Direktorin einer Wiener Volksschule, die anonym bleiben möchte, bei einem von der ÖVP iniziierten Hintergrundgespräch am Dienstag.
Nur 15 Prozent "ordentlich"
Für das kommende Schuljahr hätten derzeit nur 15 Prozent der Taferlklassler einen ordentlichen Status. Sprich, 85 Prozent der Kinder verfügen nicht über genügend Deutschkenntnisse, um dem Unterricht künftig ohne Probleme folgen zu können. „Erschreckend“ sei außerdem, dass alle außerordentlichen Schüler, bei denen Kindergartenunterlagen vorhanden gewesen sind, bei der Anmeldung angeben haben, Deutschförderung im Kindergarten erhalten zu haben, so die Direktorin weiter.
Die Zusammensetzung in bestehenden Klassen sei ähnlich: Bei beispielsweise 26 Kindern, seien 18 in der Deutschförderklasse. „Unterricht ist in dieser Konstellation nicht möglich, der Bildungsauftrag ist so nicht schaffbar“, sagt sie. Eine Lehrerin sei mit den außerordentlichen Schülern allein: „Mir fehlt das Personal.“ Die Sprachbarriere führe zudem zu Frustration und Aggression bei den Kindern.
Zu geringer Wortschatz
Bei den Sprachstandsfestellungen würden Kinder schon beim Wortschatz scheitern, beispielsweise bei simplen Wörtern wie „Baum“. „Es liegt nicht am Test, sondern daran, dass die Kinder mit geringem Wortschatz in die Schule kommen“, schildert die Direktorin.
„Schule ist nicht der Ort, an dem man Deutsch lernt, wenn man es vorher nicht kann“, sagt Wiens ÖVP-Chef Karl Mahrer dazu. Gemeinsam mit dem Wiener VP-Bildungssprecher Harald Zierfuß fordert er Maßnahmen zur Deutschförderung in den Kindergärten. Fast die Hälfte der Kinder an jener Beispielschule habe den Kindergarten mehrjährig besucht, so Zierfuß. Mehr als die Hälfte besuche zudem einen städtischen Kindergarten.
„Integration beginnt im Kindergarten – und dort investieren wir. 2024/25 wurden 55.942 Kinder sprachlich überprüft, bei 16.824 davon wurde ein Förderbedarf festgestellt. Unsere Sprachförderkräfte sind im Einsatz, wo der Bedarf am höchsten ist“, sagt die neue Bildungsstadträtin Bettina Emmerling (Neos). Es gebe aber noch viel zu tun. Wenn Schulleitungen der Meinung sind, ein Kindergarten arbeitet nicht gut, dann sollen sie das gerne melden, betont sie.
Klarheit: Die wichtigsten Begriffe
Bettina Emmerling (Jahrgang 1980) ist Neos-Politikerin. Seit dem Wechsel von Christoph Wiederkehr im Jahr 2025 in die Bundesregierung ist Emmerling Vizebürgermeisterin der Stadt Wien sowie Stadträtin für Bildung, Jugend, Integration und Transparenz. Davor war die bisherige Neos-Klubchefin zehn Jahre lang Abgeordnete zum Wiener Landtag und Mitglied des Wiener Gemeinderats.
Karl Mahrer (Jahrgang 1955) ist Wiens ÖVP-Chef - er übernahm die Stadttürkisen nach dem Rücktritt von Gernot Blümel im Jahr 2021. Mahrer hat seine Wurzeln bei der Polizei, er war unter anderem Vizepräsident der Landespolizeidirektion Wien. Von 2019 bis 2021 war er Sicherheitssprecher des ÖVP-Parlamentsklub. In dieser Funktion folgte ihm Christian Stocker, derzeitiger Bundeskanzler, nach. Mitten im Wienwahhlkampf 2025 erhob die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wegen Untreue in der Causa Wienwert Anklage gegen Mahrer. Dieser beteuert seine Unschuld.
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