Simmeringer Sensationsfund: Massengrab legt Ursprung Wiens offen

Warum genau gibt es Wien überhaupt? Während andere Städte eine Gründungsgeschichte haben, ist in der Historie der österreichischen Hauptstadt noch so manche Lücke zu finden. Doch das könnte ein am heutigen Mittwoch präsentierter Sensationsfund ändern.
Denn die Archäologen vermuten, mit einem in Simmering zufällig entdeckten Massengrab den Ursprung für die Entstehung Wiens gefunden zu haben.
Entdeckt wurden die rund 150 Skelette im vergangenen Herbst beim Umbau des Ostbahn-XI-Sportplatzes in der Hasenleitengasse. Der Fundort zwischen den einstigen Militärposten Vindobona und Carnuntum entpuppte sich nach und nach als eine gehörige Überraschung.
Laut den ersten Analysen stellte sich heraus, dass die Gebeine aus rund um das Jahr 100 n. Chr. stammen. Auch wurden einige Teile von Schuppenpanzern, Lanzen und ein römischer Dolch aus Eisen gefunden.

Der Fundort in Simmering
Keine Hinrichtung und keine Feuerbestattung
Eine Seuche als Todesursache konnte rasch ausgeschlossen werden - die Knochen wiesen alle Kampfspuren auf. Auch gab es in dieser Zeit eigentlich nur Feuerbestattungen. Und die Verletzungen passen auch nicht zu Hinrichtungen.
Deshalb musste wohl eine Schlacht getobt haben, aber welche?
Fest steht, dass die Römer im Bereich des heutigen ersten Bezirks 97 n. Chr. ein Legionslager gegründet haben, nur sieben Kilometer von dem Massengrab entfernt. Dafür wurde die bereits unter Caesar aufgestellte Legio XIII entsandt. Jedenfalls führten die Römer unter Kaiser Domitian an der Donaugrenze die sogenannten Donaukriege (86-96) gegen die Germanen.

Kaiser Domitian
Erster Beweis für römischen Krieg im Donauraum
Die Stadtarchäologen des Wien Museums gehen deshalb davon aus, dass die Opfer einer dieser Schlachten auf dem Wiener Stadtgebiet im heutigen Simmering begraben wurden. Dafür spricht auch, dass diese nur mit Erde überschüttet wurden statt, wie damals üblich, feuerbestattet. Jedenfalls ist es der erste unmittelbare Beweis für Kämpfe im Donauraum in dieser Zeit.
Die erste große und verlustreiche Schlacht in diesem Bereich wäre dann vermutlich der Grund gewesen, dass Rom eine Legion herschickte, um ein militärisches Lager an der nordöstlichen Flanke des Reiches zu errichten. Vindobona blieb schließlich bis zum Beginn des fünften Jahrhunderts in diesem Bereich bestehen und hatte zeitweilig bis zu 6000 Soldaten und Tausende Zivilisten beherbergt.
Aus Vindobona wurde Wien
Was in den darauf folgenden Jahrhunderten mit Vindobona genau passiert ist, ist nicht exakt bekannt. Vermutlich irgendwann zwischen den Jahren 800 und 1000 siedelten sich hier wieder Menschen an, dabei wurden auch Teile der römischen Lagermauern für die Befestigung im Mittelalter wieder verwendet.
Ohne die von den Römern gelegte Basis an der Donau wäre Wien also möglicherweise nie entstanden.
Michaela Kronberger, Kuratorin des Wien Museums und Stadtarchäologie-Leiterin, Kristina Adler-Wölfl, betonten jedenfalls, dass noch weitere Untersuchungen folgen. So sollen die genauen Lebensumstände der Menschen in dem Grab geklärt werden. So etwas kann allerdings noch Jahre dauern. Der künstlerische Leiter, Matti Bunzl, sprach von einem "CSI Vindobona", das nun bewerkstelligt werden müsse.

Sensationsfund wird von der Stadtärchäologie untersucht
Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) erklärte dazu: „Ich durfte im Zusammenhang mit Wiens Entstehungsgeschichte schon viele Projekte präsentieren, aber das ist wirklich eine besondere Sensation. Diese Funde reichen weit über unsere bisherigen Erkenntnisse der römischen Besiedelung hinaus.“
Weitere Stimmen der beteiligten Forscher:
„Aus der Anordnung der Skelette und da es sich um rein männliche Überreste handelt, kann ausgeschlossen werden, dass der Fundort in Verbindung mit einem Lazarett oder dergleichen steht oder dass eine Seuche die Todesursache war. Die Verletzungen an den Knochen sind eindeutig auf Kampfhandlungen zurückzuführen“, sagte Michaela Binder, leitende Anthropologin von Novetus GmbH.
„Die Fragmente waren aufgrund des schlechten Erhaltungszustandes schwer einzuordnen. In der Röntgenaufnahme der Dolchscheide erkennt man jedoch sofort charakteristische römische Verzierungen. Es sind Einlegearbeiten aus Silberdraht, durch die sich der Dolch in die Zeit zwischen Mitte des 1. und Anfang des 2. Jahrhunderts n. Chr. datieren lässt“, erklärte Christoph Öllerer, stellvertretender Leiter der Stadtarchäologie.
„Das Massengrab in Simmering ist der erste physische Beleg für Kampfhandlungen aus dieser Zeit, und weist auf die Lokalisierung einer Schlacht im Gebiet des heutigen Wiens hin. Das hier bezeugte Ereignis könnte somit ein Anlass für den Ausbau des vormals kleinen Militärstützpunkts zum Legionslager Vindobona - keine sieben Kilometer vom Fundort entfernt - gewesen sein. Womöglich eröffnet uns die Hasenleitengasse somit den Anfang der urbanen Geschichte Wiens “, betonte Martin Mosser, Archäologe der Stadtarchäologie.
„Das Wiener Team steht mit seinen Forschungen noch ganz am Anfang. In weiterer Folge werden im Rahmen eines internationalen, fachübergreifenden Forschungsprojektes weitere Untersuchungen zu den menschlichen Skelettresten und den Fundgegenständen durchgeführt werden. Besonders DNA- und Isotopenanalysen lassen auf spannende Ergebnisse zur Herkunft und den Lebensbedingungen der in der Hasenleitengasse bestatteten Soldaten hoffen“, so Michaela Kronberger, Kuratorin des Wien Museums.
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