Wien: Künstler zeichnen ihre psychischen Krankheiten
Wenn der Ärmel von Cem Iber verrutscht, sieht man eine Narbe am Handgelenk. Zweimal wollte sich der 53-Jährige das Leben nehmen. Er leidet zeitweise an schweren Depressionen.
Um seiner Krankheit Ausdruck zu verleihen, hat sich Iber der Kunst zugewandt – und stellt seine Werke derzeit gemeinsam mit rund 15 anderen Künstlern in der Ausstellung „EntStigmART“ aus.
Organisiert wird die Veranstaltung vom Verein „crazy turn“. „Es ist uns wichtig, zu zeigen, dass nichts ewig währt, keine Depression, oder Ähnliches. Wir haben rund 30 Kunstwerke ausgestellt“, sagte Initiatorin Nicole Kornherr. Vier davon hat Iber beigesteuert: Einen Steinkopf, zwei Stickereien und eine Maske mit gespaltener Zunge (siehe Foto).
„Ich hab’ dafür Symbole wie eine Faust und ein Semikolon verwendet. Die Maske sollte in Zeiten der Pandemie aus der Masse an weißen Masken herausstechen“, erzählte der Wiener. An der Ausstellung teilzunehmen, sei ihm wichtig, da er bereits Erfahrung mit Stigmatisierung gemacht habe. „Vor allem bei Bewerbungsgesprächen würde ich es nicht erwähnen, da fallen die Reaktionen meist negativ aus“, sagte Iber.
Ihm sei es nichtsdestotrotz ein Anliegen, offen mit der Depression umzugehen. „Bei meinem letzten Bewerbungsgespräch wurde meine Offenheit sehr begrüßt, ich hab’ den Job dann bekommen“, sagte der Wiener dem KURIER.
Schräg gegenüber von Ibers Kunstwerken hängt das Bild von Sabrina Strutzmann. Ihr Werk trägt den Namen „Wie(So) verrückt“. Die 39-jährige Kärntnerin leidet an einer Bipolar-II-Störung. „Am Anfang hab’ ich immer Ausreden gesucht, wieso ich nicht arbeiten gegangen bin. Aber nachdem ich meine Freunde und Familie eingeweiht hatte, bin ich auch anderen gegenüber offener geworden“, sagte Strutzmann.
Es gebe aber viel Aufholbedarf im Umgang mit psychischen Erkrankungen. „Am unangenehmsten ist es für mich, wenn Menschen aus Überforderung meine Krankheit ignorieren. Ich finde es gut, einfach nachzufragen, wenn man etwas nicht versteht“, so die 39-Jährige.
Auch Julian Nemec nimmt mit seinem Werk "Weltenverschlinger" an der Ausstellung in der Galerie Amerling Haus teil. "In meiner Schulzeit habe ich Mobbing- und auch Gewalterfahrungen gemacht. Ich bin depressiv geworden, das hat sich dann auch zu einer Sozialphobie entwickelt", erzählte der 32-Jährige.
Teilweise musste Nemec auch Kurse abbrechen, weil er es nicht aushielt, mit anderen Menschen in einem Raum zu sein. Am schlimmsten für ihn seien Kommentare wie "Die Sozialphobie sieht man dir ja gar nicht an". "Wenn Menschen solche Dinge sagen, ist es oft gut gemeint, kann dann aber nach hinten losgehen. Ich ziehe mich dann nur noch weiter zurück", schilderte der 32-Jährige. Malen hilft ihm, im Moment zu sein. "Ich höre dabei gern Bob Marley oder melodische Soundtracks, dann fließt meine Kreativität."
Kunst muss für Nemec dabei nicht immer eine Bedeutung haben.
- Zeit: 11.1.-20.1.2024
- Ort: Stiftgasse 8, Galerie Ammerling Haus
- Veranstalter: Verein crazy turn
Hilfe für Betroffene
Wer Suizid-Gedanken hat, sollte sich an vertraute Menschen wenden. Oft hilft bereits das Sprechen über die Gedanken dabei, sie zumindest vorübergehend auszuräumen. Wer für weitere Hilfsangebote offen ist, kann sich an die Telefonseelsorge wenden: Sie bietet schnelle erste Hilfe an und vermittelt Ärzte, Beratungsstellen oder Kliniken. Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Depressionen betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefon-Seelsorge in Österreich kostenlos unter der Rufnummer 142.
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