„Da fäults“
Spezifisch für Wien ist zunächst die Feststellung, dass der Grat zwischen Geruch und Geruchsbelästigung ein schmaler ist. Viel präsenter als die Freude über die Düfte der Stadt ist der Ärger über ihren Gestank.
Für die miserable Ausdünstung hat das Wienerische manch feine sprachliche Note parat. Geht einem etwas nicht unter die Nase, dann echauffiert man sich mit einem sehr deftigen Da fäults. Herleiten lässt sich der Ausdruck demonstrativen Naserümpfens vom faulenden Unrat.
Gleichwertig im Wiener Pfui-Ranking wäre noch Da miachtelts (hochdeutsch und weit weniger gefühlvoll formuliert: „Also, die Geruchsbildung hier ist gar nicht gut“).
Typisch Wien ist jedenfalls der leicht modrige Geruch vom trüben Wasser der Donau respektive der Alten Donau. Dieser ist wohl auch auf die darin lebende Flora und Fauna zurückzuführen. Je nach eigener Befindlichkeit wird er als angenehm oder unangenehm wahrgenommen.
Der Donaukanal erinnert uns wiederum (früher mehr als heute) an seine kanalisierende Funktion in der Stadt, worauf Wolfgang Ambros, Manfred Tauchen und Joesi Prokopetz auf ihrer 1979 erschienenen LP „Schaffnerlos“ nebenbei und doch so genial aufmerksam machten.
Vom Menschen gemacht ist auch das lokale Odium von zwei Wiener Traditionsbetrieben. So atmet man bei bestimmten Wetterlagen auch in den Bezirken innerhalb des Gürtels die geröstete Schokolade des Hernalser Waffelherstellers oder aber das Malz der Ottakringer Brauerei.
Nur lokal riechbar und auch nicht wienspezifisch: das Kerosin am Flughafen in Schwechat und das Benzin an mancher Hauptverkehrsader oder die Hundstrümmerl-Ansammlungen in Wiener Parkanlagen.
Echt Wien ist indes der Geruch nach frisch Verdautem, speziell im Hochsommer – in Form von Rossknödeln auf dem Kopfsteinpflaster der Innenstadt beziehungsweise in der Spanischen Hofreitschule.
Einprägsam ist in Wien auch die spezielle olfaktorische Mischung aus Tabak und gedrucktem Wort in den Trafiken der Stadt.
„Da miachtelts“
Auch vom klassischen Gulasch mit viel Zwiefel (Zwiebel) oder vom gekochten Kohl mit viel Knofel (Knoblauch) bekommen in Wiener Wohnhausanlagen mehr Menschen was mit als nur jene, die davon essen. Der Geruch von Gekochtem wird im Übrigen mehr beklagt als besungen.
Die Düfte von frischem Gebäck und diversen Kaffeespezialitäten entschädigen unseren Pfrnak (aus dem Slawischen stämmige Koseform für eine etwas größere Nase). Sie sind jedoch kein Wiener Alleinstellungsmerkmal.
Und dann ab in die U-Bahn: In der Station Stephansplatz wird man von einem stechenden Mix diverser Altlasten begrüßt, der schon allerlei Brechreize ausgelöst hat.
Ausgemiachtelt hat es sich dafür in den U-Bahn-Zügen, weil sich die Wiener Linien aufgrund etlicher Kundenbeschwerden 2019 dazu veranlasst sahen, den Fahrgästen zu untersagen, während der Fahrt Leberkäse oder Kebab zu mampfen.
Schon länger gilt das Verbot, in Schnellbahnzügen zu rauchen, was aus heutiger Sicht Nichtrauchern und Rauchern gleichermaßen guttut.
Gestank von gestern sind auch die alten Pissoirs mit den primitiven Urinalen an einem brennheißen Sommertag oder der Hausbrand aus den Schornsteinen im Winter.
Noch viel länger passé ist der bestialische Gestank im Wien des Mittelalters. Zu Zeiten des lieben Augustins. Gar nicht vorstellbar, wie wenig das Wiener und Wienerinnen heute riechen könnten.
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