Falco! U4! Kottan! Der ruppige Charme einer Stadt auf Tuchfühlung mit dem Ostblock! Ja, eh. Nie war, so heißt es, Wien so kultig wie in den 1980er-Jahren. Irgendwie Berlin, aber mit grantigen Hausmeistern und besserem Kaffee. Irgendwie frei, aber halt auf österreichischem Niveau. Ein bisserl Punk, aber im Brotjob pragmatisiert.
An jeder Ecke lauerte damals eine Anekdote, mit der man heute die Kinder langweilen kann. Hans Hölzels dünnwandige Nasenscheidewand, Drahdiwaberls Eskapaden, Haargel und Schulterpolster, Discos, in denen man die wildesten Abende erlebt haben will. Die Stadt lebte vor Sonnenaufgang, wird sich heute gern erzählt, alle waren irgendwie lässig und mittendrin in einer Zeit, die diese Stadt bis heute prägt. Jeder wusste ganz genau, was Rainhard Fendrich mit „Haben Sie Wien schon bei Nacht gesehen?“ meinte: „Diese Stadt ist ein Schrei, sie ist high und modern!“
Es stimmte ja vielleicht irgendwie. Die ersten Knospen der Elektronikmusikszene, die später dann die Welt erobern sollten, begannen damals zu sprießen, und klar, jeder war Fan der ersten Stunde. Man raunt, dass die größte Popmusik überhaupt – hierzulande und im Rest der Welt – damals entstanden sei, glücklich sei man gemeinsam um den Radioapparat herumgesessen, um einem Hit nach dem anderen zu lauschen.
Die 80er, die sind das Jahrzehnt, in dem in Wien alles ein Rufzeichen hatte: Die Mauer fiel! Die großen Bands schauten hin und wieder vorbei und waren erste Mitte 40 und nicht Mitte 80 wie heute.
Nirvana! Waren! Schon! 1989! Im U4!
Aus der Ferne
Das alles klingt immer so toll, dass man wünschte, dabeigewesen zu sein. Blöd ist, dass man dabei war. Aber man müsste, wenn man ehrlich ist, die Kinder mit einer ganz anderen Erzählung langweilen. Denn man konnte die 1980er auch völlig anders erlebt haben, als Jahrzehnt, das kein Rufzeichen, nicht einmal einen Punkt hatte, das eventuell geprägt war vom unentschlossensten aller Satzzeichen, dem Strichpunkt, aber selbst da ist man sich nicht so sicher.
Von der Wiener Vorstadt aus – das war noch weit vom Schuss –, gerade ein bisserl zu jung für alles, war von den verklärten Wiener 1980ern nicht einmal ein Echo zu hören.
Wien, high und modern? Die Stadt, in der es mitten im Zentrum noch Ruinen gab, wie die ehemaligen Hofreitstallungen, in denen heute das Museumsquartier prangt? In der man zum Latein-Unterricht eineinviertel Stunden mit der Straßenbahn fuhr für eine Strecke, für die die U3 heute 20 Minuten braucht?
Das mit dem Wien bei Nacht vom Fendrich, das konnte man damals auch sarkastisch finden.
Expedition ins Atrium
Wochenlang planten die Schulkameradinnen an ihrer Expedition ins Atrium – ein Club am Schwarzenbergplatz – herum, die Aufregung wuchs, der entscheidende Samstag rückte immer näher. Am Montag darauf blieb der Coming-Of-Age-Ausflug aber komischerweise ohne Echo, irgendwie verschwand er hinter einem Mantel des Schweigens. Hatte man dort Falco persönlich berührt (wohl nicht, den fanden wir damals längst peinlich), den ersten Alkohol oder Ärgeres konsumiert, „La Boum“ nachgespielt? War es einfach zu toll, um erzählt zu werden?
Wenn es ähnlich den eigenen Erfahrungen verlief, war es halt vielleicht simpel nicht so gut, wie man es sich damals ausmalte – und wie man es heute wohl im Rückblick wieder erfinden würde.
Casey Kasem
Wien bei Nacht, das war noch ohne Nachtbus und Nacht-U-Bahn, das war Acid und Unsinn, Glykolwein im Spritzer, ein heimliches Hinausschleichen nach dem besorgten Anruf der Eltern am Festnetztelefon, ob die beim Freund, bei der Freundin übernachtenden Kinder eh alle brav schon schlafen. Wien bei Nacht war irgendwie verbunden mit AIDS, was anfangs keiner verstand. Eh fand man die Musik gut, man hörte sie halt meist zuhause im Teenagerzimmer bei den amerikanischen Top-100 mit Casey Kasem im Radio und nicht bei der legendären Party. Es gab auch, vielleicht abgesehen vom immer dräuenden Atomkrieg, keinen übermäßigen Grund außer der eigenen Jugend, zu feiern.
Man lebte in einem Wien der schlechten chinesischen Lokale. Einem Wien, in dem man freie Sportanlagen abseits der Kicker-Käfige lange suchen musste und dann in der Schulpause im Rathaus (!) zu erfragen versuchte.
Kein Ablaufdatum
Es war ein Wien, das oftmals schlecht roch, in dem im Auto geraucht wurde, in dem man Musik nur dann entdeckte, wenn der Plattenladen ums Eck zufällig die entsprechende Langspielplatte hatte. Es war eine Stadt, in der man im Supermarkt nicht mit verschiedenen Buttermarken oder so Exotischem wie Olivenöl belästigt wurde. Es gab eine Milch und eine Butter ohne Ablaufdatum und auch den Rest der Waren nahm man so hin, wie sie halt waren.
Als Vorstadt-Veteran hört man amüsiert jenen zu, die an den Wiener Legenden von damals heute noch mitspinnen, die nie von der Verklärung losgekommen sind. Und man ist irgendwie enttäuscht. Gab es das wirklich, dieses rauschende Wien bei Nacht? Hat man die Jugend verpennt, während alle anderen Weißgottwas erlebten?
Einmal habe ich Rainhard Fendrich aus der Nähe gesehen, in der Wiener Stadthalle im Sommer. Ich weiß nicht, was er dort tat, ich war für das Ferienspiel dort. Er hat nicht zurückgegrüßt. Aber es war mir egal.
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