Wie das Calle-Libre-Festival Wien bunter machen möchte
Zesar Behamonte (31) stellt den Eimer mit türkiser Farbe auf die Hebebühne, steigt dann selbst darauf – und schon ruckelt die Bühne nach oben. Seine Freund Albero manövriert die Kabine an der Wand entlang empor, bis in zehn Meter Höhe, wo in der orangefarbenen Gitarre noch ein Stück Hausmauerfarbe hervorscheint.
Seit sechs Tagen arbeitet der spanische Künstler Zesar Behamonte an dem Gemälde – eine Hommage an Egon Schiele und Gustav Klimt – das an der Mauer eines Mehrparteienhauses am Ludwig-Hirsch-Platz im 2. Bezirk entsteht. Bis Samstag können ihm Passanten dabei noch zusehen. Dann wird die Arbeit abgeschlossen und die fünfte Auflage des „ Calle Libre“ (dt. freie Straße), des Wiener Street-Art-Festivals, zu Ende sein.
2014 hat der Wiener und „Calle Libre“-Organisator Jakob Kattner im Zuge seiner Dissertation über Urbane Kunst in Lateinamerika das erste Mal Künstler aus dem Kontinent nach Wien eingeladen – und ihnen Wände und Ausstellungsräume zur Verfügung gestellt. „Viele denken bei Street Art ja nur an Banksy“, meint Kattner. „Ich wollte zeigen, dass es auch andere Künstler gibt – und ihnen hier eine Plattform bieten.“ Das ging so gut auf, dass er beschloss, das Projekt weiterzuführen.
Sein Ziel: Wien bunter machen. Und die Botschaft verbreiten, dass der öffentliche Raum allen gehört.
Rekordhalter in Wien
Derzeit werden in fünf Bezirken insgesamt zehn Wände gestaltet. Neben dem Ludwig-Hirsch-Platz sind das etwa zwei Wände an der Ecke Wiedner Hauptstraße, Phorusgasse im 4. Bezirk.
In der prallen Augusthitze arbeitet hier Donnerstagvormittag die portugiesische Künstlerin Kruella D’Enfer an einer Interpretation von Egon Schieles Gemälde „Am Bauch liegender weiblicher Akt“. Rechts von ihr werkt der brasilianische Street-Artist Kobra. Der 42-Jährige ist Rekordhalter des weltgrößten Murals (Wandgemälde, Anm.). Das Kunstwerk „Ethnicities“ wurde anlässlich der Olympischen Spiele in Rio 2016 gestaltet. In Wien fertigt er eine Version der Fotografie „Klimt mit Katze“. Das Jubiläumsjahr von Klimt und Schiele (beide Künstler sind vor 100 Jahren gestorben, Anm.) hat viele Künstler inspiriert.
Hauseigentümer feiern
Die Wiener können während des Festivals nicht nur die Künstler bei der Arbeit beobachten, es wird auch ein Rahmenprogramm (siehe Kasten unten) mit Filmvorführungen und Partys geboten.
Eine kleine Feier der Hausbewohner wird es am Freitag auch am Ludwig-Hirsch-Platz geben. Die Hausbewohner haben Freunde eingeladen, wollen das Kunstwerk an ihrer Hauswand präsentieren.
Das freut Jakob Kattner auch deshalb, weil es oft ein langer Weg bis zum Einverständnis der Hauseigentümer ist. „ Generell“, meint er, „ist es harter Kampf, Akzeptanz für diese junge Kunstform zu bekommen.“
Aber steter Tropfen höhlt doch den Stein. Mittlerweile gibt es nicht nur Kooperationen mit dem Mumok, sondern auch mit der Albertina und dem Kunsthistorischen Museum. Und: Erstmals melden sich Personen beim „Calle Libre“-Team, die erklären: „Wir hätten da eine leer stehende Wand. Wäre das für euch interessant?“
„Wien ist Hotspot für den Graffiti-Tourismus“
Ob in der Kunst, der Mode, der Musik: Wien hinkt im Vergleich mit anderen Metropolen oft ein wenig hinterher. Nicht so bei der Street-Art-Szene: Wer etwa den Donaukanal von der Urania bis nach Nussdorf entlangspaziert, findet nur wenige nicht gestaltete Flecken. „Wien ist ein Hotspot für den Graffititourismus. Immer mehr Menschen kommen extra zum Sprayen hierher“, sagt Franz Kratzer von der Wienerwand, jenem Projekt, das seit 2004 legale Wände für Graffiti- und Street-Art-Künstler zur Verfügung stellt. Derzeit gibt es 20 Plätze.
Die ersten legalen Flächen hat es in Wien in den 1990ern gegeben – als sich eine erste, richtige Graffiti-Szene etabliert hatte. Darauf reagierte nämlich die Polizei: Viele illegale Sprayer wurden in dieser Zeit festgenommen und gestraft. In der Folge bildete sich die Graffiti Union, die legale Flächen forderte – und mit diesem Wunsch auch gehört wurde.
Wie viele Graffiti es heute in Wien gibt? „Das ist schwer zu sagen, ganz Wien ist doch ein Graffiti-Museum“, meint Norbert Siegl vom 1996 gegründeten Institut für Graffiti-Forschung. Dass große Institutionen mit Graffiti- und Street-Art-Künstlern immer häufiger kooperieren, sieht Siegl kritisch: „Ohne Gesellschaftskritik handelt es sich wertlose Behübschung. Und das hat nichts mit Graffiti nichts zu tun.“
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