Was Ordnungshütern nahegeht

Was Ordnungshütern nahegeht
41 Beamte gingen unter die Schriftsteller – über zwei schreibt heute der KURIER.
Von Uwe Mauch

Unterwegs mit dem Chef persönlich, auf der „Straße der Sieger“, der Wiener Mariahilfer Straße. Keine 30 Meter kommt man, schon wird er angehalten, angesprochen.

So sehen Sieger aus!

Josef Gaschl, seit nunmehr 36 Jahren Polizist im siebenten Bezirk, seit 2005 der Chefinspektor auf dem Wachzimmer in der Stiftgasse, ist hier ein bekannter Mann. Alle kennen ihn – und er kennt sie.

Zum Beispiel die Hütchenspieler, die er mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit lange verfolgt hat. Er lächelt. „Am Ende haben sie, wenn sie mich gesehen haben, zusammengepackt und sind freiwillig zur Einvernahme aufs Kommissariat gekommen.“

Die Handtaschlzieher

Viel hat der Chefinspektor in den 36 Dienstjahren bereits erlebt. Für die zwei Bücher von Christine Dobretsberger, in denen endlich einmal Polizisten erzählen dürfen, wie sie täglich arbeiten hat auch er zwei feine Beiträge geschrieben.

Wieder grüßen ihn Passanten. Beim Namen. Kein Wunder. Wird irgendwo in seinem Revier, das sich von der Mariahilfer bis zur Lerchenfelder Straße und von der Neubaugasse bis zum Museumsquartier erstreckt, ein neues Geschäft eröffnet, ist Chefinspektor Josef Gaschl zur Stelle. Und hinterlässt nebenbei seine Visitkarte. „Nur für den Fall der Fälle.“

Die blonde Frau vor dem Gerngross, hm, vielleicht. Er behält sie ihm Auge.

Seine Spezialität sind die Handtaschlzieher, vor allem die gewerbsmäßigen. Unzählige hat er schon auf frischer Tat ertappt. Das einzige Problem des Niederösterreichers: „Wenn ich mit meiner Frau in Sankt Pölten privat einkaufen gehe, kann ich auch dort einfach nicht wegschauen.“
Was nicht nur für die Sankt Pöltener Handtaschlzieher schlecht ist.

Die Fahrraddiebe

„Meine Frau sagt manchmal, ich bin zu viel Polizist. Aber was soll ich denn machen?“ Er könne auch das Diensttelefon zu Hause nicht einfach abdrehen. „Weil wenn ein junger Kollege dringend einen Rat von mir benötigt, dann soll der nicht warten, bis ich wieder im Dienst bin.“

In der Polizeiinspektion, wie das heute im korrekten Amtsdeutsch heißt, neben der Stiftskaserne versehen 34 Polizisten und fünf Polizeischüler Dienst. Dass die meisten ihren Dienst gerne machen, ist wohl auch ein Verdienst ihres sympathischen Vorgesetzten.

Den bringen heute maximal noch die Fahrraddiebe aus der Fassung. Er hebt den Zeigefinger. Täte viel dafür geben, könnte er ihnen Herr werden. Ihm selbst wurden schon drei Räder vor dem Westbahnhof gestohlen. Er hat daher ein gutes Schloss gekauft: „Seither habe ich Ruhe, weil das hat bis jetzt noch keiner angegriffen.“

Jede Gasse, jedes Haus, fast jeden Lokalbesitzer und jede Schuldirektorin kennt der Chefinspektor in seinem Rajon. Zwar hat die Bürokratie auch ihn im Griff, doch er bleibt dabei: „Der Kontakt zu den Bürgern ist wichtig.“
Dann biegt er Richtung U-Bahn-Station ab: Amtshandlung in der dortigen „Örtlichkeit“, wie er das unterirdische Männer-WC nennt. Delikat. Unappetitlich.

Doch es wäre nicht der Gentleman Gaschl, würde er sich nicht auch hier zunächst um eine möglichst friedliche Lösung bemühen.

Trifft man Dagmar Steinkogler mit Töchterchen im nö. Leobersdorf, würde man vielleicht nicht sofort annehmen, dass sie zu den profiliertesten Kriminalbeamten Österreichs zählt. Gut, im Moment ist sie in Karenz. Und mit völlig anderen Dingen des Lebens konfrontiert. Doch bevor ihr Kind zur Welt kam, hat sie unter anderem im Fall Kampusch und auch im Fall Kührer ermittelt.

Keine Frage, Mutter sein ist schön. Aber Steinkogler freut sich auch schon auf die Rückkehr in ihren Beruf – in die vierköpfige Cold-Case-Management-Gruppe, eine gut eingespielte Truppe, wie sie sagt, die alte, ungelöste Fälle neu aufrollen und auch akribisch aufklären soll.

„Das ist für mich eine wunderbare Arbeit“, erzählt die 41-jährige Steirerin, die seit zwanzig Jahren bei der Polizei arbeitet. „Manchmal hast du zwei Puzzleteile auf dem Tisch, und dann versuchst du tagelang herauszufinden, wie sie zusammenpassen. Und dann machst du eine neue Entdeckung, und plötzlich macht es klick.“

Das Schwierige an Cold-Case-Fällen ist, dass es sehr viele Puzzleteile gibt. „Was unsere Arbeit auch anstrengend macht. Oft sitzt man am Abend zu Hause, und recherchiert weiter im Internet.“

Von der Obersteiermark nach Wien

Steinkogler stammt aus einem kleinen, abgelegenen Ort in der Obersteiermark. Die Polizei bot ihr die Chance, den Schritt hinaus in die moderne Welt zu wagen. In der Polizeischule in Wien fand sie auch sofort Anschluss: „Das war nicht schwer. Die meisten Kollegen waren Steirer und Kärntner.“

Dafür war der Umgang mit den Wienern für die Uniformierte am Anfang gewöhnungsbedürftig: „Es gab Autofahrer, die mich nicht ernst nahmen, und Frauen, die ihren Kindern von der bösen Politesse erzählt haben.“

"Nie persönlich nehmen"

Erfahrene Vorgesetzte haben ihr das Richtige gesagt: „Dass ich das nie persönlich nehmen darf.“

Steinkogler hat jedenfalls ihren Weg gemacht. Sie hat später auch für eine Einheit zur Terrorismusbekämpfung gearbeitet, dann in der Erstaufnahmestelle im Flüchtlingslager Traiskirchen, dann in einem Referat zur Schlepper-Bekämpfung.

Cold-Case-Fälle im Fernsehen kann sie nicht ernst nehmen: „Die lösen ihre Fälle in 45 Minuten, wofür wir eineinhalb Jahre benötigen.“

Christine Dobretsberger arbeitet als Autorin, Journalistin und Geschäftsführerin der Text- und Grafikagentur Linea.art in Wien.

Bereits mit ihrem ersten Buch „Polizisten weinen nicht“ (2010 erschienen) hat sie für Aufsehen gesorgt. Auch darin kommen die Beamten selbst zu Wort.

Rechtzeitig zum heutigen Tag der Menschenrechte (10. 12.) ist nun ihr zweiter Polizisten-Band im Molden-Verschlag erschienen (256 Seiten, 19,99 Euro). Das Buch trägt den Titel „Polizist und Mensch – Geschichten, die unter die Haut gehen“ – und wieder haben die 41 Protagonisten Erstaunliches zu Papier gebracht.

Autorin Dobretsberger über ihre Motivation zu diesem Projekt: „Ich schaue gerne Krimis, aber die sind ja bekanntlich nicht sehr real. Ich wollte aber schon immer Kriminalgeschichten aus erster Hand erfahren. Und zwar von den Polizisten selbst.“

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