Wahlkabine.at-Gründer: "Wir wurden als Provokation wahrgenommen"

Wahlkabine.at ist als Online-Orientierungshilfe vor Wahlen längst eine Institution. Auch vor der Wien-Wahl kann man die eigenen Parteipräferenzen testen. Die Fragen im Online-Fragebogen werden vom Team, Wissenschaftern und Medien – auch der KURIER ist Medienpartner – sorgfältig ausgewählt, die Antworten der Parteien werden gründlich gecheckt.
Konrad Becker ist einer der Begründer der Initiative – und erzählt von den Anfängen der „Wahlkabine“.
KURIER: Als die „Wahlkabine“ gegründet wurde, war sie ein echtes Novum. Wie kam es dazu?
Konrad Becker: Wir haben damals, als das Internet noch neu und heiß war, als Team am Institut für Neue Kulturtechnologie allerlei Projekte gestartet, die seine Nutzung kritisch hinterfragt haben. Das war zu einer Zeit, als die breite Öffentlichkeit dachte, das Internet werde sich nur einige Jahre halten und dann wieder verschwinden. Heute wissen wir, dass algorithmische Systeme, Social Media und KI unsere gesamte Gesellschaft verändert haben – von der Stadtplanung über Kriege bis hin zu Wahlen. Vor diesem Hintergrund ist die „Wahlkabine“ entstanden. In Deutschland wurde zeitgleich der „Wahl-O-Mat“ entwickelt. Beides war damals ganz neu und ungewöhnlich.
Wie wurde Ihre Initiative von den politischen Parteien aufgenommen?
Wir wurden natürlich vor allem als Provokation wahrgenommen, wie das halt so üblich ist in Österreich. Weil: „Da könnt ja jeder kommen!“. Anfangs haben wir daher gezittert, ob uns die Parteien unsere Fragenkataloge überhaupt beantworten.
Gab es jemanden, der sich besonders erregt hat?
Ich kann stolz sagen: Sie hassen uns alle. In der Anfangszeit hatte ich durchaus Nachrichten auf meiner Mailbox, in der man mir „unter Freunden“ riet, „das jetzt endlich abzudrehen“. Irgendwann kam die Akzeptanz. Auch weil wir den Parteien signalisiert haben, dass wir die Fragen notfalls selbst für sie beantworten, wenn sie nicht liefern.
Das besondere an Ihrem Modell ist, dass die Eigenangaben der Parteien nochmals von Experten überprüft und bewertet werden.
So manche Partei hat bereits versucht, unser System auszutricksen. Da haben dann schlaue Mathematiker in den Parteizentralen überlegt, mit welchen Antworten man am meisten Zustimmung herausholen kann. Das ist der Grund, warum wir keine Angaben ungeprüft übernehmen. Das ist das Besondere gegenüber anderen Votingtools: An unseren Sitzungen nehmen Wissenschafter und Medien teil, alle haben davor ausführlich recherchiert und diskutiert. Das ist echte Qualitätssicherung. Das können nur Menschen. Das schafft keine KI.
Worin sehen Sie den demokratiepolitische Mehrwert? Darin, dass jeder abgleichen kann, ob er eh das „für sich Richtige“ wählt?
Wir wurden oft als schickes Internet-Gadget wahrgenommen. Und natürlich spielt Gamification eine Rolle. Aber vor allem geht es darum, ein Gegengewicht zur Personalisierung in der Politik zu setzen, bei der es nur noch um die Aura des Spitzenkandidaten und das Marketing geht. Für uns stehen die Inhalte im Zentrum. Und dann geht es natürlich darum, junge Menschen – vor allem Erstwähler – anzusprechen. Darum haben wir früh auf „mobile first“ umgestellt: Damit auch die Jugendlichen im Park auf dem Handy die „Wahlkabine“ absolvieren können.
Die Überraschung der Nutzer ist oft groß. Nicht immer stimmt das Ergebnis mit dem eigenen Wahlverhalten überein ...
Ich muss betonen, dass das Ergebnis der „Wahlkabine“ keine Wahlempfehlung darstellt – sondern eine Orientierungshilfe. Aber tatsächlich kommen die Ergebnisse oft sogar für Parteifunktionäre überraschend. So manche merken erst dann, dass sie ihr eigenes Wahlprogramm nicht genau genug gelesen haben.
Wer sind die Nutzer?
Wir gehen mit den Nutzerdaten sehr sorgsam um, daher kann ich nicht viel dazu sagen. Alle Versuche von Parteien, mit uns zu kooperieren oder an unsere Daten zu kommen, haben wir immer abgeblockt. Und glauben Sie mir, da gab es viele schmutzige Angebote. Aber eines darf ich verraten: Das Vorurteil, dass unsere Nutzer nur aus dem links-liberalen, urbanen Umfeld kommen, stimmt nicht. Die Wahlkabine wird meist ungefähr so genutzt, wie dann auch tatsächlich gewählt wird. Nur kleine Oppositionsparteien – wie einst das BZÖ – sind leicht überrepräsentiert in den Ergebnissen: Diese Parteien haben den Vorteil, dass sie viel behaupten können, das sie noch nie beweisen mussten oder konnten.
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