Volkshilfe Hafen: Wo Frauen in Wien neu anfangen können

Mehrstöckiges, modernes Gebäude mit der Aufschrift „Volkshilfe“ an einer Straßenecke, mehrere geparkte Autos und Straßenbahn.
Der Volkshilfe Hafen bietet Frauen mehr als nur ein Dach über dem Kopf. Hier finden sie zu einem selbstbestimmten Leben.

Wo die Stadt langsam in die Weinberge übergeht und der Donaukanal von der Donau abzweigt, liegt der „Volkshilfe Wien hafen*“, so die Eigenschreibweise. Eine junge Frau öffnet gerade mit ihrem Zutrittschip die Haustür – bis zu ihrem Vorzimmer wird sie noch drei Türen auf diese Weise entsperren. Denn Sicherheit gehört hier zum Konzept. 

In den 30 Wohnungen des Hafens wohnen 79 Menschen zwischen zwei und 72 Jahren – und zwar nur Frauen und ihre Kinder. Der Hafen richtet sich grundsätzlich an alle Frauen, aber in erster Linie an von Gewalt, Armut oder Obdachlosigkeit Betroffene und Seniorinnen. Zudem gibt es im Haus eine WG für Studentinnen und Frauen in Ausbildung.

Ein heller Flur mit gelben und weißen Wänden, Geländern, mehreren Türen, einer Topfpflanze und bunten Bildern an der Wand.

Das moderne Gebäude ist innen hell und luftig.

Boden unter den Füßen

Damit wird eine wichtige Lücke geschlossen, sagt Hafen-Leiterin Eva Szigetvari. „In Frauenhäusern ist der Aufenthalt auf sechs Monate begrenzt und sie sind oftmals überbelegt. Gleichzeitig sind die Frauen für eine Gemeindewohnung oft noch nicht anspruchsberechtigt, weil sie z. B in einem laufenden Scheidungsverfahren sind.“

Dabei sei es gerade in herausfordernden Lebenslagen, in denen sich die Frauen meist befinden, wichtig, ohne zusätzlichen Druck im Nacken zu Stabilität und Kraft für einen Neubeginn zu finden. Daher laufen die Nutzungsverträge im Hafen auf drei bis fünf Jahre. „In dieser Zeit können die Frauen wieder Boden unter den Füßen gewinnen“, erklärt Volkshilfe-Wien-Geschäftsführerin Tanja Wehsely.

Mit den drei hier beschäftigten Sozialarbeiterinnen wird daran gearbeitet, die Frauen auf ein eigenständiges Leben und eine langfristige Wohnperspektive vorzubereiten. „Und was uns besonders wichtig ist: Hier bestimmen sie.“ Für so gut wie alle der Bewohnerinnen ist es das erste Mal, dass ein Mietvertrag auf ihren Namen läuft.

  Hafen- Leiterin Eva  Szigetvari (links) und Volkshilfe-Wien-Geschäftsführerin Tanja  Wehsely auf der Hafen-Terrasse.

Hafen-Leiterin Eva Szigetvari (links) und Volkshilfe-Wien-Geschäftsführerin Tanja Wehsely auf einer der Hafen-Terrassen.  

"Permanente strukturelle Benachteiligung"

„Alle sozialen Probleme treffen Frauen einfach doppelt und dreifach“, sagt Wehsely beim Gang durch das luftige, helle Gebäude. Der Mietvertrag oder das Bankkonto laufen oft auf den Mann. Dazu komme, dass viele Frauen wegen Kinderbetreuungspflichten nur Teilzeit arbeiten können. „Du bist einfach immer abhängig, gleichzeitig hängt an dir die ganze Pflegearbeit. Es ist eine Kaskade der permanenten strukturellen Benachteiligung.“ Verschärft, wenn man als Frau Migrationshintergrund hat.

Die Nachfrage ist seit der Eröffnung vor zwei Jahren sehr groß. „Wir haben eine Warteliste, mit der ich sofort zwei weitere Häuser befüllen könnte“, sagt Szigetvari, und öffnet die Tür zu einer der drei gemeinsam genutzten Terrassen. Auf einem Wäscheständer trocknet Kinderbettwäsche, die Tomaten entlang der Wand sprießen.

Ein Holzliegestuhl steht auf einer sonnigen Terrasse, umgeben von Tomaten- und Paprikapflanzen in Töpfen.

Um die Begrünung und die Gemüsepflanzen auf den Terrassen kümmern sich die Bewohnerinnen selbst.

„Um die Blumen und Gemüsepflanzen kümmert sich eine unserer älteren Bewohnerinnen gemeinsam mit zwei Kindern aus dem Haus“, erzählt sie, während die Bahn vorbei rattert. 

Diese generationenübergeifende Freundschaft sei ganz von selbst entstanden – und ist ganz im Sinne der sozial durchmischten und solidarischen Wohngemeinschaft, die der Hafen für seine Bewohnerinnen sein will.

Spätes Zuhause

Die ältere Dame war in einer langjährigen Beziehung gewesen, als ihre Mutter in Niederösterreich schwer erkrankte und sie zur Mutter zog, um sie zu pflegen. Als sie nach dem Tod der Mutter wieder in die eheliche Wiener Wohnung zurückkehren wollte, ließ ihr Mann das nicht zu. Da war sie 69 Jahre alt. „Sie ist dann in einem Chancenhaus untergekommen. Und sie hat mir erzählt, dass sie 82 Anfragen für Wohnungen verschickt hat – ohne Erfolg“, sagt Szigetvari. Jetzt lebt sie im Hafen, und das, wie alle Bewohnerinnen über 55, unbefristet. „Und sie macht wirklich wunderschöne Blumen“, sagt Szigetvari mit Blick auf die Blütenpracht der Terrasse.

Der Hafen ist ein Ort für einen Neuanfang. Oder, wie es Wehsely formuliert: „Bei uns passt das Hafenbild wirklich: Du kommst mit einem Schiffswrack an, dass schon vom Untergang bedroht ist, und wir bauen mit dir das Boot wieder zusammen, sodass es wieder wegsegeln kann.“