Gewaltambulanz Wien: 400 dokumentierte Fälle in nur acht Monaten

PK MEDUNI WIEN "ERSTE BILANZ DER UNTERSUCHUNGSSTELLE FÜR GEWALTBETROFFENE": SPORRER / HOLZLEITNER / KÖNIGSBERGER-LUDWIG / STOLZ
Die Untersuchungsstelle für Gewaltbetroffene zieht eine erste Zwischenbilanz - die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache.

Hinter der unscheinbaren Eingangstür in der Zimmermanngasse im Wiener Alsergrund verbergen sich Räume, die auf den ersten Blick eine gewöhnliche Arztpraxis vermuten lassen. Ein heller Wartebereich samt Kinderecke, zwei nüchtern gehaltene Untersuchungsräume, Blumenbilder an den Wänden. Doch diese Einrichtung wendet sich exklusiv an gewaltbetroffene Menschen.

Anfang des Jahres eröffnete hier die Untersuchungsstelle für Gewaltbetroffene (UGB) der MedUni Wien. Am Freitag präsentierte Katharina Stolz, die Leiterin der UGB, gemeinsam mit mehreren Regierungsmitgliedern die erste Zwischenbilanz – mit deutlichen Ergebnissen.

Gewaltambulanz Wien: 84 Prozent weiblich

Es habe bereits 400 „fallbezogene Befassungen“ gegeben. 84 Prozent der gewaltbetroffenen Personen waren weiblich. Die Altersspanne reichte von einem bis 92 Jahren, 17 Prozent waren minderjährig, davon wiederum fast 70 Prozent Mädchen.

In knapp einem Viertel der Fälle ging es um sexualisierte Gewalt, in acht Prozent bestand der Verdacht auf den Einsatz von K. O.-Tropfen. Beim überwiegenden restlichen Teil handelte es sich um sogenannte häusliche Gewalt bzw. Gewalt im sozialen Nahraum.

Die kleinste Verletzung

In 293 Fällen wurden klinisch-forensische Untersuchungen durchgeführt. Und das, wie Stolz betont, kostenfrei, auch ohne E-Card und verfahrensunabhängig. „Das Ziel ist die lückenlose Dokumentation des gesamten Verletzungsbildes“, sagt Stolz. Dazu gehöre auch „der kleinste Kratzer, die kleinste Abschürfung, das blasseste Hämatom“. Gerade diese leichten Verletzungen, die keine Behandlung erfordern und etwa die Hälfte der im UGB dokumentierten Verletzungen ausmachen, werden oft nicht gut genug dokumentiert, um vor Gericht standzuhalten

Das ist besonders dann entscheidend, wenn z. B. bei sexualisierter Gewalt die Frage der Freiwilligkeit im Raum steht. „In diesen Gewaltsituationen gibt es meist keine Zeugen, darum ist die gerichtsfeste Dokumentation der Spuren so wichtig“, sagt Justizministerin Anna Sporrer (SPÖ). So könne man Straftäter effektiver verfolgen und Betroffene, überwiegend Frauen, besser schützen.

Die Spuren werden dann für zehn Jahre aufbewahrt, was den Opfern einerseits Bedenkzeit gibt und ihnen andererseits eine verbesserte Ausgangslage in späteren Gerichtsverfahren bietet, sollten sie sich für eine Anzeige entscheiden. Das war in 53 Prozent der im UGB untersuchten Fälle bisher der Fall.

„Die Bilanz der ersten Monate zeigt die Dringlichkeit des Problems“, sagt Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner (SPÖ) bei der Präsentation der Ergebnisse.

Ausweitung

Für das Pilotprojekt des Zentrums für Gerichtsmedizin, das mit Bundesmitteln aus vier Ministerien gefördert wird, sei trotz Spardrucks der Weiterbestand nicht in Gefahr, betonten die anwesenden Ministerinnen, darunter auch Gesundheits- und Sozialministerin Korinna Schumann (SPÖ).

Im Gegenteil: Es finden bereits Gespräche statt, um das bestehende Angebot der Standorte Graz und Wien auch auf die Bundesländer Salzburg und Oberösterreich auszuweiten. Auch die Gewaltschutzambulanz in Innsbruck soll Teil des Bundesnetzes werden.

Wie wichtig das ist, zeigt die Wiener Zwischenbilanz. Sieben Betroffene mussten die UGB in den ersten acht Monaten bereits mehrfach aufsuchen.