Sensationsfund in Simmering: "Das ist wie ein großer Kriminalfall"

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Die Leiterin der Stadtärchäologie, Kristina Adler-Wölfl, über Neuigkeiten rund um das römische Massengrab in der Hasenleitengasse.

Im April wurde der Sensationsfund aus Simmering präsentiert. In der Hasenleitengasse wurden 150 Skelette entdeckt, die der Schlüssel für die Gründung Wiens sein dürften. Mittlerweile gibt es neue Erkenntnisse, berichtet Kristina Adler-Wölfl, die Leiterin Stadtarchäologie. 

Was weiß man mittlerweile Neues über den Knochenfund?

Das römische Massengrab ist wie ein großer Kriminalfall. Geklärt ist er noch nicht, aber es gibt neue Indizien zu einigen großen Fragen. War es eine Auseinandersetzung Römer gegen Römer oder Römer gegen Germanen? Wer sind die hier bestatteten Opfer? Es ist uns gelungen, erste DNA-Analysen auf den Weg zu bringen. Die erste Frage dabei war, ob in den Knochen überhaupt genügend DNA für eine Sequenzierung erhalten ist. Hier gibt es gute Nachrichten, besonders gut klappte es bei Proben vom Felsenbein. Das Felsenbein umgibt das Innenohr, es ist sehr dicht und hart und enthält dadurch besonders viel DNA. Die Chancen stehen also gut, dass für viele einzelne Individuen Aussagen zu ihrer Herkunft möglich sein werden. Durch Isotopen-Untersuchungen der Zähne kann man die Ernährung und somit den Aufenthalt in der Kindheit klären.

++ HANDOUT ++ "SENSATIONSFUND" AUS RÖMERZEIT IN WIEN SIMMERING

Gibt es weitere Hinweise zum Zeitpunkt des Todes? 

Das Grab lässt sich nun sicher in die Jahrzehnte kurz vor oder kurz nach 100 n. Chr. datieren. Die Markomannenkriege, 166-180 n. Chr., fallen damit endgültig weg. Es bleiben aber immer noch viele Fragen zum Tathergang. Hinweise darauf können indirekt die Verletzungen geben, die zum Teil an den Knochen sichtbar sind. Am häufigsten ist die Beckenregion betroffen. Hier handelt es sich meist um Verletzungen durch Lanzen, Speere, Pfeile oder Geschosse. Am zweit häufigsten finden sich Hiebverletzungen am Schädel. Manchmal wird dabei große Gewalt sichtbar. Bei einem Individuum konnte ein Hieb sogar die Zähne durchtrennen. Auffallend sind generell die vielen unterschiedlichen Arten von Verletzungen, gezielte Enthauptungen fehlen. Wir haben es also mit einem Kampfgeschehen zu tun, am wahrscheinlichsten sind immer noch die Donaukriege Domitians, 85-97 n. Chr. Die großen Verluste waren wohl einer der Anlässe für die Gründung des Legionslagers von Vindobona 98 n. Chr. unter Kaiser Trajan. In jedem Fall ist das römische Massengrab in Simmering einer der bedeutendsten Funde zur römischen Geschichte auf Wiener Boden.

Zahlreiche internationale Medien bis zu CNN haben berichtet. Hätten Sie mit so viel Interesse gerechnet?

Das römische Massengrab ist ein einzigartiger Fund, nicht nur für Wien und Österreich, sondern für den gesamten europäischen Teil des römischen Reiches, aber dass die Resonanz darauf weltweit so groß ist, hat uns schon sehr gefreut. Berichte von der New York Times bis zum National Geographic über archäologische Funde aus Wien hat man nicht alle Tage. 

Offen war bisher noch, ob es eine Ausstellung von Fundstücken gibt, ist da mittlerweile schon etwas entschieden?

Im Römermuseum gibt es einen kleinen Raum, der extra dafür konzipiert wurde, um aktuelle Funde und Forschungsergebnisse zu präsentieren. Das ist sicher ein guter Rahmen. Aber noch sind wir nicht so weit. Zuerst müssen alle Analysen abgeschlossen und alle Indizien ausgewertet werden.

Welche Besonderheiten wurden heuer noch von der Stadtarchäologie entdeckt? 

Wir begleiten regelmäßig Infrastrukturprojekte in der Stadt. Es ist mittlerweile ein gut eingespielter Ablauf, vor allem wenn das Fernwärme- und Fernkältenetz erweitert wird, aber auch beim Austausch von Wasserrohren. Diese Künetten sind wie Fenster in die Vergangenheit, die sich öffnen, aber auch schnell wieder schließen. Und man hat genau diese eine Möglichkeit in den Boden zu schauen. Denn so viele Gelegenheiten für archäologische Grabungen gibt es nicht in einer dicht verbauten Stadt. Überall, wo Häuser stehen, haben deren Keller bereits so gut wie alles zerstört. Chancen sind vor allem nicht unterkellerte Höfe, und Plätze, wo noch keine Tiefgarage darunter ist. In der Bognergasse verlief zum Beispiel eine Künette mitten durch die Kasernen des Legionslagers, genauer gesagt durch den sogenannten Kopfbau. Das ist ein komfortabel ausgestatteter Bereich, wo der Centurio, der Kommandant einer Centurie, einer 80-100 Mann starken Einheit, wohnte. Hier kamen gut erhaltene Mauerreste mit einem Türdurchgang, Estrichböden und Reste von Wandmalerei zutage. Die einfachen Soldaten wohnten nicht so bequem. Sie waren im Rest des Kasernenblocks jeweils zu acht in einer Wohneinheit, einem contubernium, untergebracht.

Offenbar wurde heuer auch unter der Kärntner Straße eine römische Via entdeckt - wann etwa wurde die erste "Kärntner Straße" errichtet?

Stimmt, die Trasse der Kärntner Straße ist älter als man glaubt. In ihrem Verlauf gab es schon in der Römerzeit eine Straße vom Legionslager kommend Richtung Scarbantia, also Sopron. Die Straße wurde wahrscheinlich etwa gleichzeitig mit der Gründung des Legionslagers 98 n. Chr. angelegt. Vermutet wurde diese Straße schon länger, sie ließ sich aber nicht beweisen. Wir sind sehr froh, dass das nun in einer Fernkältekünette vor den Hotels Sacher und Astoria gelungen ist. Es ist aber nicht die Via Appia mit einer Steinpflasterung, sondern ein Schotterpaket - über einen Meter hoch. 

Eine Goldgrube ist oft auch der U-Bahn-Bau. Wurde bei der U2/U5 etwas Interessante entdeckt?

Am wichtigsten war sicher die Grabung am Frankhplatz. Hier kamen nicht so wie vermutet Gräber zutage, sondern Siedlungsreste: ein Gebäude, Öfen und Brunnen. Die römische Lagervorstadt reichte also deutlich weiter nach Westen als gedacht. Seltene Funde waren auch Holzreste tief unten im Aushub für den Notausstiegsschacht am Augustinplatz: Holzbalken eines Kellers aus der Mitte des 14. Jahrhunderts und Teile einer Wasserleitung aus Kiefernholz vom Ende des 15. Jahrhunderts. Die archäologische Begleitung vom Linienkreuz U2/U5 ist aber mittlerweile abgeschlossen, wir sind schon bei den Vorarbeiten für die Verlängerung der U5 nach Hernals. Die Station Elterleinplatz liegt im Areal der römischen Legionsziegelei und im Zentrum des alten Ortes Hernals mit dem spätmittelalterlichen bis frühneuzeitlichen Schloss. Wir sind schon sehr gespannt, was hier alles ans Licht kommen wird.

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