Tschetschenische "Sittenwächter": Wiener Polizei geht von hunderten weiblichen Opfern aus
Das Wiener Landeskriminalamt ermittelt derzeit gegen selbsternannte "Sittenwächter" aus der austro-tschetschenischen Community. Wie der KURIER berichtete, soll die Organisation hierarchisch organisiert gewesen sein und in geheimen Chatgruppen kommuniziert haben. Die Männer sollen zumindest seit Anfang des Jahres Frauen mit tschetschenischer Migrationsgeschichte im Internet und auf der Straße beobachtet haben und sie nach islamistisch-konservativen Kriterien beurteilt haben.
Agierten die Frauen nicht, wie es den Männern passte, so sollen diese nicht nur aufgesucht und "belehrt" worden sein. Die Männer sollen auch Fotos der Frauen veröffentlicht haben und diese teilweise vor Gebetsräumen ausgehängt haben. In manchen Fällen seien die Frauen auch verfolgt und körperlich misshandelt worden, berichtet die Polizei. Ein Foto in Badebekleidung oder eine Beziehung zu einer nicht tschetschenisch-stämmigen Person hatte ausgereicht. Ins Rollen war der Fall gekommen, nachdem sich eine Betroffene an die Polizei gewandt hatte
Vier Personen in Haft
Die Organisation handelte laut Polizei vorwiegend in Chatgruppen auf verschiedenen Plattformen, wo das angeblich „sittenwidrige“ Verhalten der Frauen beobachtet und protokolliert wurde. "Es wurden auch absichtlich geschlossene Chatgruppen verwendet, um mögliche Ermittlungen zu erschweren", heißt es von der Polizei.
Mittlerweile werden in dem Ermittlungsakt elf namentlich bekannte Personen - darunter auch eine Frau - als Beschuldigte geführt. Sie alle haben die russische Staatsbürgerschaft. Davon befinden sich derzeit vier Personen in Untersuchungshaft. Sie wurden wegen der "Gründung einer kriminellen Vereinigung" sowie eines "verbrecherischen Komplotts" und Nötigung angezeigt.
"Aufgrund der gesichteten Daten und der bislang erworbenen Erkenntnisse dürfte es aber eine hohe Dunkelziffer weiterer unbekannter Täter geben, die in verschiedenen Formen der kriminellen Struktur zugearbeitet hatten", berichtet die Polizei.
Auf Opferseite sind derzeit zehn Frauen namentlich bekannt. "Die Zahl der Opfer könnte aber durchaus im dreistelligen Bereich liegen", schätzt die Polizei.
Erhebliche Datenmengen sichergestellt
Im Zuge von Hausdurchsuchungen wurden laut Polizei nämlich erhebliche Mengen (rund 60 Gigabyte) an Datenmaterial in Form von Chatprotokollen, Bildern und Videos sichergestellt. Die Sichtung und Auswertung dieser Daten dauerte mehrere Wochen. Auf einem Laptop fanden die Beamten beispielsweise eine Datenbank, wo akribisch die Online-Aktivitäten hunderter junger Frauen gesammelt wurden. Welche dieser Frauen aber tatsächlich Opfer der kriminellen Gruppe geworden sind, ist noch unklar. Es hätten sich aber nicht mehr Opfer bei der Polizei gemeldet.
Ermittlungen wegen Waffenhandels
Es wurden auch Videos gesichert, wo unbekannte Personen körperlich misshandelt werden. Hierbei konnten auch Hinweise auf weitere strafbare Handlungen eruiert werden. Die Verdachtsmomente gehen in Richtung Waffenhandel, Freiheitsentziehung, schwerer Körperverletzung und Auto-Diebstahl. In diesen Fällen wird derzeit noch gegen unbekannt Täter ermittelt.
"Es handelt sich dabei aber um weitere Ermittlungen, zu denen ein neuer Akt angelegt wird", sagt Polizeisprecher Eidenberger. Es sei noch nicht bekannt, ob die Fälle zusammenhängen und wo diese Videos überhaupt aufgenommen wurden. Besonders schwer würde die Ermittlungen auch machen, dass alle Beschuldigten zahlreiche Aliasnamen verwenden würden.
"Es geht Bande eher um Geld"
Klar ist für Eidenberger, dass die Personen nicht nur nach eigenen Regeln leben, die im Widerspruch zum Rechtsstaat stehen, sondern auch den Islam „viel strenger auslegen“ als üblich.
Dementsprechend verurteilt werden die Vorfälle in der austro-tschetschenischen Gemeinschaft: „Solche Verbrechen haben nichts mit nationaler Mentalität“, ist Khuseyn Ishkanov, nach Österreich geflüchteter Exil-Politiker und Obmann des Kulturvereins Ichkeria, überzeugt.
In Tschetschenien sei es verpönt, sich in die Angelegenheiten anderer Familien einzumischen. Ishkanov ist der Meinung, dass es der Bande eher um Geld als um konservative Werte ging. Darauf würden der mutmaßliche Waffenhandel und Diebstahl hinweisen. Er hoffe jedenfalls, dass das Gesetz jetzt mit voller Härte durchgreift.
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