Treffpunkt: „Die Leute lassen sich so viel gefallen“

Treffpunkt: „Die Leute lassen sich so viel gefallen“
Wieden. Filmemacherin Ruth Beckermann im Funkhaus über „Waldheims Walzer“ und fehlende Diskussionen.

Wien, 1986. „ Waldheim, nein!“, schallt es über den Stephansplatz. Unter den Aktivistinnen und Aktivisten, die die Wahl von Kurt Waldheim zum Bundespräsidenten verhindern wollten, war auch die damals 34-jährige Wienerin Ruth Beckermann.

Nun, 32 Jahre später hat die Dokumentarfilmerin ihr Material von damals mit Nachrichtenbildern ergänzt. „Waldheims Walzer“ ist derzeit in den Kinos zu sehen. Gab es einen Grund für den Zeitpunkt? „Das war eigentlich Zufall“, sagt sie. „Ich habe mir vor fünf Jahren das Material mit jungen Leuten angeschaut und fand das so schockierend, wie die Politiker redeten, wie sich die Antisemiten auf der Straße aufgeführt haben.“

Am meisten verstört habe sie aber die Psyche von Kurt Waldheim. „Die verstehe ich bis heute nicht. Er war so starr in seinem eigenen Narrativ gefangen, dass er diese Geschichte, dass er nicht am Balkan war, vielleicht schon selber geglaubt hat. Und“, fährt die Filmemacherin fort. „dass ich im ORF kein Interview mit Elfriede Jelinek oder Hubertus Czernin gefunden habe. Rückblickend ist es interessant, dass so berühmte Leute nicht um ihre Meinung gefragt wurden. Es geht ja immer darum: Was zeige ich, was zeige ich nicht.“

Sie nimmt einen Schluck Wasser, rückt den Sessel im Café des Funkhauses zurecht.

Treffpunkt: „Die Leute lassen sich so viel gefallen“

Im Sendesaal geträumt

Seit sie ihren Film „Die Geträumten“ (über den Liebesbriefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan,, Anm.) im Funkhaus gedreht hat, hat sie zu dem Haus in der Argentinierstraße (4. Bezirk) mit den beeindruckenden Studios und dem schönen Stiegenhaus eine besondere Beziehung. Zudem ist sie eine große Radiohörerin – „weil ich nebenbei etwas tun kann“ – und das Funkhaus sei ja das Haus der Radiogeschichte.

Wieso der ORF dieses Haus also verkauft hat (an die Baufirma Rhomberg, Anm.), kann sie nicht verstehen. „Das ist, wie wenn man das Burgtheater verkauft und sagt, wir können eh in der Stadthalle spielen.“ Der Große Sendesaal, das Radiosymphonieorchester sowie das ORF-Landesstudio Wien bleiben zwar in der Argentinierstraße. Ö1 und FM4 werden aber in das ORF-Zentrum am Küniglberg übersiedeln.

Wieso sie, wenn ihr das Radio so nahe ist, eigentlich Filmemacherin geworden ist? „Aus einem Mangel heraus. Ich habe nach dem Studium mit zwei Freunden den Filmladen gegründet. Wir wollten politische Filme nach Österreich bringen, die es hier nicht gab, über die Apartheid in Südafrika, über Abtreibung. Und haben erkannt, dass auch heimische Ereignisse – etwa der Streik im Semperit-Werk – nicht filmisch festgehalten werden. Also haben wir begonnen, diese Filme zu machen.“

Wien habe sie aber schon sehr gerne, meint sie. „Die Stadt hat sich seit Waldheim gut verändert. Ich mag die Mischung, das große Angebot an Kultur, die kleinen Espresso-Tschocherln und dass die U-Bahn am Wochenende die ganze Nacht fährt.“

Was sie aber doch stört: „Dass die Leute sich so viel gefallen lassen, so wenig den Mund aufmachen, so wenig diskutiert wird.“ Nicht nur bei Politik, auch wenn ein Film gezeigt wird, ein Theaterstück. „Es wird einfach konsumiert, aber zu wenig reflektiert.“

Obwohl, ergänzt sie: „Es gibt irrsinnig viele tolle Leute. Sie müssen nur wieder Schwung kriegen.“

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