"Therapie statt Strafe" nach acht Vorstrafen

Während Strafe ausgesetzt war, dealte der Vorbestrafte schon wieder.
Beschaffungskriminalität: Justiz-Sektionschef antwortet auf Kritik, dass das Modell ausgenutzt wird.

Das Verfahren gegen einen offenbar gewohnheitsmäßigen Drogendealer in Wien zeigt ein Mal mehr Schwachstellen des Modells "Therapie statt Strafe" auf. Süchtige können sich die Haftstrafe (bis zu drei Jahre) ersparen, wenn sie sich einer (zum Teil stationären) Entzugstherapie unterziehen. Das gilt nicht nur für den reinen Suchtgifthandel, sondern auch für Delikte wie Raub oder Diebstahl, die unter dem Titel Beschaffungskriminalität fungieren. Dieses Modell wird weidlich ausgenutzt.

Ein 38-Jähriger wurde 2015 zum achten Mal wegen Drogenhandels verurteilt. Die zweieinhalb Jahre Haft wurden damals zur Bewährung ausgesetzt. Während der (ambulanten) Behandlung dealte der Mann neuerlich, wurde wieder zu zweieinhalb Jahren verurteilt und stellte abermals einen Antrag, auch diese Strafe für eine Therapie auszusetzen. Die neue Richterin bestellte einen Sachverständigen, der die Therapiefähigkeit begutachten soll. Wird sie nicht verneint, steht dem erneuten Aufschub nichts im Wege.

In der Zwischenzeit wird der Aufschub der ersten zweieinhalb Jahre Haft wegen Verstoßes gegen die Auflagen wahrscheinlich widerrufen und der Dealer muss hinter Gitter. Der Gefängnisaufenthalt behindert aber keineswegs einen Aufschub der zweiten Verurteilung. Der 38-Jährige könnte den stationären Teil der Therapie dann gleich in Haft erledigen, um vorzeitige bedingte Entlassung ansuchen, damit wäre der Fall für ihn erledigt.

Schlupflöcher

Rechtsexperten und auch Richter kritisieren die Praxis als ein "aus der Haft mogeln" (der KURIER berichtete). Das Gesetz sei zu liberal und lasse Schlupflöcher zu. Allein aus der Tatsache, dass ein Angeklagter das Modell mehrfach strapaziert hat, dürfe nämlich keine Therapieunwilligkeit abgeleitet und kein neuer Antrag abgewiesen werden.

Sektionschef Christian Pilnacek vom Justizministerium spielt den Ball zurück an die Richter. Diese könnten aus der Art und Schwere der Tatbegehung sowie aus den Begleitumständen eine besondere Gefährlichkeit ableiten, welche schon von Gesetz wegen bei mehr als 18 Monaten Haftstrafe einer Anwendung des Modells "Therapie statt Strafe" entgegenstehe. Dazu brauche der Richter auch kein Gutachten.

Und wenn zum Beispiel bei einem Raub eine Strafe über drei Jahre Haft verhängt werde, komme ein Strafaufschub ohnehin nicht in Betracht. An eine Reform der betreffenden Gesetzesstelle – etwa in dem Sinn, dass man bestimmte Delikte ausnimmt – wird nicht gedacht. Pilnacek zum KURIER: "Das wäre ein Gleichheitsproblem, wenn man die eine Tat als Finanzierung der Sucht wertet und eine andere nicht." Insgesamt hält Pilnacek die Aufregung für "übertrieben."

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