Tagelöhner: Schnee und Schmäh

Tagelöhner: Schnee und Schmäh
Wer sind die Menschen, die sich bei bitterer Kälte im Morgengrauen für wenig Geld als Tagelöhner verdingen?

Schnee, Frost und Eis. Was den Urlaubern und Hoteliers in den Skigebieten den Glanz in die Augen treibt, lässt Franz* in Wien kalt. „Jetzt hamma grod de Kreuzungen g’ramt, und morgen des Gleiche wieder“, raunzt der Mitarbeiter der Straßenreinigung.

Heute ist Franz wegen des Schneefalls seit 3 Uhr im Dienst. Es gilt, die Kreuzungsbereiche für Fußgänger zu räumen – mit Unterstützung durch einen Tagelöhner, der sich um ganze 5,20 Euro die Stunde ein Zubrot verdient. In diesem Fall ein KURIER-Redakteur, inkognito.

5.30 Uhr ist Treffpunkt bei einem Mistplatz in Ottakring. Draußen hat es minus 11 Grad. In der warmen Stube wird geraucht und Kaffee getrunken. Unter den Alteingesessenen rennt der Schmäh, während die Neuankömmlinge schmähstad herumstehen – bis einer im Vorbeigehen fragt: „Taglöhner? Da müsst’s rauf zum Chef.“ Oben werden die Daten kontrolliert und Warnwesten ausgeteilt. Die Konversation ist knapp gehalten, der Umgangston freundlich. Wenig später geht es los.

 

Notstandshilfe

Mit einer Scheibtruhe voll Splitt und Salz, einer Schaufel und zwei Schneeschabern schwärmen die 48er in Zweiergruppen aus, jeweils ein Angestellter und ein Tagelöhner. Peter* ist einer davon. Er war 22 Jahre als Lkw-Fahrer unterwegs, bis seine Bandscheiben nicht mehr mitspielten. Seit fünf Jahren peppt der 49-Jährige hier seine Notstandshilfe auf. Lange sitzen kann er nicht, erzählt er, aber das Schneeschaufeln und Schaben belastet die kaputten Bandscheiben nur wenig: „Wenn i in Bewegung bin, geht’s.“

Hans* schaufelt hier auch schon seit Jahren, und auch er hat’s mit dem Kreuz. Dazu kommen Durchblutungsstörungen vom Rauchen, die ihm das Arbeiten in der Kälte zur Tortur machen. Vor dreißig Jahren hat er eine Gefängnisstrafe ausgefasst, mit der Vorstrafe gab’s keinen festen Job mehr. So wurschtelt er sich durch, Notstandshilfe plus ein paar Netsch vom Schaufeln. Die Tschik und das Bier wollen verdient sein.

Schwere Zeiten

Tagelöhner: Schnee und Schmäh

Ahmet* ist heute zum ersten Mal hier. Dreißig Jahre war er bei einer Favoritner Holzhandelsfirma beschäftigt, bis diese in Konkurs ging. Vom Arbeitgeber ist ihm nur die dünne Jacke geblieben, die er jetzt trägt. „Es sind schwere Zeiten“, sagt er, „450 Euro Miete, Heizung, Telefon, des geht si nit aus.“ Er kommt aber auch hierher, weil er das Zu-Hause-Herumsitzen nicht mehr aushält.

60 zu 40 Prozent wird hier die Verteilung Ausländer zu Inländern unter Tagelöhnern geschätzt. Das Verhältnis untereinander ist gut, auch die angestellten 48er begegnen ihren Hilfskräften mit Respekt. Man bildet eine Art Schicksalsgemeinschaft, weil alle hier wissen, wie das Leben einem spielen kann. „Nur ein paar Deppen, die gibt’s schon“, sagt Franz, „die glauben, sie müssten mit den Taglöhnern herumschreien. Aber des san a die mit an niederen IQ.“

*Nachdem sich der Redakteur nicht als solcher zu erkennen gegeben hat, um authentische Eindrücke zu bekommen, werden die Namen der hier Porträtierten nicht genannt.

Tagelöhner: 5,20 Euro in der Stunde

25.000 Übergänge Bis zu 400 Streuarbeiter werden bei Bedarf von der MA 48 aufgenommen, um die Straßenreinigung bei der Räumung der rund 25.000 Straßenübergänge der Stadt zu unterstützen. Der Stundenlohn beträgt für Tagstunden € 5,20 (Einsatzzeit 6 bis 11 Uhr) und für Nachtstunden (ab 22 Uhr) € 6,60 (20.30 bis 5 Uhr). Der Lohn wird direkt nach der Arbeit an die Schneeschaufler ausbezahlt.

Anmeldung Die Tagelöhner sollten darauf achten, bei ihrem Zubrot die „Geringfügigkeitsgrenze“ nicht zu überschreiten, wenn sie Arbeitslose oder Notstandshilfe beziehen. Infos, ob Schneeschaufler gebraucht werden, gibt es beim Schneetelefon 01/546 48. Erforderliche Unterlagen bei der Anmeldung: Lichtbildausweis und Sozialversicherungsnummer. Ausländer benötigen eine Arbeitserlaubnis.

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