Kampf um Türkis-Wähler
Die ÖVP hat nur 44,5 Prozent der Wähler aus Wien, die bei der Nationalratswahl ein Kreuzerl bei Türkis gemacht haben, wieder von sich überzeugen können. Ein Wert, der angesichts des schlechten Wahlergebnisses in Wien erwartbar ist. Erstaunlicher ist allerdings, wohin die Wähler abgewandert sind. Tatsächlich konnte nicht die FPÖ davon am meisten profitieren, sondern die SPÖ. Konkret hat sich ein Drittel (33,4 Prozent) der ursprünglichen Türkis-Wähler in Wien für Rot entschieden.
Damit war für 44.000 der Unterstützer der Nehammer-ÖVP die Ludwig-SPÖ eine passende Alternative. Das stützt die in roten Kreisen gern erzählte These, dass der Wiener Bürgermeister auch für die Bürgerlichen eine wählbare Variante und damit ein Politiker der Mitte ist. Zur FPÖ sind hingegen nur 13,6 Prozent und damit 18.000 ÖVP-Stimmen gewandert.
Damit kommt Neuwirth auf andere Ergebnisse als etwa das Foresight-Institut, das in der Wahlnacht ebenfalls die Gemeinderats- und Nationalratswahl verglichen hat, damals aber inklusive Wahlkartenprognose. Laut dieser Erhebung wanderten nur 19 Prozent der ÖVP-Wähler zur SPÖ ab.
Starke Nichtwähler
Rot und Blau verloren beide die meisten Stimmen an die Gruppe der Nichtwähler, Briefkartenwähler und Wähler von „sonstigen Parteien“ – also Kleinstparteien. Bei der FPÖ ist das sogar fast ein Viertel ihrer Wähler. Diese unter dem Kürzel NBS zusammengefasste Gruppe verlor kaum Stimmen – das bedeutet, wer 2024 nicht gewählt hat, der konnte auch 2025 nicht davon überzeugt werden, von seinem Stimmrecht Gebrauch zu machen.
Die Gruppe der Nichtwähler war sowohl bei der Nationalratswahl mit 31,9 Prozent als auch bei der Gemeinderatswahl mit 39,8 Prozent am größten. Rechnet man die Nichtwähler mit ein – was beim Wahlergebnis üblicherweise nicht passiert –, dann konnte die SPÖ bei der NR-Wahl 21,3 Prozent der Wähler von sich überzeugen, bei der GR-Wahl 24,2 Prozent. Die Roten können darum sogar ein Plus von 2,9 Prozent für sich verbuchen. Die Grünen konnten mit 0,1 Prozent geringfügig zulegen, alle anderen Parteien haben verloren.
Die Grünen haben die loyalsten Wähler: 91,2 Prozent, die sich bei der Nationalratswahl für diese Partei entschieden haben, haben es bei der Gemeinderatswahl wieder getan. Bemerkenswert ist auch, dass sie gar keine Stimmen an die Gruppe der Nichtwähler verloren haben.
KPÖ-Grün-Austausch
Die Grünen rund um Parteichefin Judith Pühringer konnten zudem 9.000 KPÖ-Wähler für sich gewinnen – umgekehrt konnte die KPÖ einige Grünwähler bekehren, aber weniger, nämlich nur 5.000. Einige wenige KPÖ-Wähler, nämlich 2000, konnten sich für die SPÖ begeistern – zu Neos, ÖVP und FPÖ wanderte kein einziger ab. Die Blauen unter Parteichef Dominik Nepp haben mit 71,5 Prozent auch eine hohe Behaltequote. Abgesehen von den Nichtwählern gaben sie nur an eine einzige Partei Stimmen ab – nämlich an die SPÖ.
Die Neos konnten auch 69,7 Prozent behalten, verloren mit 12 Prozent aber die meisten Wähler an die SPÖ – in absoluten Zahlen sind das 10.000 Stimmen. Interessanterweise verloren sie auch 6.000 Stimmen an die ÖVP.
Erklärung: Warum Wahl statistisch gesehen nicht gleich Wahl ist
Die diesjährige Gemeinderatswahl lässt sich aus mehrerlei Gründen nur bedingt mit jener von vor fünf Jahren vergleichen. Am 1. Jänner 2024 wurde der Modus der Briefwahl- und Wahlkartenauszählung massiv geändert. Diese wurden früher nicht den Sprengeln, sondern den Bezirken zugerechnet.
2020 fand die Wahl zudem inmitten der Covid-19-Krise statt – ein Umstand, der nicht nur thematisch ein Faktor ist. Die äußeren Einflüsse haben den Anteil der per Wahlkarte oder Briefwahl abgegebenen Stimmen erhöht. Wegen dieser Gemengelage seien die Sprengelergebnisse der Gemeinderatswahl 2020 „aus statistisch-datenorientierter Sicht“ nicht mit jenen der Wahl 2025 zu vergleichen, schreibt Statistiker Erich Neuwirth in seiner Analyse.
Bei der GR-Wahl 2020 wurden etwa 42,5 Prozent der Stimmen nicht in Sprengeln gezählt, 2025 betrug der Wert nur 2,7 Prozent. Bei der Nationalratswahl 2024 lag er bei 5,6 Prozent, was einen Vergleich sinnvoller macht.
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