Am neuen Stammtisch: "Habt Mut zum Gespräch – und zum Streit"

Zu einem etwas anderen Abend hat Karl Wrenkh in sein Restaurant und Kochsalon am Bauernmarkt in der Wiener Innenstadt geladen – und zwar mit der Initiative „Österreich der runden und eckigen Tische“.
Diese hat es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen an einen Tisch zu bringen, die sonst nicht miteinander reden würden. Weil sie aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten kommen, einen anderen Glauben haben, beruflich und privat keine Berührungspunkte haben.
"Beim Kochen werden Leute schneller locker"
Diesmal ging es aber nicht nur ums Essen. Karl Wrenkh, der Gastgeber des Abends, lässt die bunt zusammengewürfelte Truppe auch miteinander kochen.
Aus gutem Grund, wie er erläutert: „Beim gemeinsamen Kochen werden die Leute schneller locker und kommen miteinander ins Gespräch. Ganz ohne Alkohol, wie das sonst in Österreich oft üblich ist.“

Karl Wrenkh, Josef, Rina
Gemeinsam kochen
Und recht hat er, wie der Abend zeigt. Während Gemüse für Maki in Streifen geschnitten wird, Algenblätter mit dem Bunsenbrenner angeröstet und Austernpilze paniert werden, laufen schon die ersten Gespräche.

Perpetua und Agnes aus Meidling.
Etwa zwischen Agnes und Perpetua. Sie kennen sich aus ihrer Pfarre in Meidling und backen beim Wrenkh gemeinsam Böhmische Liwanzen, eine köstliche Nachspeise, wie zum Abschluss alle Gäste feststellen werden.
„Perpetua hat im Chor mitgesungen, mich hat fasziniert, dass sie dabei ihren Sohn die ganze Zeit ganz ruhig auf ihrem Schoß sitzen hatte“, erinnert sich Agnes an die erste Begegnung.
Immer wieder hätten sie sich in der Pfarre getroffen, Agnes wollte mehr über die ihr fremde Frau erfahren. Und hat sie eingeladen, mit ihr diesen Abend zu verbringen. „Jetzt weiß ich schon, dass sie, ihr Mann und die Kinder aus Nigeria kommen“, strahlt sie.
Andere Meinungen anhören
Profis in Sachen runde und eckige Tische sind Pero und Michael. Die Nachbarn aus dem 10. Bezirk haben selbst schon eine solche Veranstaltung ausgerichtet. „Pero hat eine starke Meinung, ist aber bereit, sich andere anzuhören“, spricht Michael eine der Intentionen der Aktion an.
Und Pero hat herausgefunden, was ihn und Michael über alle Unterschiede hinweg verbindet: „Wir sind beide immer auf der Suche nach etwas Neuem.“
Einander zuhören, sich andere Meinungen anhören: Das habe man in den vergangenen Jahren verlernt. Einander bei allen Unterschieden wertfrei zu begegnen. Katharina Jeschke erklärt die Intention: „Es geht nicht nur um Essen, es geht darum, einander zu begegnen, zuzuhören und persönliche Verbindungen zu schaffen.“
Jeschke und die Initiative wollen damit einen Beitrag zu einem friedlichen Österreich leisten: „In einer Welt, in der sich viele zunehmend isoliert und unsicher fühlen, wollen wir ein Stück Sicherheit und Gemeinschaft zurückbringen“, erläutert sie. Deshalb wurde auch diese Initiative gestartet.
Im Juli und August ist „Österreich der runden & eckigen Tische“ an vier Abenden zu Gast beim Filmfestival am Wiener Rathausplatz. Jeweils 20 Leute haben die Möglichkeit, sich für einen Abend kostenlos für das besondere Abendessen anzumelden.
Die einzige Voraussetzung besteht darin, eine Person, die man nicht so gut kennt oder außerhalb der eigenen Blase ist, mitzunehmen.
Bekannte Künstlerinnen und Künstler, die sich für sozialen Zusammenhalt engagieren, wie der Pianist Hyung-Ki Joo, die Schauspielerinnen Sophie Berger und Linda Hold oder die Geigerin Antonia Alexa Georgiew führen durch diese Abende und schaffen gemeinsam mit den Gästen einen offenen Raum für Austausch, Vielfalt und echte Gespräche.
Die Termine am Rathausplatz: 8. und 22. Juli, 5. und 19. August. Anmeldung unter www.rundundeckig.at
„Akademiker hört zu“
Schon beim Kick-off im Herbst des vergangenen Jahres – initiiert von der Akademie für Dialog und Evangelisation im Figlhaus Wien mit Unterstützung des Innsbrucker Bischofs Hermann Glettler – waren knapp 200 Personen begeistert.
„Zum ersten Mal in meinem Leben hat mir ein Akademiker zugehört“, war Rade, ein Arbeiter, begeistert. Einander zuhören war auch das Motto beim Wrenkh.
So konnte der 15-jährige Gabriel, ein eigentlich schüchterner Jugendlicher, am Tisch mit einer coolen Controllerin aus dem Waldviertel und der frankophilen Angelika, die internationale Kontakte pflegt, unbeschwert über seine Zukunft als Koch sinnieren und sich im ersten Jahr im Modul über das beste Zeugnis seiner Schulkarriere freuen. Und trotz des Generationenunterschiedes wurde auf Augenhöhe zugehört und dann miteinander geredet.
Über "Gott und die Welt"
Geredet wurde dabei buchstäblich über „Gott und die Welt“, denn es kamen auch sehr persönliche Erlebnisse zur Sprache. Etwa vom Wiener Josef, der „früher nie mit Leuten wie euch am Tisch gesessen wäre“, wie er freimütig eingestand.
Erst eine Gotteserfahrung habe sein Leben verändert. Aus dem jähzornigen Mann, der sich nur mit Menschen umgab, die seine Meinung bestätigten, sei er zu dem Mann geworden, der er jetzt ist: Der nach 15 Jahren wieder Kontakt zu seiner Tochter finden konnte, sich um die Enkerl kümmert und für die Heilsarmee kocht.
Geschichte. Die Wirtsfamilie aus Wiener Neustadt hat sich ab 1982 in Wien als erstes vegetarisches Restaurant in einer Zeit etabliert, als das Thema in der Gastronomie noch als sehr exotisch galt.
Aktuelles Lokal. Seit 2009 führen die jungen Wrenkhs, Leo und Karl, das Lokal am Bauernmarkt.
Fleisch vs. Vegan. Pilze bezeichnet Wrenkh als „unser Fleisch“, er geht gerne in der Buckligen Welt und im Wienerwald Schwammerlsuchen. Die Wrenkhs sind allerdings keine kategorischen Fleischverweigerer, im Gegenteil. Es gibt Kurse, in denen ein ganzes Rind verkocht wird.
Auch dort gilt übrigens, was Wrenkh sagt: „Beim Essen kommen die Leute zusammen, beim Kochen werden sie Freunde.“ Und dann erläutert Wrenkh noch seine Motivation, diesen Abend selbst in seinem Lokal auszurichten: „Gastfreundschaft liegt in unserer DNA.“
Eine Art Stammtisch
Und die Initiative kommt nahe an eine Institution heran, die in vielen Orten schon verloren gegangen ist: An den Stammtisch, an dem sich Menschen aus allen Schichten im Wirtshaus im Ort getroffen – und miteinander geredet haben. Über alle Unterschiede hinweg. Was Wrenkh seinen Gästen zum Abschluss mitgeben wollte: „Habt Mut zum Gespräch. Und habt, wenn nötig, Mut zum Streit.“
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