Wiens Stadtrechnungshof-Direktor: "Es wird nichts im Hinterzimmer ausgemauschelt"

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Werner Sedlak ist ab Juli für zwölf weitere Jahre für die Kontrolle von Wiens Verwaltung zuständig.

Er ist geschätzt und auch gefürchtet: der Wiener Stadtrechnungshof mit Sitz im 1. Bezirk, früher als Kontrollamt bekannt. Am 1. Juli beginnt Werner Sedlak die nächste Amtsperiode – mit mehr Macht ausgestattet.

Es gibt ein geflügeltes Wort: „Gäbe es den Wiener Stadtrechnungshof nicht, man müsste ihn erfinden.“ Warum braucht man ihn? 

Weil es den Blick von außen braucht. Und die Kompetenz, Probleme und Herausforderungen der öffentlichen Verwaltung bei Unternehmen, die die Stadt entweder zu 100 Prozent oder zu 50 Prozent oder mehr besitzt, zu benennen.

Auf einer Skala von 1 bis 10, wie unabhängig ist der Stadtrechnungshof?

Zehn. Umso mehr, als letztes Jahr eine Novelle beschlossen wurde, die jetzt auch rechtlich dem Stadtrechnungshof eine umfassende Unabhängigkeit gewährleistet, zusammen mit dem Bestellungsmodus. Der Direktor oder die Direktorin wird jetzt einmalig für zwölf Jahre gewählt. Damit ist absolute Weisungsfreiheit und Unabhängigkeit sichergestellt.

Was ist neu?

Wir sind nicht mehr Teil des Magistrats, wir sind ein eigenes Organ und es gibt keinerlei Weisungsbefugnis, weder vom Bürgermeister, noch vom Magistratsdirektor. Das einzige oberste Organ ist, wie in jeder Gemeinde, der Gemeinderat. Der Stadtrechnungshof war schon davor unabhängig. Unabhängigkeit kann man zwar niederschreiben, aber man muss es auch leben. Jetzt ist beides gegeben: Das Selbstverständnis des Stadtrechnungshofs, unabhängig zu sein, aber auch die rechtliche Grundlage, dass es garantiert ist.

Bei Großvorhaben gibt es auch Neuerungen?

Es war immer das Interesse der Politik, dass bei so großen Projekten wie etwa dem Krankenhaus Nord, das zehn Jahre und mehr bis zur Fertigstellung gebraucht hat, der Stadtrechnungshof schneller prüfen kann – und nicht erst, wenn alles fertig ist. Wenn wir beim U-Bahn-Bau U2/U5 bei der Fertigstellung 2030 schauen, was 2023 falsch gelaufen ist, wäre das vielleicht historisch interessant, aber recht spät. Ab jetzt besteht nach gewissen Kriterien eine Meldepflicht, wenn etwas aus dem Ruder läuft, und wir können den betreffenden Bereich gegebenenfalls gleich prüfen.

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Werner Sedlak im Gespräch mit Chronik-Ressortleiterin Agnes Preusser.

Der Stadtrechnungshof hat schon sehr viel aufgedeckt. Kostenüberschreitungen beim U-Bahn-Bau, fehlende Ausschreibungen beim Gürtelpool, also auch Brisantes. Wie viel Intervention und Beschwerden kriegen Sie während der Berichterstellung und bei der Veröffentlichung?

Während der Berichterstellung gar nicht. Das ist ein Prozess, wo sich das Prüfteam mit der geprüften Einrichtung zusammensetzt, Unterlagen recherchiert, hinterfragt, analysiert, vergleicht und dann zu seinen Schlüssen kommt. Das fertige Ergebnis bekommt dann das zuständige Ressort. Da gibt es ab und zu natürlich Unzufriedenheit über das Ergebnis. Aber Interventionen gibt es nicht und das würde ich auch nicht zulassen.

Wird die Unzufriedenheit in einem annehmbaren Maß geäußert?

Ich bin hart im Nehmen (lacht). Die Politik hält eine klare Grenze ein, wie weit und in welcher Form sie ihre Kritik äußert. Wir zeigen Fehler, Missstände und Verbesserungspotenzial auf. Das muss nicht immer gefallen, dazu sind wir aber auch nicht da.

Gab es einen Bericht, der besonders viel Aufsehen erregt hat?

Ich tue mir schwer, einen rauszupicken, jeder unserer Berichte leistet einen Beitrag. Manche sind nicht so spektakulär für die Öffentlichkeit, sind aber wichtig für die Verwaltung oder die Sicherheit. Unser Ziel ist es nicht primär, in die Zeitung zu kommen, sondern die Zustände in der Stadt zu verbessern.

Gerade die Opposition nutzt den Stadtrechnungshof fleißig. Finden Sie die Schwerpunktsetzung immer richtig oder würden Sie empfehlen, mal woanders hinzuschauen?

Richtig, die Opposition hat das Recht, Prüfansuchen an uns zu stellen. Das arbeiten wir auch ab. Die Schwerpunktsetzung steht den politischen Parteien frei, und ich finde, es sind durchaus legitime Themen. Der weit größere Teil unserer Arbeit ist jener Bereich, den wir selbst aussuchen. Das passiert nicht willkürlich, wir entscheiden nach einer Risikomatrix.

Sie haben selbst früher die MA 35 geleitet, die oft in der Kritik stand. Haben Sie dadurch mehr Verständnis, wenn Missstände aufgedeckt werden?

Nein, ich kann das gut trennen. Ich hatte damals eine andere Rolle. Ich kann durchaus verstehen, warum manche Sachen nicht so funktionieren, wie es im Lehrbuch steht. Das heißt aber nicht, dass das der Sollzustand ist. Der Stadtrechnungshof ist dazu da, dass das Steuergeld gut verwendet wird, dass die Behörde effizient und effektiv arbeitet. Kenntnis von der Verwaltung, den Abläufen oder den Umständen hilft, um das Gesamtsystem zu verstehen. Das heißt aber nicht, dass wir das deswegen weniger streng beurteilen. Kurz gesagt: Wir prüfen nach einem strengen Maßstab unabhängig davon, welche Hintergründe es für allfällige Missstände gibt.

Gibt es jemanden, der den Rechnungshof kontrolliert. Sprich: Wer prüft die Prüfer?

Gesetzlich niemand, aber das ist uns natürlich zu wenig. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Eine davon ist, wie in anderen Organisationen auch, eine Selbstbewertungsmöglichkeit, wo aus der Organisation heraus, Verbesserungspotenzial erkannt und im besten Fall umgesetzt wird. Und dann gibt es die Möglichkeit einer gutachterlichen Tätigkeit von unabhängigen Externen. Der Stadtrechnungshof wurde etwa vom sächsischen Rechnungshof und dem Landesrechnungshof Oberösterreich geprüft. Auf Ansuchen des Landrechnungshofs Kärnten prüfen wir diesen ab Sommer gemeinsam mit dem sächsischen Rechnungshof. Ich bin gespannt auf die Ergebnisse, weil ich glaube, dass wir auch für uns wichtige Erkenntnisse mitnehmen können.

Wenn wir zurück in die Vergangenheit schauen: Wird genauer hingesehen als früher? Wurde mehr im Hinterzimmer gemauschelt? Ist die Politik sauberer geworden?

Ich prüfe nicht die Politik, ich prüfe die Verwaltung. Aber natürlich ist man professioneller geworden als vor 20, 30 Jahren. Das heißt nicht, dass es nicht ausreichend Verbesserungspotenzial gibt. Aber im Hinterzimmer wird mit Sicherheit nichts ausgemauschelt. Das geht auch gar nicht, das würde weder ich noch ein anderer Rechnungshof zulassen.

Beeinflusst die KI auch das Prüfwesen?

Zusammen mit den acht anderen Landesrechnungshöfen in Österreich sind wir von der Europäischen Kommission ausgewählt worden, ein gefördertes Projekt umzusetzen, das zum Ziel hat, mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz das Prüfwesen, effizienter und effektiver zu machen. Die KI wird uns sicher nicht abschaffen, sie wird uns  aber vielleicht manche Arbeitsschritte erleichtern.

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