"Sprache ist größtes Problem"

Die pensionierte Lehrerin Hilde hilft den Kindern ein Mal pro Woche beim Hausübung machen.
500 Kinder erhalten gratis Lernhilfe. Die Warteliste ist lang, das Geld knapp.

Yusra (9) sitzt am sogenannten Hausaufgabentisch. Ein Arbeitsblatt mit der Hausübung liegt vor ihr: Yusra muss Zehner in Einer umwandeln und umgekehrt. "Ein Zehner hat wie viele Einer?", fragt Hilde. Sie ist freiwillige Lernhelferin bei der Wiener Lerntafel, einer privaten Initiative, die Kinder im Alter von sechs bis 14 Jahren, die in sozial benachteiligten Familien leben, kostenlos beim Lernen unterstützt.

500 Kinder aus 39 Nationen werden von Montag bis Samstag in Simmering und Kagran von insgesamt 250 Freiwilligen beim Lernen unterstützt. Sie machen gemeinsam Hausübung oder bereiten die Kinder einzeln auf Schularbeiten oder Tests vor. Es sind meist Kinder mit Eltern, die wenig oder schlecht Deutsch sprechen und deshalb nicht in der Lage sind, bei der Hausübung zu helfen. 60 Prozent der Kinder, die zur Wiener Lerntafel kommen, sind österreichische Staatsbürger, aber: "95 Prozent haben nicht Deutsch als Muttersprache", sagt Obmann Stefan Unterberger.

Sprachbarrieren

"Sprache ist größtes Problem"
Wiener Lerntafel
"Das Problem ist, dass sie überall in ihrer eigenen Sprache verhaftet bleiben. Die Durchmischung funktioniert nicht mehr so wie vor 30 Jahren", sagt Ines Sindelar (31), Klinische und Gesundheitspsychologin bei der Lerntafel. Auch Ülkö hat ihre Tochter Amina (7) in Simmering angemeldet, damit sie besser Deutsch lernt. "Sie versteht es schon, aber spricht nicht so gut", sagt die Mutter. "Bis der Vater nach Hause kommt, schauen wir jetzt auch nur österreichisches Fernsehen."

Laut Unterberger seien viele Kinder in der Muttersprache nicht sattelfest, könnten deshalb Deutsch als erste Fremdsprache nicht so gut lernen. Und wer nicht gut Deutsch kann, verstehe auch Angaben auf Arbeitsblättern nicht. Das zeigt sich auch, als die siebenährige Sundus bei der pensionierten Biologie- und Sportlehrerin Hilde Hausaufgaben macht. Auf ihrem Arbeitsblatt sind dreiblättrige Kleeblätter gezeichnet, in jedem Blatt steht eine Zahl. "Finde zu den Zahlen jeweils eine Plus- und eine Minusaufgabe", lautet der Arbeitsauftrag. Hilde lässt die kleine Sundus die Angabe zuerst vorlesen. "Dann seh’ ich gleich, ob und wo die Kinder stocken", sagt sie. Und tatsächlich. Sundus stolpert über das Wort "jeweils". "Das ist ein schwieriges Wort. Weißt du, was es bedeutet?", fragt Hilde die Siebenjährige. Als diese das verneint, erklärt Hilde es ihr. "Die Sprache ist das größte Problem", sagt die Lehrerin.

"Sprache ist größtes Problem"
Wiener Lerntafel
Laut Obmann Stefan Unterberger sei das System der Lerntafel erfolgreich – die Kinder seien im Durchschnitt zehn Monate in Betreuung; 90 Prozent würden das Schuljahr danach positiv abschließen. "Trotzdem bekommen wir von der Stadt Wien keine Förderung", sagt Unterberger. 100 Kinder stünden auf der Warteliste, ausgebaut werden könne das Angebot aber nicht. Erstens würde es dann weitere Lernhelfer brauchen und zweitens sei das Gelds knapp.

Der Verein finanziert sich ausschließlich über Spenden und Sponsoren. Nur das Sozialministerium habe die Lerntafel zuletzt mit 15.000 Euro unterstützt, doch auch die Förderung läuft nächstes Jahr aus. Laut einem Sprecher der MA 13 (Bildung und außerschulische Jugendbetreuung) fördere die Abteilung die Lerntafel nicht, weil die Wiener Volkshochschulen Partner in Sachen gratis Lernhilfe sind. Man wolle einheitlichen Standards einhalten.

Spendenkonto: Wiener Lerntafel. Erste Bank. IBAN: AT97 2011 1293 6625 4300. BIC: GIBAATWWXXX.

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