Ärzte-Demo in Wien: Ein Protestmarsch als Gratwanderung

Spitalsärzte bei einem Protestmarsch in der Wiener Innestadt
Spitalspersonal macht auf die prekäre Situation aufmerksam - deutlich mehr Geld und Personal gefordert. Von Streiks sieht man noch ab – vorerst

Die weißen Kittel hat man über die dicken Winterjacken gezogen. Auf den Plakaten sind Parolen und Kampfansagen zu lesen, darunter „Protest statt Burn-out“ oder „Ohne uns stirbt Wien“.

Trotz Temperaturen um den Gefrierpunkt marschierten gestern Wiens Spitalsärztinnen und -ärzte bei einem Protestmarsch durch die Innenstadt. Die Ärztekammer hatte im Vorfeld kräftig mobilisiert, auch Busse brachten Spitalpersonal von den Kliniken Hietzing, Floridsdorf und der Donaustadt in die City.

Mehr lesen: Wiener Ärzte streiken am 4. Dezember - worum geht es?

Gekommen sind am Ende laut Schätzung der Ärztekammer rund 500 Personen. Unter ihnen ist auch Rosi, die 2020 ihre Ausbildung zur Turnusärztin begann. Ihren vollen Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen.

Die Corona-Zeit hat den Spitälern sehr viel abverlangt. Wir haben Tag und Nacht gearbeitet, um Menschen am Leben zu halten

von Rosi

Spitalsärztin

„Die Corona-Zeit hat den Spitälern sehr viel abverlangt. Wir haben Tag und Nacht gearbeitet, um Menschen am Leben zu halten. Man hatte Angst, nach Hause zu gehen und von Corona-Gegnern angegriffen zu werden“, schildert sie.

Zur aktuellen Situation sagt sie: „Die Kranken werden nicht weniger. Es braucht mehr Personal, weniger bürokratische Arbeit und eine bessere Ausbildung, Bezahlung sowie bessere Arbeitszeiten.“

Wo es im System „hackt“

Die Stadt kündigte zuletzt eine Erhöhung der Zulagen für das Spitalpersonal ab Februar 2024 sowie eine Schulungsoffensive um 150 Millionen Euro an. Dass die Maßnahmen den Beschäftigten nicht weit genug gehen, lässt sich auch an den Plakaten ablesen: „Wir wissen, wo es hackt“, adressiert man Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) direkt.

Mehr lesen: Ärztemangel lässt Wiener Parteien kurzfristig zusammenrücken

Als einen ersten Schritt bezeichnet Gerald Gingold, oberster Ärzte-Vertreter im Wiener Gesundheitsverbund (Wigev), die Reform. „Damit kann man arbeiten. Für die im nächsten Jahr angekündigte zweite Phase ist aber die Anpassung an die Inflation enorm wichtig.“

Abgehalten wurde der gestrige Protestmarsch nach der regulären Schließung der Spitalsambulanzen. Von Streiks, die den Betrieb stören, ist man laut Gingold derzeit noch weit entfernt. „Da müsste noch einiges vorher passieren. Wenn sich nichts ändert, wird man am Ende des Tages aber auch streiken müssen.“

Ferenci: Streiks in aktueller Situation "verantwortungslos"

Zu Falcos „Vienna Calling“ lärmen beim Protestmarsch die Trillerpfeifen, mit Journalistinnen sprechen will gestern aber kaum jemand. Die konkreten Forderungen umreißt Wiener Ärztekammer-Vizepräsident Stefan Ferenci so: „Ärzte sollen 30 Prozent mehr Zeit für Patienten haben. Dafür braucht es 30 Prozent mehr Personal. Um das zu bekommen, müssen die Gehälter um 30 Prozent steigen und bessere Arbeitsbedingungen durch 30 Prozent weniger Bürokratie geschaffen werden.“

Demonstration der Wiener Spitalsärzte

Laut Ferenci sei man immer „gesprächsbereit“, man werde Hacker nun Zeit geben, nachzudenken. Wenn nötig, wolle man im Frühjahr aber Kampfmaßnahmen ergreifen. Angesichts von Grippe und Corona wäre ein „klassischer Streik“ derzeit jedoch verantwortungslos.

Mehr lesen: Besser als gedacht - wo die Pflege im Spital funktioniert und wieso

Auf die Frage, wie es um das Wiener Gesundheitssystem momentan stehe, sagt Peter Poslussny, Personalvertreter im Wigev: „Ich bin niemand, der sagt, alles ist ganz schlimm, doch es steht immer wieder an der Kippe. Zur prekären Personalsituation kommt aktuell die Grippewelle hinzu. Die Notaufnahmen gehen über, und es gibt keine Betten mehr. Es ist eine ständige Gratwanderung.“

Kommentare