Wiener Bildungsdirektorin: "Kindergartenpflicht muss kontrolliert werden"

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Die Wiener Bildungsdirektorin über Sommerschulen, die wichtige Position der Schulleitung und Bürokratie.

Elisabeth Fuchs ist seit Februar Wiener Bildungsdirektorin. In ihrer Position hat sie einige Baustellen zu bearbeiten. Im KURIER spricht sie über verständliche Sorgen der Eltern, Familienzusammenführung, Deutschdefizite und Sommerschulen.

KURIER: Vergangenes Schuljahr sprach die Hälfte der Schulanfänger so schlecht Deutsch, dass sie dem Unterricht nicht folgen konnten. Wie sieht es heuer aus?

Elisabeth Fuchs: Verlässliche Daten gibt es erst im Oktober. Viele Kinder besuchen Sommerkurse, andere kommen in den Ferien neu nach Wien. Aber auch wenn man Maßnahmen setzt, wird sich der Anteil dieser Kinder nicht so schnell ändern.

Sind Sie froh über den Stopp der Familienzusammenführung? 

Ich würde gerne trennen, was meine Haltung zu dem Thema per se ist und meiner Haltung als Bildungsdirektorin. Es ist für das System erleichternd, wenn nicht unterjährig viele Schülerinnen und Schüler dazukommen, darauf ist das Schulsystem nicht ausgelegt.

Sollen Sommerschulen verpflichtend werden?

In Wien nehmen bereits 10.000 Kinder teil. Ob eine Pflicht sinnvoll ist, ist fraglich. Wir setzen auf attraktive, betreute Angebote statt auf Zwang. Ob Pädagogen zwangsverpflichtet werden können, ist Aufgabe des Ministers.

Viele Kinder mit Deutschdefiziten sind in Wien geboren. Muss man Eltern stärker verpflichten?

Verpflichtung allein reicht nicht. Eltern müssen vom Sinn der Maßnahmen überzeugt werden. Aber ja: Das verpflichtende Kindergartenjahr muss kontrolliert werden. Wir erheben derzeit, aus welchen Einrichtungen diese Kinder kommen; gibt es Träger, Privatkindergärten, wo sich die Fälle häufen? Dann muss man Maßnahmen setzen. Kinder sollen regelmäßig und ausreichend lang teilnehmen.

Hilft Durchmischung in den Klassen beim Deutschlernen?

Deutschsprachige Kinder sind wichtige Vorbilder. Wo die ideale Mischung nicht möglich ist, brauchen Schulen mit hohem Anteil an Kindern mit anderer Erstsprache zusätzliche Unterstützung – mehr Personal und flexiblere Ressourcen.

Damit die Kinder wirklich etwas lernen, braucht es ausgezeichnete Schulleiterinnen. Doch Direktorenstellen sind schwer zu besetzen.

Viele Schulleitungen gehen derzeit in Pension, gleichzeitig gibt es strengere Vorgaben bei Bewerbungen. Dabei sind sie Schlüsselpersonen. Sie brauchen mehr Unterstützung und vor allem Entlastung von Verwaltung, damit sie sich stärker auf Pädagogik konzentrieren können.

Schulleitungen beklagen, dass sie in der Präsidialabteilung Ihrer Behörde selten jemanden erreichen.

Das würde ich nicht so generell sagen. Aber ja, wir arbeiten an Verbesserungen.

Verstehen Sie Eltern, die sich Sorgen machen, wenn in einer Klasse zu viele Migranten sind?

Ja. Entscheidend ist aber, wie Unterricht gestaltet wird und welche Ressourcen zur Verfügung stehen. Auch Kinder aus bildungsnahen Familien können an solchen Standorten sehr gut gefördert werden, wenn genügend Unterstützung da ist.

Angesichts des Lehrermangels schwierig.

Die Situation bessert sich. Wir haben wieder mehr Bewerberinnen und Bewerber. Für die zuletzt 240 offenen Stellen haben sich 700 gemeldet – viele mit abgeschlossenem Studium, einige im Master. Personalmangel bleibt eine Herausforderung, aber der Trend geht klar nach oben.

Eine weitere Eltern-Furcht ist, dass muslimische Burschen Mädchen drängen, ein Kopftuch zu tragen. Wie reagieren Sie?

Das Thema existiert und kann man nicht leugnen. Aber es gibt nicht die eine Lösung, sondern nur ein Bündel an Maßnahmen.

Was, wenn ein Kind plötzlich sagt: „Ich will zum Islam konvertieren“?

Das kommt meist über soziale Netzwerke, kann aber auch in Schulen vorkommen. Hier ist auch der Religionsunterricht wichtig – er bietet in allen Konfessionen die Möglichkeit, solche Fragen aufzugreifen.

Eine Religionslehrerin ohne Kopftuch bekam auf Druck der Islamischen Glaubensgemeinschaft keine Anstellung als Lehrerin. 

Im Religionsunterrichtsgesetz ist festgelegt, dass die Religionsgemeinschaft entscheidet, wer Religion unterrichtet. Die Lehrkraft, die sie ansprechen, war dann als Integrationspädagogin in einer Wiener Schule tätig.

20 Prozent der Kinder verlassen die Schule, ohne sinnerfassend lesen zu können. Wo setzt man an?

Lesekompetenz beginnt im Kindergarten. In der Volksschule geht es um den Schriftspracherwerb. Wichtig sind Diagnoseinstrumente, um gezielt fördern zu können – diese stellen wir zur Verfügung. Und: Lesen muss bis zum Ende der Schulpflicht regelmäßig geübt werden.

Was wollen Sie als Bildungsdirektorin erreichen?

Mein großes Ziel ist, dass jedes Kind – egal aus welcher Familie – die bestmögliche Bildung erhält. Kurzfristig habe ich drei Schwerpunkte: Erstens ein tieferes Verständnis für die unterschiedlichen Bereiche der Bildungsdirektion zu gewinnen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennenzulernen. Zweitens: genug Lehrerpersonen für das neue Schuljahr sicherstellen. Drittens: Schulen besser unterstützen, vor allem durch Entlastung der Leitungen.

Ihr Herzensanliegen?

Erstens: In Schulen passiert sehr viel Positives, das leider zu selten wahrgenommen wird. Lehrerpersonen und junge Menschen leisten Großartiges, auch an Mittelschulen. Das negative Bild schadet. Zweitens: Bei der Deutschförderung wünsche ich mir mehr Flexibilität, damit Schulen ihre Ressourcen eigenständig je nach Standort einsetzen können.

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