Jugendamt hatte so viele Meldungen wie seit Jahren nicht

Jugendamt hatte so viele Meldungen wie seit Jahren nicht
Sozialarbeiterin erzählt aus der Praxis: "Leute glauben von vornherein, wir bedrohen sie."

Ihren Beruf verstehen sie als Beratung auf Augenhöhe, die betroffenen Familien sehen sie aber als Bedrohung: Sozialarbeiter beim Jugendamt. Regula Mickel-Schnizer übt diesen Job seit 13 Jahren aus und ist als solche für Familien im 15. Bezirk zuständig. „Die Leute glauben von vornherein, wir bedrohen sie. Dem ist es ja nicht so“, schildert sie.

Jugendamt hatte so viele Meldungen wie seit Jahren nicht

Wollte Kind abschieben

Zu einer solchen Reaktion kam es auch bei einer angedrohten Abschiebung. Am späten Nachmittag läutete bei Mickel-Schnizer das Telefon, am Apparat war ein Mädchen mit ängstlicher Stimme. „Sie müssen mich holen. Der Papa schickt mich nach Pakistan“, flüsterte die 15-Jährige ins Telefon. Die Jugendliche hatte die Schule geschwänzt, der Vater sie dabei erwischt und soll deshalb auch handgreiflich geworden sein. Die Sozialarbeiterin fragte schnell nach dem Namen und der Adresse. Der Vater bemerkte das Telefonat und nahm den Hörer selbst in die Hand. „Wir haben Gesprächsbedarf, bitte kommen Sie mit ihrer Tochter vorbei“, sagt die Sozialarbeiterin. „Nein, mach ich nicht“, schreit der Mann hinein und legt auf.

Weil der Fall als „dringlich“ eingestuft wurde, marschierte die MA 11 samt Polizei bei der Familie auf. Bei der Wohnung angekommen, hörte man den Familienvater bereits herumschreien. Auch gegenüber den Sozialarbeitern und Beamten legte der Mann ein aggressives Verhalten an den Tag. Die Tochter kam schlussendlich in ein Krisenzentrum, mittlerweile hätten sich die Wogen wieder geglättet.

Es sind Geschichten, mit denen die Mitarbeiter tagtäglich konfrontiert sind. Vergangenes Jahr ging 14.621 Mal beim Wiener Jugendamt eine solche Gefährdungsmeldung ein, jeden Tag waren es durchschnittlich 40. Das bedeutet im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung um mehr als sechs Prozent. Und erreicht somit den höchsten Wert seit Jahren.

Eine echte Erklärung gibt es hierfür seitens der MA 11 nicht. „Dies kann viele Ursachen haben. Aber unsere Hoffnung ist, dass die Leute auf Grund der Thematik sensibler werden“, sagt Sprecherin Herta Staffa.

Polizei meldet häufig

Viele der Meldungen kommen direkt von der Polizei. Jeder dritte Kontakt wird durch die Exekutive hergestellt, danach folgen Kindergärten und Schulen. In 55 Prozent der Fälle geht es um Vernachlässigung gefolgt von psychischer (28 Prozent) und körperlicher Gewalt (15 Prozent). Sexuelle Übergriffe (zwei Prozent) sind in dem Ranking ganz hinten zu finden.

Die Verteilung bleibt seit Jahren beinahe gleich. Laut Mickel-Schnizer würde Vernachlässigung aber einen ähnlichen Einfluss auf das Kind haben, wie Gewalt: „Es wirkt sich auch auf das restliche Leben aus.“

Nach einer Meldung wird die Familie überprüft – es kommt zu der sogenannten Gefährdungsabklärung. Vergangenes Jahr war dies 11.216 Mal der Fall. „Die Ersteinschätzung erfolgt immer von zwei Fachkräften“, schildert die Sozialarbeiterin. Bei Kindern zwischen null und sechs Jahren muss ein Hausbesuch durchgeführt werden, das ist Vorschrift. Bis zum dritten Lebensjahr wird vom Jugendamt ein ärztliches Attest verlangt.

Wie unterschiedlich die Meldungen jedoch sein können, zeigt ein klassisches Beispiel, das die Sozialarbeiterin darlegt: „Die Nachbarn rufen bei uns an und sagen, dass die Kinder zu laut sind. Wenn wir fragen: ,Und über das hinaus, geht es ihnen schlecht?’, kommt als Antwort: ,Naja, sie sind um neun Uhr noch auf.’“

Nach einer Überprüfung müssen die Mitarbeiter entscheiden, wie gefährlich die Situation für das Kind ist – samt der wichtigsten Frage: Ist das Kind bis zum nächsten Kontakt mit dem Jugendamt sicher? Wenn dies nicht der Fall ist, kann eben eine vorübergehende Aufnahme in einem Krisenzentrum oder bei Pflegeeltern erfolgen.

Wie unkooperativ Erziehungsberechtigte sein können, weiß die Sozialarbeiterin von ihrer täglichen Arbeit: „Es gibt Eltern, die sagen: ,Wenn wir unsere Kinder schlagen wollen, dann geht sie das nichts an.’ Und lachen dann noch.“

Generell sind laut Mickel-Schnizer die schwierigen Fälle „mehr“ geworden: „Die meisten sind einfach herausfordernd.“

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