Scheinehen: Wie Frau Sağlam ins Visier der Ermittler geriet
60 Seiten ist der Bericht lang, der in den Augen der Fremdenpolizei beweisen sollte, dass Frau Sağlam (ihren Vornamen möchte sie nicht nennen, Anm.) mit ihrem Mann eine Scheinehe führt. Es gebe zu wenig gemeinsame Fotos, auch der Altersunterschied sei auffallend, so ein Ermittler zu Frau Sağlam. Sie solle sich bewusst sein, dass sie nur ein Visum für ihren Mann sei.
„Ich habe mich diskriminiert gefühlt. Ich bin kein Visum oder Aktenzeichen, unsere Liebe ist echt.“ Die Beurteilung der Polizei habe sich nur auf stereotype Vorstellungen von Geschlechterrollen und Altersnormen in muslimisch geprägten Gesellschaften gestützt. Ihre Ehe wurde im Jänner 2024 rechtswirksam in Bursa in der Türkei geschlossen.
Im Vorfeld wurde außerdem ein Ehefähigkeitszeugnis vom Standesamt Wien ausgestellt, das die rechtliche Grundlage bestätigte. „Wir wollten gemeinsam in Österreich leben, also haben wir den Aufenthaltstitel beantragt“, so Frau Sağlam. Sie selbst wurde in der Türkei geboren und kam als Kind einer Gastarbeiterfamilie nach Österreich. Vor fünf Jahren lernte sie ihren Mann kennen, aus der Online-Bekanntschaft entwickelte sich eine Beziehung – wie groß der Altersunterschied ist, wollte sie jedoch nicht sagen.
350 Ehen überprüft
Die Beziehung von Frau Sağlam war eine von 350, die die Fremdenpolizei 2024 in Wien überprüft hat. Erhärtet sich für die Ermittler der Verdacht einer Scheinehe, so ergeht eine Berichterstattung an die MA 35. „Sofern der Sachverhalt auch einer strafrechtlichen Beurteilung unterliegt, ergeht zugleich eine Berichterstattung an die Staatsanwaltschaft“, heißt es von der Polizei. Den Betroffenen kann der Aufenthaltstitel verweigert oder entzogen werden.
Bis es in den Verfahren zu einer Entscheidung kommt, vergehen Monate. Auch im Fall von Frau Sağlam. Immer wieder musste die Österreicherin der Exekutive Rede und Antwort stehen, Dolmetscher und Rechtsanwälte aufsuchen. „Mir wurde gesagt, die Erfolgschancen für den Aufenthaltstitel liegen nur bei zehn oder maximal zwanzig Prozent. Das war frustrierend. Aber ich bin eine Kämpferin“, betonte Frau Sağlam.
Ihr Kampf zahlte sich aus: Im Juni fand eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien statt. „Sowohl der Beschwerdeführer als auch die Ehefrau machten übereinstimmende, glaubwürdige Angaben. Es gibt keine Hinweise auf eine Scheinehe“, hieß es in dem Urteil. Die Angaben seien durch Flug- und Hotelbuchungen, WhatsApp-Chats sowie Aussagen von Trauzeugen gestützt worden. Der Antrag auf den Aufenthaltstitel wurde für 12 Monate genehmigt.
Dass Verfahren wegen Scheinehen eingestellt werden, ist keine Ausnahme. So wurden heuer bei „Vorliegen strafrechtlich relevanter Sachverhalte“ laut Polizei sämtliche Verfahren eingestellt. „Das kommt häufig vor, weil Verdachtsmomente der Niederlassungsbehörden oder der Standesämter oft auf Vorurteilen basieren und diskriminieren“, so Erika Eisenhut von der Initiative „Ehe ohne Grenzen“. Ein großer Altersunterschied oder keine gemeinsame Sprache werden etwa bereits als Verdachtsmomente gewertet.
Für Familie Sağlam bleibt die Erfahrung ein schmerzhafter Einschnitt. „Die psychischen Auswirkungen der Verdächtigungen, das belastende Verfahren und die hohen Übersetzungs, Anwalts- und Verfahrenskosten sind nicht wiedergutzumachen.“
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