Rot-Grün in Wien als Testlauf für den Bund
Seit exakt 350 Tagen hat Österreich seine erste rot-grüne Regierung auf Landesebene. Das "Wahnsinnsprojekt" mit "linksextremen Anarchos" (Johann Gudenus, FPÖ) funktionierte im ersten Jahr weitgehend friktionsfrei. Die Grünen Chaostage vor der Wien-Wahl im Oktober sind vergessen und erste Reformvorhaben wurden umgesetzt. In einem ihrer seltenen Doppelinterviews ziehen Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) und seine Grüne Stellvertreterin Maria Vassilakou eine erste Bilanz. Ein Gespräch über Haxlstellerei im Bund, Autofahrer-Frotzelei in Wien und die Frage, warum sich zugereiste Wiener zwischen Himmel und Hölle entscheiden sollten.
Frau Vizebürgermeisterin, im Vorjahr meinten Sie: "Die beste Antwort auf Strache und seine Ritter ist ein Erfolg des rot-grünen Projekts." Ist es nicht naiv zu glauben, die FPÖ ließe sich von Rot-Grün einbremsen?
Vassilakou: Rot-Grün wird die FPÖ nicht alleine einbremsen können. Wir wollen aber beweisen, dass ein anderes Politikmodell für Österreich möglich ist. Die Sehnsucht der Bürger nach Veränderung ist groß. Unsere Aufgabe in Wien ist, bis zu den nächsten Bundeswahlen den Beweis zu erbringen, dass die soziale und ökologische Alternative auch funktioniert.
Ist Rot-Grün auch für Sie ein Zukunftsmodell auf Bundesebene?
Häupl: Ja. Man muss hierzulande einmal darüber nachdenken, ob es abseits einer großen Koalition nur noch Schwarz-Blau - oder noch schlimmer Blau-Schwarz - geben kann. Viele Leute auf der Straße sagen, eine Strache-Regierung wollen wir überhaupt nicht, aber es geht uns schon eine ganze Menge an der Regierung auf die Nerven. Große Themen, wie die Bildungs- oder Gesundheitsreform sind Bereiche wo nichts weitergeht. Daher wollen wir in Wien eine realistische Alternative aufzeigen.
Einer rot-grünen Koalition fehlen im Bund derzeit aber zehn Prozent. Was müsste bis zur nächsten Nationalratswahl 2013 passieren?
Häupl: Meine Partei müsste bei aller Loyalität in der Koalition noch sehr viel deutlicher machen, wo es handfeste politische und ideologische Unterschiede zur ÖVP gibt. Es geht um Fragen der Steuergerechtigkeit oder der Bildungspolitik. Dann ist in zwei Jahren alles möglich.
Vassilakou: Und die Bundesgrünen müssen künftig klarer vermitteln, dass sie eine Regierungsoption jenseits des vorherrschenden Korruptionssumpfes sind.
Würden Sie Ihren Kollegen im Bund raten, 2013 mit einer rot-grünen Koalitionsansage ins Rennen zu gehen?
Vassilakou: Diese Frage müssen sich die Grünen sicher stellen. Wir dürfen aber nicht vergessen: Österreich ist nicht Wien. Obwohl? Schön wär's schon (lacht).
Häupl: Es gibt Unterschiede zwischen Stadt und Land und aus diesem Grund würde ich der Bundespartei nicht unbedingt zu einem Lagerwahlkampf raten. Hier muss man Vorsicht walten lassen.
Zu
Wien. Wie lange können Sie sich Maria Vassilakou als Partnerin noch leisten? Die von den Grünen geforderte Öffi-Tarifreform kostet 30 Millionen jährlich, durch das Glücksspielverbot entgehen der Stadt ab 2015 weitere 50 Millionen.
Häupl: Die Grünen sind Bestandteil dieser Regierung und verhalten sich glücklicherweise auch so. Die Frage ist also relativ leicht beantwortet: Solange wir gemeinsam für Einnahmen sorgen, können wir auch gemeinsam Geld ausgeben.
Haben Sie die Spendierhosen der SPÖ überrascht?
Vassilakou: Nein, ich habe hart dafür gekämpft.
Zu den erwähnten Einnahmen. Wer zahlt jetzt die Tarifreform? Sind das die Autofahrer etwa über das Parkpickerl?
Häupl: Ganz und gar nicht. Die Stadt Wien und somit der Steuerzahler zahlen jetzt und heute etwa 700 Millionen Euro jährlich, damit U-Bahn, Bim und Bus fahren. Auch die zusätzlichen 30 Millionen Euro sind bewältigbar.
Vassilakou: Es wird oft so getan, als wollten wir Auto- gegen Öffifahrer ausspielen. Das greift zu kurz. Wir wollen Voraussetzungen schaffen, wo es für die Wiener klug und günstiger ist, das Auto zu Hause stehen zu lassen und stattdessen um einen Euro am Tag mit der U-Bahn zu fahren.
Häupl: Es ist ganz einfach eine Ansage an die Bewohner dieser Stadt: "Fahren Sie öffentlich!" Wir tun das nicht, um die Autofahrer zu ärgern. Wir versuchen so, die Lebensqualität bei Berücksichtigung des Klimaschutzes zu erhöhen.
Herr Bürgermeister, sind Sie nicht sauer auf die Ökos? Immerhin haben Ihnen die Grünen bei der umstrittenen Bebauung der Gründe am Steinhof und beim kleinen Glücksspiel in aller Öffentlichkeit das Bummerl umgehängt?
Häupl: Überhaupt nicht. Ja, mir wäre eine gesetzliche Lösung lieber gewesen als ein Verbot des kleinen Glücksspiels ab 2015. Aber die Bedingungen hatten sich eben geändert. Die rote Basis und auch die Grünen sprachen sich klar gegen das Spielen am Automaten aus. Dass auch ich das letztlich unterstützt und mich auch für eine Neuplanung am Otto-Wagner-Areal eingesetzt habe, beweist ja nur, dass ich gar nicht so böse und autoritär bin wie mich Journalisten wie Sie gerne beschreiben. Ich höre eben auf die eigene Basis. Beim Glücksspiel müssen wir uns nun aber mit Fragen des Spielerschutzes befassen und der Bund sollte sich überlegen, wie er das Zocken im Internet in den Griff bekommen möchte.
Zum Thema Integration in Wien: Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) spricht von "Alarmstufe Rot", da von den arbeitslosen Jugendlichen 70 Prozent Migrationshintergrund haben. Wie wollen Sie diesem Pulverfass in spe entgegentreten?
Häupl: Unsere Aufmerksamkeit muss verstärkt jenen Jugendlichen gelten, die über die Familienzusammenführung nach Wien gekommen sind. Das sind oft junge Menschen, die keinen Bildungsabschluss haben und die kaum Deutsch sprechen. Hier ist die Gefahr des Abgleitens in die Kriminalität größer. Deshalb schicken wir Sozialarbeiter auf die Straße, die auch die Muttersprache der Jugendlichen sprechen. Unsere Botschaft lautet: Entweder ihr haltet euch an Regeln, lernt die Sprache und könnt so Karriere machen oder eure Karriere droht, im Häf'n zu enden. Wir spielen hier Himmel/Hölle. Wir sagen: Seid's gscheidt und nehmt's den Himmel!
Wieso lässt man sich mit der angekündigten Sprachstandserhebung unter Migranten dann so lange Zeit?
Vassilakou: Jugendliche brauchen Perspektiven. Dafür bieten wir Sprachkurse an und schaffen Lehrstellen. Die Sprachstandserhebung wird 2012 in Angriff genommen. Unser Ziel lautet nach wie vor: Jedes Kind soll bei der Einschulung so gut Deutsch können, dass es dem Unterricht problemlos folgen kann. Ich glaube aber auch für uns beide sprechen zu können, wenn ich sage, dass wir so wie Minister Hundstorfer eine Ausbildungspflicht bis zum 18. Lebensjahr fordern.
Wie lange wird man in Wien noch mit 46 Prozent der Stimmen absolut regieren können, Frau Vassilakou?
Vassilakou: Fix ist, dass die nächste Wien-Wahl mit einem neuen Wahlrecht geschlagen wird.
Kolportiert wird, dass das System einfacher und stark an das Nationalratswahlmodell angelehnt werden soll.
Häupl: Mit Verlaub, ich führe im Beisein des KURIER keine Verhandlungen mit den Grünen. Ein Hinweis sei aber gestattet: In ganz
Österreich und in Europa wird über das Mehrheitswahlrecht diskutiert, nur in Wien nicht. Das ist okay. Wir werden uns auch hier einigen.
Herr Häupl, von welchem Vorurteil, das Sie gegenüber den Grünen gehegt haben, mussten Sie sich nach dem ersten Jahr verabschieden?
Häupl: Das betrifft ganz sicher den Punkt Zuverlässigkeit. Hier haben sich die Grünen weiterentwickelt. Denn vor ein paar Jahren hätte mein Urteil diesbezüglich noch anders ausgesehen. Wer hätte damals gedacht, dass man irgendwann zu der Erkenntnis kommen muss, dass die Grünen zuverlässiger sind als die ÖVP.
Das Bild der Grünen Chaostruppe hat ausgedient?
Häupl: Das Bild der Chaostruppe hat völlig ausgedient. Die Grünen sind verlässlich. Und ich bleibe dabei: Ich streite lieber über Straßen als über Grundsätze der Bildungs- und Sozialpolitik.
Was hat Sie, Frau Vassilakou, am Bürgermeister am meisten überrascht?
Vassilakou: Am Bürgermeister selbst nichts ...
Häupl: ... (lacht) eine berechenbare Größe ...
Vassilakou: Er ist in der Zusammenarbeit so wie ich es erwartet habe. Er hat 100-prozentige Handschlagqualität. Probleme können offen angesprochen und gemeinsam gelöst werden.
Und was hat Sie an der SPÖ überrascht?
Vassilakou: Ich wurde von dem Vorurteil befreit, dass es eine uniforme Partei ist, in der eine soldatenähnliche Disziplin vorherrscht. Und das macht mir die Partei irgendwie sympathischer.
Wie stimmen Sie sich im Polit-Betrieb ab: Gibt's das wöchentliche Frühstück, das tägliche Telefonat?
Vassilakou: Wir haben nichts Fixes.
Häupl: Jour Fixe gibt es keinen und wenn's dringend ist, gibt's die segensreiche Erfindung des Telefons. Bei grundsätzlichen Geschichten kommt's zum Vieraugengespräch. Das war bei den Koalitionsverhandlungen so und bei den Tarifverhandlungen war es nicht anders.
Herr Bürgermeister, viele behaupten, dass Ihnen das Regieren lange nicht so viel Spaß gemacht hat wie unter
Rot-Grün. Sind die Ökos die viel zitierte Frischzellenkur für Sie und Ihre Partei?
Häupl: (lacht) Das weiß ich nicht. Was stimmt ist, dass mir die Arbeit sehr, sehr viel Spaß macht. Das kann am Koalitionspartner liegen, kann aber auch mit anderen, persönlichen Sachen zusammenhängen.
Wird das Duo Häupl/Vassilakou bis zum Ende der Legislaturperiode Bestand haben?
Vassilakou: Na, hoffentlich.
Häupl: Genau, na hoffentlich.
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