Rollender Wechsel: Citybike-Stationen verschwinden aus Stadtbild

Die Halterungen für die Räder werden am Friedrich-Engels-Platz aus dem Asphalt gestemmt.
Erst werden die Räder abtransportiert. Als Nächstes wird der Strom abgestellt. Dann gestemmt – an den 27 Stempen, an denen die Räder fixiert waren. Und schon ist die Citybike-Station am Friedrich-Engels-Platz in der Brigittenau Geschichte.
Dieses Prozedere haben Hans Dechant, der bei der Werbegesellschaft Gewista für Citybike zuständig ist, und seine Arbeiter in den vergangenen Wochen bereits an rund 50 der 121 Citybike-Stationen durchgespielt. Langsam, aber sicher, verschwindet das Leihradsystem aus dem Stadtbild.
Denn Citybike wird in knapp zwei Wochen durch neues Angebot ersetzt: Am 1. April startet WienMobil-Rad. Das ist jenes System, für das man sich im Rathaus nach einem unschönen Polit-Streit im Jahr 2020 entschieden hat.
2003
Citybike startet: Ausgeliehen wird mit Bankomat-Karte an 60 Stationen innerhalb des Gürtels, die erste Stunde ist gratis. Der Betreiber Gewista finanziert das System über Werbung
2010
In den Außenbezirken (ausgenommen 21., 22. und 23. Bezirk) kommen 61 Stationen dazu. Die Stadt schießt für diese Standorte jährlich 860.000 Euro zu
Mitte Juli 2020
Die Gewista sperrt überraschend die 60 Innenstadt-Stationen. Hintergrund ist ein Streit ums Geld: Gewista will die Standorte nicht weiter alleine finanzieren und verlangt 1,1 Millionen Euro pro Jahr von der Stadt. Die damalige grüne Verkehrsstadträtin Birgit Hebein verweigert: Um einer privaten Firma so viel Geld überweisen zu können, brauche es eine Ausschreibung. Gemunkelt wird, dass es den Grünen vielmehr darum geht, Gewista aufgrund deren SPÖ-Nähe ausbooten zu wollen
Ende Juli 2020
Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) zieht die Sache an sich: Ab 2022 werden die Wiener Linien Citybike übernehmen, verkündet er. Das regt die Grünen auf: Sie
reklamieren die Idee für sich und fühlen sich wiederum
von der SPÖ ausgebootet. Kurz darauf gehen die 60 Stationen wieder in Betrieb. Die Gewista erhält dafür nun doch Geld von der Stadt –
als Übergangslösung
2022
Das Nachfolge-System WienMobil-Rad startet.
Das 2003 gestartete Citybike-System erlebt somit seinen 20. Geburtstag knapp nicht. Von Anbeginn betreut hat es Dechant. „Mein Lebenswerk wird abgebaut“, sagt er beim KURIER-Lokalaugenschein.
50 Stationen bleiben bis 31. März, 24 Uhr, in Betrieb. „Dann wird abgedreht“, so Dechant. In den darauffolgenden Wochen werden auch die restlichen Standorte abgebaut – der letzte am 20. Mai. Ziel ist ein fließender Übergang.

Hans Dechant von Gewista.
120 Tonnen Material müssen insgesamt weggeschafft werden.
Manches davon wird wiederverwendet. Die Räder werden in Einzelteile zerlegt, überholt und neu lackiert. Danach kommen sie in eine der 60 anderen Städte, in denen der Gewista-Mutterkonzern JC Decaux Leihradsysteme betreibt. Nicht so die Verleih-Terminals, die ein Kran weghebt: „Die sind eine Spezialanfertigung, wir verschrotten sie.“
Leihrad am Radbügel
Ab dieser Woche wird sichtbar, was folgt: Die Wiener Linien beginnen nun nämlich, ihre 185 WienMobil-Rad-Stationen in allen 23 Bezirken aufzubauen.
Diese bestehen im Wesentlichen aus einer Info-Säule und einer Bodenplatte mit Halterungen für die Räder, einen Stromanschluss braucht es nicht. Der Vorteil dieser Konstruktion: Sind die Halterungen an einer Platte montiert und nicht einbetoniert, kann man die Stationen bei Bedarf leicht verlegen.

Der Kran hebt die Terminals auf den Lastwagen.
Überhaupt will man etwas flexibler sein als Citybike: Zu den 185 fixen Stationen kommen noch einmal 50 „virtuelle“ dazu. Das bedeutet, dass WienMobil-Räder in der ganzen Stadt auch an herkömmliche Fahrradbügel gekettet werden. Von dort kann man sie ausleihen.
Möglich ist das, weil WienMobil Rad über eine App funktioniert. Während man die Citybikes mit der Bankomatkarte am Terminal entriegelt, scannt man bei WienMobil-Rad mit dem Handy einen QR-Code am Rahmen ein.
Dann springt das Schloss auf. Eine halbe Stunde Leihe kostet 60 Cent, Jahreskarten-Besitzer zahlen nur 30 Cent.
Testballon
Eine Gefahr, dass die zusätzlichen WienMobil-Räder den Kampf um die mancherorts ohnehin knappen Radbügel verschärfen, sieht Johanna Renat von WienMobil-Rad nicht: „Wir werden die Situation evaluieren und bei Bedarf zusätzliche Bügel errichten“.

Johanna Renat, Projektleiterin bei WienMobil-Rad.
Sie sieht die „virtuellen“ Stationen auch als Testballon: „So können wir Standorte für weitere fixe Stationen testen.“
Zum Auftakt begnügt man sich aber erst einmal mit 60 Stationen: Damit – und mit 1.000 Rädern – will man am 1. April starten. Der Vollbetrieb mit 3.000 Rädern ist für Herbst geplant.
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