Rettungsschwimmer orten mangelnde Zivilcourage

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Seit der Hitzewelle ertrinkt fast jeden Tag ein Badegast. Einsatzkräfte warnen vor Übermut.

Montag, um 16 Uhr, schlug ein Radfahrer bei dem Donauinsel-Stützpunkt des Samariterbundes Alarm: Ein Mann treibt regungslos im Wasser. Vier Sanitäter rasten zur Brigittenauer Bucht, die Feuerwehrtaucher ebenfalls. Der bewusstlose 17-Jährige wurde rasch lokalisiert und geborgen. Auch der Rettungshubschrauber Christophorus 9 war in wenigen Minuten vor Ort. Er flog den 17-Jährigen ins SMZ-Ost. In der Nacht zum Dienstag erlag das Badeopfer seinen Verletzungen. Der junge Mann war zu lange ohne Sauerstoffzufuhr.

Thomas Hebelka, vom Arbeiter Samariterbund zeigte sich geschockt und verärgert: „Wenn nur ein Zeuge ins Wasser gesprungen wäre und geholfen hätte, wäre der junge Mann noch am Leben. Dort kann man im Wasser sogar stehen. Und es waren Dutzende Menschen vor Ort.“

Der 17-Jährige war in Wien bereits der fünfte Tote durch Ertrinken in dieser Badesaison. Werden die Badetoten in den Bundesländern hinzugezählt, sind heuer bundesweit an die zwei Dutzend Menschen ertrunken. Montagabend fanden im Wallersee (Salzburg) mehrere Surfer eine tote, im Wasser treibende Frau (58).

Wolfgang Zottl, seit 1974 bei der Wasserrettung, kritisiert die Zivilcourage vieler Badegäste: „Niemand beobachtet oder kümmert sich um den neben ihm Schwimmenden.“ Um die gefährliche Ignoranz auch zu beweisen, führten die Rettungsschwimmer in fünf Bundesländern ein Experiment durch. In Wien, Niederösterreich, Kärnten, dem Burgenland sowie der Steiermark legte sich jeweils in einem Freibad ein Rettungsschwimmer (mit einer kleinen Sauerstoff-Flasche ausgerüstet) fünf Minuten auf den Beckengrund.

Niemand schlug Alarm

Das Ergebnis war erschütternd: Kein einziger Erwachsener schlug Alarm. Nur einmal lief ein Kind zum Bademeister und holte aufgeregt Hilfe. Zottl: Viele der Badegäste in den Bassins mussten den regungslosen Körper am Grund bemerkt haben. Wäre das Experiment Realität gewesen, die Menschen wären hilflos ertrunken.“ Bademeister oder Beckenaufsicht, so Zottl weiter, können bei einem dicht besetzten Schwimmbecken den untergegangenen Körper nicht erkennen. Sie können nur nach dem Alarm die sofortige Reanimation und Rettungskette einleiten.

Parallel zur fehlenden Zivilcourage unterschätzen die meisten Badegäste die Gefahren beim Schwimmen. Alexander Markl, Einsatzleiter bei den Wiener Feuerwehrtauchern, bestätigt: „Sogar junge sportliche Schwimmer ertrinken. Die springen ohne sich abzukühlen, nicht selten alkoholisiert, ins Wasser. Da kann das Herz-Kreislauf-System schon kollabieren. Ganz zu schweigen von Menschen, die übergewichtig oder physisch nicht gesund sind.“

Pro Jahr retten die neuen Taucher der Wiener Berufsfeuerwehr im Schnitt fünf Menschen vor dem nassen Tod. Für etwa doppelt so viele Schwimmer kommt alleine in Wien der Einsatz aber zu spät.

„Vor allem in Fließgewässern und Seen steigt die Gefahr. Übermut und Geltungsbewusstsein sind hier fehl am Platz. Das gilt für junge und ältere Badegäste“, appelliert Rettungsschwimmer Zottl. Er räumt auch mit einem alten Vorurteil auf: Menschen gehen nicht laut gestikulierend und schreiend unter. Speziell Kinder nicht. Man versinkt eher still und leise im todbringenden Wasser.

Water Watcher“ – „Wasserwächter“: So nennen Amerikaner einen Erwachsenen, der Kinder im und rund ums Wasser ständig beobachtet. Mit gutem Grund: Bei neun von zehn Ertrinkungsunfällen befindet sich ein Erwachsener im Umkreis von zehn Metern und bemerkt den Vorfall trotzdem nicht, heißt es beim Verein „Große schützen Kleine“ in Graz.

Durch den ,Vagus-Reflex‘ – umgangssprachlich als Totstellreflex bezeichnet – „hört man keinen Schrei, verlaufen die meisten Unfälle durch Ertrinken lautlos“, sagt der Notfallmediziner Univ.-Prof. Fritz Sterz, Klinik für Notfallmedizin der MedUni / AKH Wien. „Die Kinder wirken wie gelähmt und versinken wie ein Sack lautlos im Wasser – deshalb ist es unerlässlich, sie ständig im Auge zu behalten.“ Erst vergangenen Freitag hatte ein Fünfjähriger im Bezirk Korneuburg großes Glück: Er verlor beim Schnorcheln im Nichtschwimmerbecken das Bewusstsein, ein Bademeister konnte ihn wiederbeleben.

Sauerstoff in die Lunge

„Ertrinkungsunfälle sind einer jener Bereiche, wo die Mund-zu-Mund-Beatmung in der Wiederbelebung noch eine entscheidende Rolle spielt – bei den Unter-Fünf-Jährigen ist sie die wichtigste Maßnahme überhaupt“, betont Sterz: „Denn Ertrinken ist nichts anderes als Ersticken und deshalb ist es so wichtig, Sauerstoff in die Lunge zu bringen.“ Kinder sollten „sachte, aber flott beatmet werden – kleinere Kinder unter fünf Jahren flotter als größere. Zusätzlich ist bei einem Herzstillstand auch eine Herzdruck-Massage notwendig. Er persönlich gebe keine speziellen Rhythmen für die Beatmung und die Herzmassage von Kindern an: „Das verunsichert Eltern, die dann fürchten, nicht das Richtige zu tun. Aber man kann nichts falsch machen, nur Nichtstun ist falsch“, betont Sterz.

Die Scheu, Erste Hilfe zu leisten, könnte ein fest im Lehrplan verankerter Erste-Hilfe Unterricht in allen Österreichischen Pflichtschulen abbauen, ist Sterz überzeugt. Mit seiner Initiative lebenretten.at setzen er und seine Kollegen sich seit Jahren dafür ein: „Studien in anderen Ländern haben klar gezeigt, dass man mit dieser einfachen Methode die Überlebenschancen von vielen Menschen mit Herz-Kreislauf- Stillstand wesentlich verbessern kann.“www.lebenretten.at, ww.kfv.atwww.grosse-schuetzen-kleine.at

Rettungsschwimmer orten mangelnde Zivilcourage
Grafik, Ertrinken

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