Wiens erste queere Senioren-WG ist jetzt bezugsfertig
Schauspieler Günter Tolar, BV-Stellvertreterin Julia Lessacher und Volkshilfe-Wien-Geschäftsführerin Tanja Wehsely im Wohnzimmer der Senioren-WG.
Es ist die Erfüllung eines lang gehegten Wunsches, sagt Günter Tolar. Der 86-jährige Moderator und Schauspieler meint damit die Wohngemeinschaft Vielfalt der Volkshilfe Wien – eine WG für queere Seniorinnen und Senioren ab 60 Jahren, die ab sofort bezugsfertig ist. Beim Pressetermin am Montag sitzen er, Volkshilfe-Wien-Geschäftsführerin Tanja Wehsely, Bezirksvorsteher-Stellvertreterin Julia Lessacher (SPÖ) und Nicole Steger, Equality, Diversity & Inclusion Leader bei Ikea Austria, rund um den Tisch in der geräumigen Wohnküche der WG. Durch die große Fensterfront blickt man von hier auf die weitläufige Terrasse.
Nicht nur die WG ist brandneu, sondern auch das Gebäude, in dem sie sich befindet: der erst im Oktober eröffnete Rudolf-Hundstorfer-Hof in der Mariahilfer Stumpergasse. Mehr als passend, findet Tolar. Denn schon als er im Jahr 1999 bei der sozialdemokratischen LGBTQI-Organisation SoHo tätig war, hatte er sich um eine derartige WG bemüht. Gescheitert sei es an der Finanzierung: „Wir hatten keine Geldgeber. Der einzige der uns geholfen hätte, war der Rudi Hundstorfer“, sagt Tolar.
Eine neue Gemeinschaft
Nun ist Tolars Wunsch also endlich Realität geworden. Auf 170 m2 können künftig sechs Seniorinnen und Senioren ein gemeinsames Zuhause finden und sich in den rund 12 m2 großen Einzelzimmern einrichten. Drei Badezimmer und WCs stehen ebenso zur Verfügung wie die bereits erwähnte Wohnküche samt begrünter Terrasse. Die gesamte Wohnung ist barrierefrei, die Möbel in den Gemeinschaftsbereichen wurden von Ikea zur Verfügung gestellt.
Die Mietkosten betragen pro Monat zwischen 750 und 780 Euro. Darin sind die Energie- und Reinigungskosten, sowie WLAN und Betreuungsleistungen bereits enthalten. Wichtig ist in erster Linie, dass die neuen WG-Mitglieder selbstständig leben können – also mit häuslichen Betreuungsleistungen gut auskommen. Und dass man sich gut versteht.
Das "Abenteuer WG"
„Drei Interessierte gibt es bereits“, sagt Silvia Zechmeister, die bei der Volkshilfe Wien für teilbetreute Wohnformen zuständig ist. Und von ihnen hat sie geschildert bekommen, was im Alter viele betrifft: Die Einsamkeit ist groß. „Eine der Interessentinnen meinte, dass sie sich seit der Pension sehr isoliert fühlt“, sagt Zechmeister. Ein Grund, warum man sich im Alter auf das „Abenteuer WG“, wie es Wehsely nennt, einlässt.
Anschauungszimmer in der WG, mit direktem Zugang auf die begrünte Terrasse.
Wie die ältere queere Community die neue Wohnform wohl aufnimmt, wird Tolar gefragt. „Ich komme ja noch aus einer Zeit, in der ich verboten war“, sagt er. Schließlich war es bis 1971 strafbar, seine Homosexualität zu leben. Insofern müsse bei einigen Menschen seiner Generation vielleicht eine Art psychische Hemmschwelle überwunden werden, mutmaßt er. Denn der Einzug in die WG käme für jene, deren Umfeld über ihre Sexualität nicht Bescheid weiß, einem Outing gleich. „Aber das Projekt ist höchst willkommen“, ist Tolar überzeugt.
„Es ist ein schöner Schritt, der einen ein bisschen beruhigt. Das queere Leben glättet sich langsam und rutscht in eine gewisse ,Normalität‘“, wobei er dieses Wort klar unter Anführungszeichen verstanden haben will. „Vielfalt als Normalität ist einfach wichtig“, sagt Wehsely. „Wir diskutieren das nicht mehr, eine queere Senioren-WG wird jetzt einfach Standard.“