Es war am 4. Jänner um die Mittagszeit: Der 63-jährige Mann stieg am Stephansplatz in die U3 ein, nahm Platz und ersuchte den jungen Mann neben sich, nicht so breitbeinig zu sitzen. Was dann geschah, das weiß der Mann nicht mehr. "Mein Gehirn hat abgeschalten." Als er Stunden später im Krankenhaus erwachte, hatte er mehrere Brüche. Sein Gesicht war blutig, verschwollen.
Der junge Mann, der neben ihm gesessen war, hatte ihn mit einem massiven Schlag gegen den Kopf in die Bewusstlosigkeit und auf den Boden der U-Bahn befördert. Dann stand er auf, zog sich an den Haltestangen hoch und trat mit seinem ganzen Gewicht auf Kopf und Oberkörper des wehrlosen Opfers. Mehrmals.
"Ich kann mich nicht erinnern"
Der junge Mann ist Marcel M (Name geändert, Anm.). Kräftig gebaut, groß, Kampfsportler. Als er am Dienstag im Landesgericht für Strafsachen als Angeklagter Platz nimmt, bückt er sich. Weicht den Blicken aus. Wiederholt immer nur: "Ich kann mich nicht erinnern. Ich hatte einen Filmriss. Ich mache solche Sachen nicht. Ich wollte nie jemanden ermorden." Doch genau wegen Mordversuchs ist der 21-Jährige angeklagt. Und wegen teils schwerer Körperverletzung in drei weiteren Fällen. Dazu bekennt er sich schuldig, doch nicht zum Mordversuch.
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Es ist nicht die erste Gewalttat des jungen Mannes. Er hat bereits zwei einschlägige Vorstrafen. Rund um den Jahreswechsel allerdings geriet er in einen regelrechten Gewaltrausch - dieses Wort nimmt auch sein Rechtsanwalt Johannes Fouchs in den Mund. "Es gab vier Gewalttaten innerhalb kurzer Zeit. Völlig sinnlose Gewalt, die abscheulich anmutet", sagt der Jurist.
Mehere Vorfälle rund um den Jahreswechsel
Denn schon Tage vor dem Vorfall in der U-Bahn sprach er einen unbekannten Mann in einer Unterführung an, fragte um eine Zigarette. Als der nicht reagierte, verpasste er ihm Faustschläge ins Gesicht. Der Mann erlitt einen Nasenbeinbruch.
Zum Jahreswechsel wollte der Angeklagte mit seiner Freundin in einen Bus steigen. Ein ihm unbekannter Mann stieg gleichzeitig aus. Grund genug, dass auch er Schläge kassierte.
Und schließlich tauchte er zu einer Aussprache mit der (dann schon Ex-) Freundin an ihrem Arbeitsplatz auf. Als sich diese versteckte und ihr Chef den jungen Mann aufforderte, zu gehen, hagelte es wieder Schläge und Tritte.
"Weitere Straftaten wahrscheinlich"
"Das waren exzessive Gewaltausbrüche. Der Angeklagte leidet an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung. Weitere Straftaten sind wahrscheinlich", sagt die Staatsanwältin, die deshalb auch eine Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum fordert.
"Ich habe damals Drogen genommen", erklärt der Angeklagte. "Davor ist so etwas nie vorgekommen." Doch das stimmt nicht - ausgerechnet Richter Andreas Hautz, der auch diesmal den Vorsitz hat, hat den Mann nämlich schon verurteilt. "Sie hatten bei mir schon eine Verhandlung wegen schweren Raubes und zwei Vorstrafen wegen Nötigung und Körperverletzung." "Da habe ich gar nichts gemacht. Ich bin unschuldig verurteilt worden", beharrt der Angeklagte.
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Eine Zeugin schildert, wie sich der Vorfall in der U-Bahn abspielte: "Er hat dem Opfer ansatzlos ins Gesicht geschlagen und dann immer weiter eingeschlagen, als der Mann bewusstlos am Boden gelegen ist." Eine Frau in der U-Bahn betätigte den Notruf, ein anderer Fahrgast griff ein. Die Zeugin, eine Ärztin, eilte mit einem zufällig anwesenden Sanitäter zum Opfer. "Ich hatte ein mulmiges Bauchgefühl. Ich war nicht sicher, ob der Mann noch lebt."
Mann stieg wortlos aus
Der Angeklagte selbst stieg wortlos in der Herrengasse, der nächsten U-Bahn-Station aus als wäre nichts gewesen.
Das Opfer erlitt massive Verletzungen, benötigte Physiotherapie und auch psychotherapeutische Unterstützung. "Ich fahre noch immer täglich mit der U-Bahn. die 35 Sekunden vom Stephansplatz bis zur Herrengasse sind für mich ein Problem. Wenn viele Menschen da sind, bekomme ich ein tiefes Unbehagen", schildert der Mann. "Aber ich habe die Hoffnung, dass ich in ein normales Leben zurückkehren kann."
Vorerst kein Urteil
Ein Urteil wird am Dienstag nicht verhängt. Weitere Befragungen, unter anderem die des psychiatrischen Sachverständigen Peter Hoffmann, finden erst am Mittwoch statt.
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