Rechtsanwalt auf der Anklagebank: Rollentausch fürs Studium

46-215822292
Werner Tomanek schlüpft in die Rolle eines Masseurs, dem sexuelle Belästigung vorgeworfen wird. Sein Opfer: Die Anwältin Linda Poppenwimmer.

Rechtsanwalt Werner Tomanek fährt alle Geschütze auf. Er hat an diesem Nachmittag im Wiener Landesgericht für Strafsachen gleich fünf Verteidiger an seiner Seite. Aus gutem Grund: Tomanek, oder "Herrn G.", wie er in diesem Verfahren genannt wird, werden sexuelle Übergriffe vorgeworfen. 

"Goldene Hände"

Herr G., gelernter Masseur im Ruhestand, soll eine Kundin unsittlich berührt haben. "Ich habe goldene Hände, haben's mir gesagt, die Damen." 

"Ich war wie paralysiert. Es war sehr, sehr unangenehm", schildert das Opfer, "Frau F.", - besser bekannt als Rechtsanwältin Linda Poppenwimmer.

Der Sachverhalt ist keine Erfindung. Einen derartigen Prozess gab es tatsächlich in einem österreichischen Bezirksgericht. Nun wird neu verhandelt. Mit Anwälten und Anwältinnen in den Rollen von Täter, Opfer und Sachverständigem. Und Studenten und Studentinnen, die in die Rolle von Richtern und Staatsanwälten schlüpfen.

46-215833947

Die gut gefüllte Richterbank

Punkt 16 Uhr wird die Verhandlung aufgerufen. Der Saal füllt und die Zuschauerplätze füllen sich. Auf der Richterbank haben gleich fünf angehende Juristen und Juristinnen Platz genommen. Allein: Der Angeklagte verspätet sich. 

Privatier

15 Minuten später ist Tomanek, alias Herr G., schließlich eingetroffen. "Haben Sie gut hergefunden?", wird er begrüßt. "Was machen Sie beruflich?" - "Derzeit ohne Beschäftigung", antwortet Herr G. - "Ich schätze mal Pensionist, in Ihrem Alter", prescht ein Richter vor. - "Privatier", bevorzugt Herr G.

Sexuelle Belästigung und öffentlich geschlechtliche Handlungen wirft ihm die Staatsanwältin vor. "In einem Bereich, in dem man Professionalität erwartet", betont sie. Frau F., das Opfer, litt unter Rückenschmerzen, über Vermittlung des Vaters begab sie sich bei Herrn G. in Behandlung. "Bei der Massage ist er ihr mehrmals mit den Händen über die Brüste gefahren, hat diese auch umfasst und damit ihre Würde verletzt", führt die junge Staatsanwältin aus.

Ein Vorwurf, den Herr G. bestreitet: "Ich bin empört." Die Behandlung habe er nach bestem Wissen durchgeführt. "Sie hat ja nicht Knieschmerzen gehabt." Und auch die Verteidiger-Riege steht ihm zur Seite: "Er hat die Massage ausgeführt, wie er sie vor einem halben Jahrhundert gelernt hat. Keine einzige Patientin hat sich je darüber beschwert."

46-215822293

Tatsächlich, so erklärt der Sachverständige (in diese Rolle schlüpft der gelernte Sportlehrer und Rechtsanwalt Andreas Schweitzer), müsse man den vorderen Körperbereich lockern, um Spannungen am Rücken zu lindern - er unterstreicht seine Expertise anschauungsreich. "Die Massagetechnik ist extravagant. Aber sie entspricht dem damaligen Ausbildungsstand." Seit 2015 sei diese Art der Massage aber nicht mehr üblich.

Freispruch im Namen der Republik

"Im Namen der Republik", spricht einer der jungen Richter wenig später und verkündet das Urteil: Freispruch. "Der Tatbestand ist erfüllt. Aber die Behandlung war lege artis. Dass der Angeklagte in der Rente keiner Fortbildung mehr nachgegangen ist, ist nachvollziehbar."

Applaus brandet auf. Nicht wegen des Freispruchs, sondern wegen der gelungenen Verhandlung. Eine Manöverkritik erfolgt sofort. Der - echte - Richter Georg Olschak hat noch einige Anmerkungen. "Anfangs hätte ich eine Diversion in Aussicht gestellt." Und Staatsanwalt Jörgen Santin legt den jungen Anwälten nahe: "Das hätte ich klarer formuliert." "In der Kürze liegt die Würze", pflichtet Olschak zu.

Nach dem Prozess können alle Anwesenden aufatmen. Nicht nur der Freigesprochene. Auch die Jus-Studierenden haben allesamt bestanden.

Kommentare