Polizeipräsident Pürstl verteidigt Großeinsatz
Zumindest eine Seite agierte ganz offensichtlich hoch professionell. Am Tag nach der Räumung der "Pizzeria Anarchia" zeigte sich, wie gut sich die 19 Hausbesetzer schon im Vorfeld organisiert hatten. Die 15 Männer und vier Frauen, die zur Hälfte deutsche Staatsbürger sind, hatten vom dritten Stock bis zum Erdgeschoß Mauern durchbrochen, damit sie sich unbemerkt von der Polizei abseilen konnten.
In wochenlanger Kleinarbeit hatten sie teils lebensgefährliche Fallen für die anrückende Exekutive aufgebaut. Die Aktivisten, die bereits wieder auf freiem Fuß sind (sie werden wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und versuchter schwerer Körperverletzung angezeigt), waren offenkundig auch von Außenstehenden informiert worden, in welchem Teil des Gebäudes die Beamten gerade zugange waren. Fast wäre ihnen sogar der ganz große Coup gelungen – und die Polizei hätte überhaupt nur drei Demonstranten erwischt. Doch der Polizei-Einsatzleiter vor Ort, WEGA-Chef Ernst Albrecht, bewies einen guten Riecher. Er ließ die Tür zur Pizzeria einschlagen und konnte so die restlichen 16 Aktivisten in Gewahrsam nehmen. Diese hatten sich abgeseilt, als sich die Polizei zum zweiten Stock vorgekämpft hatte. Wären diese entkommen, dann wäre das PR-Desaster für die mit Wasserwerfer angerückte Polizei komplett gewesen. Selbst Beamte spotteten über eine "Geräteschau der Polizei".
Dass mehr als 1000 Beamte einen ganzen Tag benötigten, um 19 Autonome aus einem Haus zu bekommen, sorgte dennoch für Häme in sozialen Medien. Selbst Innenministerin Johanna Mikl-Leitner betonte in einem Ö1-Interview, dass sie "mit derartigen Aktionen keine Freude habe".
Polizeipräsident Gerhard Pürstl, der den Einsatz nicht vor Ort, sondern von der BPD Wien am Schottenring aus koordinierte, nahm gegenüber dem KURIER zu der heftigen Kritik am Einsatz erstmals Stellung: "Die Verhältnismäßigkeit eines Einsatzes misst sich nicht an der Zahl der zur Verfügung stehenden Kräfte, sondern an der Form des Einschreitens und des Ergebnisses", erklärte Pürstl. Dieses Ziel sieht er erreicht: Es war "eine erfolgreiche Unterstützung der gerichtlichen Delogierung" und: "der Einsatz konnte – trotz hohen Gewalt- und Aggressionspotenzials – letztlich ohne Verletzung von Hausbesetzern und Sachschäden bei Unbeteiligten abgewickelt werden."
Die hohe Zahl an Beamten sei für die "menschenrechtskonforme sowie professionelle Erfüllung dieser Aufgabe notwendig gewesen". Auch deshalb "weil im Vorfeld von einer hohen Gefährdung der Gerichtsorgane, Speditionen und Polizeikräfte auszugehen war. Die Gesamtzahl der Einsatzkräfte war das Ergebnis einer umfassenden Planung."
Parlament befasst
Der Einsatz wird dennoch erwartete parlamentarische Anfragen zur Folge haben. Den Reigen eröffnet der Grüne Peter Pilz. "Seit Jahren stellen wir fest, dass – egal ob es gegen Korruption oder Umweltzerstörung geht – viel zu wenige Beamte da sind. Beim Punkpizza-Einsatz war das offensichtlich ganz anders", sagte Pilz. Die Sozialistische Jugend kritisierte, dass "mit Kanonen auf Spatzen" geschossen wurde.
Rund 150 Aktivisten sind am Dienstagabend bei einem Demonstrationszug durch den Bezirk Wien-Leopoldstadt gezogen, um gegen die Räumung des Hauses in der Mühlfeldgasse 12 zu protestieren. Die Demo verlief dabei ruhig und friedlich, berichtete Polizeisprecher Patrick Maierhofer, lediglich ein Böller wurde gezündet.
Seinen Ausgang nahm der Demonstrationszug vor der "Pizzeria Anarchia", wo gegen 18.00 Uhr etwa 30 Aktivisten auf dem Gehsteig saßen, beobachtet von einem Aufgebot der Polizei. Später wuchs die Zahl der Teilnehmer an, weitere Sympathisanten gesellten sich unter anderem beim Donaukanal bei der Kunstmeile "Agora" auf Höhe der Schwedenbrücke zu den Teilnehmern. Mit einigen Transparenten wie "Recht auf Stadt - Pizza bleibt" ausgerüstet, ging es zuerst über den Ring und später Richtung Praterstern.
Drohungen: Der Ton wird dann rasch rauer, Anwaltsschreiben werden verschickt, aber auch Einschüchterungsversuche an der Haustüre kommen vor. „Wir hatten auch schon Bauarbeiter, die wie Schlägertrupps aufgetreten sind“, sagt Hanno Csisinko, Sprecher des Wohnbaustadtrats Michael Ludwig.
Energieversorgung: Ohne Ankündigung werden – meist im Winter – Gas und Strom abgedreht. Oder Wasserrohre freigelegt, die dann einfrieren. Der Vermieter stellt sich bei Anfragen tot. Auch beliebt: Plötzlich auftretende Löcher im Dach, die den Mietern Wasserschäden verursachen. Hier reagiert die Stadt mit Ersatzmaßnahmen. Das Gebrechen wird repariert, die Arbeit dem Vermieter in Rechnung gestellt.
Bespitzelung: Laut Mietrechtsgesetz kann eine Wohnung, die nicht als Wohnsitz genützt wird, gekündigt werden. Mittels Privatdetektiv und gar Videoüberwachung versuchen Hausspekulanten, den Mietern eine Nichtnutzung nachzuweisen.
Neue Nachbarn: Der Trick, neue Bewohner im Haus anzusiedeln, um Altmieter zu vergraulen, wurde schon mehrfach angewandt. So wurden etwa auch Flüchtlingshelferin Ute Bock Wohnungen in Häusern zur Verfügung gestellt. Allerdings gab es damals wie heute eine Solidarisierung der neuen Bewohner mit den Altmietern.
Absiedelung: Hier wird den Mietern mit der Begründung, dass dringende Arbeiten nötig seien, ein Ersatzquartier angeboten. Einmal ausgezogen, ist die Wohnung dann nicht mehr beziehbar. „Man sollte sich nie auf mündliche Zusicherungen verlassen“, warnt Elke Hanel-Torsch von der Mietervereinigung.
Ein besonders dreister Fall ereignete sich vor einigen Jahren. Ein Mann verreiste für vier Wochen. Als er zurückkam, waren die Schlösser ausgewechselt. Als er Stimmen hörte, klopfte er, bis ihm ein unbekannter Mann öffnete. Der Vermieter hat die Wohnung ausgeräumt und einfach neu vergeben.
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