In der Muttersprache
Unterrichtet werden sie von ihrer speziellen „Nachbarin“: Somia Babiker. Und das in der für alle am Tisch vertrauten Muttersprache. „Wir besuchen die Mütter normalerweise bei ihnen zu Hause, um sie aus ihrer Isolation herauszuholen“, erklärt Babiker in der kurzen Pause. Das Angebot der „Nachbarinnen“ in dieser Volksschule ist neu.
Die „Nachbarin“ ist eine von zehn top ausgebildeten Mitarbeiterinnen der mehrfach preisgekrönten gleichnamigen Hilfsorganisation, die vor gut zehn Jahren von der Internistin Christine Scholten mitbegründet wurde. Für die Ärztin ist das Angebot in der Schule der nächste Schritt ihrer NGO. Auch hier in der Schule gelingt es nachhaltig, Frauen mit Kopftuch bei der Integration zu unterstützen.
Die Mütter sind durch die Bank dankbar für die praktischen Tipps. Die meisten sind noch nicht lange in Wien, tun sich auch mit dem Erlernen der deutschen Sprache schwerer als ihre Kinder.
„Ich konnte schon einiges über das Schulsystem in Österreich lernen“, sagt Salwa Ali, Mutter von drei Kindern. Einige Regeln sind mit jenen in ihrer Heimat Ägypten nur schwer zu vergleichen. Auch habe ihr der Besuch in der Schule dabei geholfen, die Erziehung ihrer Kinder in zwei unterschiedlichen Kulturen deutlich zu verbessern.
Von Vorbildern lernen
Für Sabrin Khazwin war der Kontakt zu anderen Frauen im Grätzel beim Volkertmarkt hilfreich. „Wir wohnen seit zwei Jahren hier“, erklärt die Kurdin aus Syrien. „Da helfen Erfahrungen der anderen.“
Am Nebentisch erzählt Firdes Acar in ihrer Muttersprache Türkisch, wie sie sich in Wien zu einer selbstbewussten und selbstbestimmten Frau entwickeln konnte. Bei Kaffee und Kuchen beantwortet sie alle möglichen Fragen.
Dabei fällt auf, dass die Schulbürokratie Know-how der Eltern voraussetzt, das Menschen aus einer anderen Kultur nicht besitzen und daher ratlos macht. Acar hilft konkret, wenn wieder einmal ein Anmeldeformular zur schier unüberwindbaren Hürde wird oder ein Termin bei einer Behörde ansteht.
„Unsere ,Nachbarinnen’ sind Brückenbauerinnen“, so Christine Scholten mit einem zufriedenen Lächeln. „Ihr Angebot richtet sich an Frauen, die bisher isoliert waren.“
Die Arbeit in der Schule läuft seit gut einem Jahr. Sie wurde unter anderem durch die Initiative 100 Schulen – 1000 Chancen ermöglicht. Diese wird in Kooperation von Bildungsministerium, Innovationsstiftung für Bildung und Uni Wien durchgeführt.
Das Pilotprojekt an dieser Volksschule wird auch von der Wissenschaft begleitet. Es ist davon auszugehen, dass die externe Unterstützung für die Integrationsbemühungen der Mütter hilfreich ist. Diese Erkenntnis alleine wird aber nicht ausreichen. Christine Scholten weiß: „Wir müssen weitere Förderer finden.“
Die Vielfalt als Chance
Für Direktorin Sabine Rathmayr sind die „Nachbarinnen“ eine „willkommene Hilfe“. Deutsch ist an ihrem Standort mit acht Klassen und 180 Kindern eine von zahlreichen Sprachen.
Anders als Bewohner in der unmittelbaren Nachbarschaft will Rathmayr diese Vielfalt als Chance und nicht als Bedrohung ansehen: „Wir pflegen hier jedenfalls einen sehr wertschätzenden Umgang mit allen Kulturen. Ich bin auch davon überzeugt, dass sich meine Lehrer und Lehrerinnen dafür einsetzen, damit alle Kinder ihre Lernziele erreichen können.“
Gegen 10 Uhr endet der Unterricht für die Mütter, denen das gemeinsame Lernen sichtlich gutgetan hat. Während sie das Schulhaus verlassen, freut sich Direktorin Rathmayr noch: „Schön ist es auch, wenn die Kinder stolz auf ihre Mütter sind.“
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